Hauptrubrik
Banner Full-Size

Urbaner Country-Sänger mit soliden Wurzeln

Untertitel
Ein Porträt des britischen Singer/Songwriter Beck Hansen
Publikationsdatum
Body

„Es ist ein luxuriöses Privileg, düstere Songs zu schreiben, wenn man nicht aus der Welt der Vorstädte kommt“ meint Beck Hansen zu allen neurotisch-depressiv sich gebenden Popstars und straft all jene Lügen, die ihn nach dem Welterfolg seines Erstlings „Loser“ genau in dieser Ecke haben wollten: Generation X, Tagträumer, schöner Verlierer. Nicht wider Willen, sondern einfach so: Der Zufall der Popgeschichte erkor einen umtriebigen und eigenwilligen Künstler zu seinem Liebling.

Beck Hansen – auf keinen Fall verwandt oder verschwägert mit den Milchbärten von Hanson! –ist „everybody’s pop darling“. Er nahm in den vergangenen drei Jahren so ziemlich alle Zinn- und Plastikpokale mit nach Hause, die das Pop-Business zur Bestätigung seiner eigenen Seriösität zu vergeben hat: mehrere Grammys und MTV-Auszeichnungen, den Brit Award 97, dazu „Künstler des Jahres 1996“ von den Zeitschriften Spin und Rolling Stone, die es natürlich als erste wußten. Nun ist dies nur oberflächlich ein Update des amerikanischen „Vom-Straßenmusiker-zum-Millionär“-Traums . Denn von jenem zielstrebigen Ehrgeiz, der in den USA Kohorten von Aerobic-Trainern, Schönheitschirurgen und Rechtsanwälten ernährt, ist Beck Lichtjahre entfernt. Sein fast europäisch anmutendes Selbstverständnis hat er von seinem Großvater Al Hansen geerbt. Dessen Aktivitäten in der Fluxus-Bewegung der sechziger Jahre und seine persönliche Ausstrahlung haben den Enkel bis heute geprägt: „Er brachte Taschen voll Müll mit – alle Arten von Material, das er für seine Kunstwerke brauchte. Im Hinterzimmer gammelte kaputtes Spielzeug von mir. Er fand ein altes Schaukelpferd und bot mir fünf Dollar dafür, was für mich ein unglaublicher Batzen Geld schien. Eines Tages kam ich aus der Schule und sah dieses Ding vor dem Haus, irgendwie bekannt und doch wie vom anderen Stern. Er hatte das Pferd über und über mit Zigarettenstummeln beklebt, den Kopf abgenommen und silbern angesprüht.“ Ganz ähnlich ist Becks Vorgehensweise auf den Alben „Mellow Gold“ und „Odelay“ zu beschreiben. Die Idee des Songwritings wird demontiert, nicht ohne etwas Neues, Schöneres zu hinterlassen. Nicht der bloße Kunstgriff der Dekonstruktion interessiert ihn, seine Neu-Konstrukte sind auch durchgehört, stimmig, künstlerisch. Und versehen mit jenem berühmten Webfehler, den die orientalischen Teppichknüpfer aus Demut vor der Größe Allahs in ihren Werken hinterlassen: „Perfekte Dinge manövrieren sich ganz von selbst ins Aus. Sobald du nämlich damit fertig bist, sie endlich perfekt gemacht zu haben, ist das Gefühl, was die ganze Sache gestartet hat, vollkommen verlorengegangen.“ Innen und außen: Wer sich in Becks Musik vertieft hat, staunt über krasse journalistische Fehlurteile, die Beck als abgedrehten Hüpfer zwischen den Genres präsentieren: „...verweigert sich Beck musikalisch wie auch in Modefragen konsequent einem durchgehenden, klar zu umreißenden Stil“ (MusikExpress 2/98). Daß sich Beck den aufdringlichen Pop-Fotografen ständig in anderen Klamotten präsentiert, zeigt höchstens seinen Humor. Johnny Cash, selbst Interpret eines Beck-Songs, hat mehr Ahnung und bezeichnet ihn als „urbanen Countrysänger“. Und die pre-MTV-Vita von Beck Hansen (Vater Bluegrass-Musiker, Schu-le geschmissen, Straßenmusik, Tour mit Greyhound durch den Süden der USA, Auftritte mit Songs des Blues-Musikers Mississippi Hurt) gibt ihm recht. Trotz leichtfüßigen Umgangs mit elektronischem Equipment, Sampling und Hip-Hop-Loops ist immer handgemachte Musik die Wurzel seiner solide komponierten Songs: Soul, Blues und Country (der von der richtigen Sorte). „In vielerlei Hinsicht bin ich ein Traditionalist. Ich kann mit alter Musik mehr anfangen“, sagt Beck dazu, untermauert von jener akustischen Musik, die er – zwischen „Mellow Gold“ und „Odelay“ – auf zwei Independent-Labels veröffentlichte. „Mutations“, das neue Album, sollte eigentlich auch auf jener kreativen Indie-Spielwiese erscheinen, die sich Beck in seinem Major-Vertrag mit David Geffen ausgebeten hatte. Becks Band – gerade von der „Odelay“-Tour zurück – war gut eingespielt, Songs waren auch genug da: In 14 Tagen war ein Album im Kasten, welches dem Medienmogul Geffen zu stark erschien, um es nicht weltweit zu veröffentlichen. Alt und neu: Wer nur auf Sounds und Mix hören kann, fühlt sich bei „Mutations“ (Wah-Wah-Gitarre! Sitar!) sofort in den Haschisch-Dunst der sechziger Jahre versetzt und hat ein weiteres Argument für Verrücktheit und Eklektizismus bei Beck gesammelt. Doch wer Ohren für Texte, Harmonien und Songform hat, der staunt über Vision und Klarheit des Klischeeliebhabers und Klischeeverächters Beck: „Es ist so einfach, ein Rockmusiker mit einem Drogenproblem zu sein. Das ist wie eine Coverversion eines Songs, der früher schon einmal Nummer eins war. Eine sichere Bank. Aber daran ist nichts kreativ.“ Und dies ist wohl der wahre Grund für Becks Popularität: Ein gewisser Teil des Rock-Publikums hat von zwei Jahrzehnten gezieltem Pop-Marketing, von Promotion und Image-Styling die Nase gestrichen voll und dürstet förmlich nach Künstlern, die klar umrissenen Personalstil und steten künstlerischen Wandel unter einen Hut bringen können. Denn was für Beatles oder Hendrix der Normallfall war – den Hörern mit jeder neuen Platte ein neues Universum von Ideen und Klängen präsentieren zu wollen –, ist unter den Gegebenheiten eines weltweiten wie schwerfälligen Pop-Business längst mythische Vergangenheit. Mit seiner unprätentiösen Handwerker-Mentalität fegt Beck die fest zementierten Klischees vom Pop-Star-Dasein beiseite: „Unser Leben kann banal und ereignislos erscheinen, doch es kann in etwas ganz anderes transformiert werden. Wir können uns selbst in Alchimisten verwandeln, die aus Scheiße Gold machen.“ Felix Janosa Diskographie Mellow Gold (DGC), 1994 One Foot In The Grave (K), 1994 Stereopathetic Soul Manure (Flipside), 1995 Odelay (DGC), 1996 Mutations (DGC), 1998

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!