Seit dem 7. Oktober 2023 ist für den israelischen Oud-Spieler, Komponisten und Dirigenten Shaul Bustan eine andere Zeit angebrochen. 1983 wurde er als Sohn einer persischen Mutter und eines osteuropäischen Vaters in einem kleinen Kibbuz in der Negev-Wüste geboren, der jetzt auch von den Massakern der Hamas betroffen ist. Der psychische Ausnahmezustand, den dieser Zivilisationsbruch auslöste, wirkt allumfassend. „Jetzt geht es darum, der Welt davon zu erzählen“, fordert Shaul Bustan. Und durch Musik Orte zu einer etwas besseren Welt zu machen.
Vom Miteinander der Kulturen
Zwei Monate vor unserem Gespräch war noch heißer Spätsommer. In einem Wuppertaler Stadtteil schien Musik tatsächlich diese bessere Welt zu erschaffen. Shaul Bustan war beauftragt, ein neues Stück für das „uptown culture“-Projekt der Wuppertaler Sinfoniker durchzuführen unter Beteiligung von Menschen der vielen hier ansässigen Kulturen, die gemeinsam in Workshops eine neue Musik erarbeiteten, um sie gemeinsam mit dem Profi-Orchester in sonnig-entrückter Festival-Stimmung open air aufzuführen. Shaul Bustan verfolgte schließlich mit glücklichem Gesichtsausdruck in der bunten Menge „sein“ eigenes Konzert. Es geht ihm darum, Musik dorthin zu bringen, wo sie etwas bewirkt. Europäische Sinfonik, Stileinflüsse aus dem Nahen Osten und Einflüsse aus Filmmusik – das alles vereinte sich hier. Ist seit dem 7. Oktober eine Utopie geplatzt? Shaul Bustan widerspricht beim Wort Utopie: „Das hier ist gelebte Realität!“ Aber die wird aktuell immer zerbrechlicher: „Ich weiß nicht, ob dies unter den Gegebenheiten heute wieder möglich wäre. Man braucht schon ein dickes Fell, um die ganzen Polarisierungen und Simplifizierungen zu ertragen. Wir Israelis sind ja nicht gegen das Volk der Palästinenser. Es geht um die Hamas als verbrecherische Gruppierung.“
Shaul Bustan ist bekennender Pazifist, mit Wurzeln in diversen Ländern, die sich meist als ideologische Feinde betrachten. „Meine ganze Familie ist jüdisch, aber es sind Juden aus Osteuropa und aus dem Iran. Wir haben uns immer gut verstanden in diesen unterschiedlichen Welten. Deswegen ist es viel zu simpel, sich auf eine einzige Seite zu stellen.“ Genau das möchte er in seiner Musik und Kunst zum Ausdruck bringen. Sein Instrument ist die Oud, die er in sanften und melancholischen Tönen, aber auch mit lebhaften, rhythmisch fordernden Akzenten zu spielen weiß – und die in allen Ländern vom Maghreb über den ganzen Nahen Osten bis nach Zentralasien grenzübergreifend erklingt. „Ich möchte der Welt diese selbstverständlich existierende Durchmischung zeigen. Wir haben eine Aufgabe, die immer wichtiger wird.“
Shaul Bustan möchte diese Aufgabe dort wahrnehmen, wo sie Reichweite entfaltet. Etwa in der Berliner Philharmonie, wo er in seinem neuen Auftragswerk „Winter“ für das Deutsche Kammerorchester als Solist selbst die Oud spielte: „Ich glaube, viele Menschen haben hier zum ersten Mal dieses Instrument gehört.“ Shaul Bustan kam im Jahr 2011 nach Deutschland. Stilistisch ist er heute in allen möglichen Genres von klassischer Avantgarde, Weltmusik, Jazz und freier Improvisation zu Hause. Von ihm initiiert wurde das Ensemble Flensburg. Ebenso hat er ein eigenes Trio, arbeitete mit dem EOS Chamber Orchestra zusammen, ist als Filmkomponist im Geschäft. Mittlerweile hat er zahllose Orte mit Musik in eine bessere Welt verwandelt. Einmal sogar einen fahrenden Zug in Tansania im Rahmen eines internationalen Theaterprojektes. Er hat einen großen Wunschtraum für die Zukunft: „Ich möchte eine große Oper komponieren und habe schon Ideen gesammelt, die schon jetzt für zwei Produktionen reichen würden. Dabei wird es auch um Antisemitismus gehen.“
Giora Feidman sieht in Shaul Bustans künstlerischem Idealismus „eine kulturelle Bereicherung für Deutschland“. Die GEMA hingegen stuft seine Aktivitäten immer noch als „Unterhaltungsmusik“ ein. Das hat deutlich ungünstigere finanzielle Auswirkungen für den Komponisten, der aktuell mit seiner Familie in Norddeutschland lebt. Behauptet werde hier, die Oud sei kein „ernstes“ Instrument, und wenn in Shaul Bustans Stücken auch mal improvisiert wird, kann auch das wohl keine „E-Musik“ sein.
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