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Im Internet erreichbar unter www.baselsinfonietta.ch. Foto: Daniel Spehr
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Utopie verwirklicht

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Zum 30. Geburtstag der basel sinfonietta
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„30 Jahre Utopie“ – unter dieses Motto stellt die basel sinfonietta ihre Jubiläums-Saison. Die praktizierte Utopie eines selbst verwalteten und demokratisch organisierten Sinfonieorchesters ist auch nach dreißigjähriger Realität noch immer eine große Ausnahme in der Musikszene. Für die sinfonietta ist der 30. Geburtstag kein Grund zu Nostalgie und Rückschau: Die aktuelle Saison-Broschüre zeigt die Musiker, wie sie sich mutig, in futuristischen Plastik-Anzügen oder sogar mit Raketen-Antrieb, auf den Weg in die Zukunft machen. Dieselbe Aufbruchstimmung herrschte auch 1980, als eine Gruppe enthusiastischer junger Musiker-Idealisten aus der Region Basel sich in das Abenteuer eines selbstbestimmten Sinfonieorchesters stürzte.

Bis heute heißt es in der Präambel des mittlerweile als Verein konstituierten Orchesters: „Jede/r einzelne Musiker/-in wird als vollständige Künstlerpersönlichkeit mit all seinen Facetten ins Orchester integriert und hat das Recht, sich an allen Arbeiten und Entscheidungen rund um das Orchester aktiv zu beteiligen. Dazu gehört auch das Recht, von diesem Recht keinen Gebrauch zu machen.“

Klar, dass nicht alle der etwa 140 Mitspieler sich gleichermaßen beteiligen. Das Herz des Orchesters ist der Vorstand, der jedes Jahr vom Plenum gewählt wird. Regis-terverantwortliche koordinieren die Besetzungen ihrer Instrumentengruppen nach den Anforderungen der Partituren, aber auch nach der Neigung oder schlicht der Terminlage der Mitspielenden. Auch über die Mitgliedschaft im Orchester entscheiden die Stimmgruppen, und dies nicht anhand anonymer Mozart-Vorspiele hinter dem Vorhang, sondern aufgrund des gemeinsamen Musizierens.

Zwar hat die basel sinfonietta mit Harald Schneider seit 2004 einen Geschäftsführer. Fünf Personen mit 300 Stellenprozenten kümmern sich um organisatorische und administrative Aufgaben. Aber die Selbstverwaltung des Orchesters besteht dennoch ungebrochen. Es ist nach wie vor der Kern des Orchesters, der Programme diskutiert und beschließt, sowie Dirigenten und Solisten auswählt. Das ist auch die Garantie dafür, dass die Orchestermusiker mit Engagement bei der Sache sind und nicht einfach nur das ausbaden müssen, was sich ein Chefdirigent ausgedacht hat.

Zwar mag es für den Hörer sekundär sein, ob das Orchester, das ihm monumental besetzte Werke von Philip Glass, Giacinto Scelsi oder Gérard Grisey zu Gehör bringt, sich selbst verwaltet. Aber wenn die Mitglieder sich auf ein Projekt geeinigt haben, dann stehen der Realisierung auch äußerst anforderungs- und strapazenreicher Stücke keine Gewerkschaftsregeln oder Tarifhürden im Weg. Dann spielt man – wie am mittlerweile legendären Basler Musikmonat 2001 – für Michael Gordons „Decasia“ auch auf turmhohen Gerüsten oder beschallt den Basler Rheinhafen mit einer Klangaktion von Daniel Ott, ein Ereignis, das auch auf DVD dokumentiert wurde (siehe nmz 2/2008). Solche Programme, gleichermaßen kühn wie klug, locken auch ein deutlich jüngeres Publikum an, was zusätzlich durch Schul- und Jugend-Projekte unterstützt wird. Ein weiteres sinfonietta-Markenzeichen sind grenz- und stilüberschreitende Projekte, etwa im Bereich des Musik- oder Tanztheaters, in Jazz, Filmmusik oder Multimedia-Projekten.

Jede Saison erarbeitet die basel sinfonietta fünf bis sechs eigene Programme unter wechselnden Dirigenten. Unter ihnen finden sich Namen wie Stefan Asbury, Fabrice Bollon, Dennis Russell Davies, Johannes Kalitzke, Emilio Pomàrico, Jonathan Stockhammer oder Lothar Zagrosek. Längst ist das Orchester als spezialisierter Klangkörper für groß besetzte Neue Musik etabliert. Einem Ritterschlag kam die dreimalige Einladung zu den Salzburger Festspielen gleich. So ist es auch kein Wunder, den Namen basel sinfonietta in den Festivalprogrammen etwa von Luzern, Darmstadt oder Weimar, bei der Biennale di Venezia, der Musica Strasbourg, dem Festival d’Automne Paris oder den Klangspuren Schwaz zu finden.

Zahlreiche Uraufführungen, oft von jungen Komponisten, zieren das Palmarès des Orchesters. Mit Werken von Wolfgang Rihm, Georg Friedrich Haas, Thomas Larcher oder Chaya Czernowin konnte die basel sinfonietta aber auch die etablierten Komponistengrößen für Uraufführungen gewinnen. Und begeistern: „Zuletzt durfte ich anlässlich der Uraufführung von ‚Rilke: Vier Gedichte‘ wieder erleben, wie intensiv und substantiell die Auseinandersetzung mit soeben entstandener Musik durch die basel sinfonietta betrieben wird“, schrieb etwa Wolfgang Rihm. Auch die aktuelle Jubiläumssaison ist mit fünf Uraufführungen dekoriert, unter anderem mit Auftragswerken an den Argentinier Oscar Edelstein und den chinesischen Komponisten Wang Xilin, letzteres im Rahmen des Schweizer Netzwerk-Festivals „Culturespace“, das der basel sinfonietta letzten Herbst schon einen Abstecher nach Aserbeidschan ermöglichte.

Ein Dauerthema trotz 30-jährigem Leistungsausweis ist die Finanzierung des Orchesters. Den herbsten Rückschlag gab es 2004, als die Rechtspartei SVP eine substanzielle Subventions-Erhöhung des Kantons Baselland in der Volksabstimmung versenkte. Beinahe die Hälfte des Budgets von zwei Millionen Franken spielt das Orchester selbst ein, je eine halbe Million kommen aus öffentlicher Hand beziehungsweise aus Sponsoren-, Stiftungs-, Gönner- und Mitgliederbeiträgen. Große Sprünge sind damit nicht zu machen, branchenübliche Tarife nur selten zu bezahlen. Noch immer lebt das Orchester damit auch teilweise vom Idealismus seiner Mitglieder. Was diese nicht daran hindert, mit Raketenantrieb ins vierte Jahrzehnt aufzubrechen.

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