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Dobrinka Tabakova. Foto: Sussie Ahlburg/ECM Records
Dobrinka Tabakova. Foto: Sussie Ahlburg/ECM Records
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Von der besonderen Kraft des Unmittelbaren

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Die bulgarische Komponistin Dobrinka Tabakova im Porträt
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Ernsthaftigkeit ja, Ernst nicht immer. An manchen Stellen ihrer Werke erlaubt sich Dobrinka Tabakova kleine Wendungen, die mit der Bedeutungsschwere spielen. Vielleicht wirken die fünf Kompositionen, mit denen sie sich auf „String Path“ der zeitgenössischen Musikszene vorstellt, deshalb so frisch und frei. „London ist eine besondere Stadt“, meint Dobrinka Tabakova. „Man kann dort sein eigenes Erbe feiern, ist aber immer auch von vielen anderen Kulturen und Klängen aus aller Welt umgeben. Ich bin daher sehr glücklich, dass ich meine Musik dort entwickeln kann, denn ich bin von einer Vielfalt umgeben, die mich immer inspiriert.“ Dass sie dort als Elfjährige gelandet ist, war allerdings Zufall.

Denn Dobrinka Tabakova stammt aus Plovdiv in Bulgarien. Geboren 1980 in eine Familie von Akademikern, wuchs sie in behüteter und kunstinteressierter Umgebung auf. Musik stand zwar nicht im Zentrum, war aber Teil des Alltags und im Elternhaus präsent: „Mein Großvater zum Beispiel war Geschäftsmann, aber von klein auf auch Pianist. Diese Liebe zur Musik gehörte irgendwie zu unserer Familie. Wir hörten viel, gingen in Konzerte, und bald wollte ich auch mehr machen als nur zuhören. Mit sieben Jahren bekam ich erste Klavierstunden, von dem Moment an, als ich meine Hand auf die Tasten legen konnte, begann ich auch zu improvisieren. So bin ich Schritt für Schritt zur Komposition gekommen. Ich improvisiere übrigens immer noch täglich, es ist zu einem Teil meiner Kompositionsroutine geworden.“

Für das junge Mädchen jedenfalls stellte es sich als glückliche Fügung heraus, dass ihr Vater als Medizinwissenschaftler ein Stellenangebot vom  King’s College in London bekam. 1991 zog die Familie nach England um, und Dobrinka nützte die Chance, um sich bei der Junior Academy, der Abteilung der Royal Academy of Music für Minderjährige, zu bewerben. Sie wurde in einen Kompositionskurs aufgenommen, und so rückte die bis zu diesem Zeitpunkt nebenbei gepflegte Leidenschaft für klangliche Formgebung in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Was folgte, waren die strukturell typischen Stationen in der Biographie zeitgenössischer Künstler, der Abschluss an der Guildhall School of Music and Drama, eine Doktorantenstelle für Komposition am King’s College, erste Preise wie der Lutoslawski Kompositionspreis 1999, der Adam’s Prize des King’s College 2007, Konzerte und Aufträge in England, Hong Kong, Amsterdam oder auch Aufführungen wie beim Lockenhaus Festival in Österreich. Das wiederum war der Moment, wo der Grundstein für das erste Album Dobrinka Tabakovas mit ausschließlich eigenen Kompositionen gelegt wurde. Denn im Publikum des Konzerts ihrer „Suite in Old Style“ saß der Produzent Manfred Eicher, der es wiederum möglich machte, dass „String Paths“ für sein Label ECM New Series aufgenommen wurde. 

Und so tritt Dobrinka Tabakova nun in eine neue Phase ihrer Künstlerbiografie ein. Denn für „String Paths“ ging es darum, ein möglichst treffendes Programm zusammenzustellen, das für die nächste Zeit ihre musikalische Visitenkarte sein wird. Sie wählte Streichins-trumente als Thema, Kammermusik in wechselnden Variationen und Klang-ausformungen: „Zunächst geht es um das Gefühl, mit Streichern in verschiedenen Besetzungen zu arbeiten und auf diese Art und Weise einige Möglichkeiten dieser Instrumente vorzustellen. Darüber hinaus ist das Programm aber auch ein guter Querschnitt durch meine Musik. Außerdem fand ich es großartig, Stücke wie beispielsweise das Septett Such Different Paths oder auch das Trio Insight aufnehmen zu können, das Künstlern gewidmet ist, mit denen ich seit über 15 Jahren zusammenarbeite. Überhaupt gibt es viele Beziehungen zwischen den Musikern und den Werken, denn die meisten sind direkt für sie entstanden. Das Cellokonzert etwa ist Kristina Blaumane gewidmet, die Suite in Old Style Maxim Rysanov oder das Septett Such Different Paths Janine Jansen. So feiern die Aufnahmen genau genommen auch die musikalischen Partnerschaften, die ich schon seit Jahren pflege.“

Dazu gehört zum Beispiel die Ko-operation mit dem Bratschisten Maxim Rysanov, der auf dem Album außerdem als Dirigent des Litauischen Kammerorchesters fungiert. Aufgenommen wurde in Vilnius und Berlin, mit Solisten wie dem Geiger Roman Mints, der Cellistin Kristina Blaumane, dem Akkordeonisten Raimondas Sviackevicius oder auch der Geigerin Janine Jansen. Die Kombinationen erwiesen sich als klug gewählt, denn jedes der fünf Stücke hat diese besondere Kraft des Unmittelbaren. Dobrinka Tabakovas Musik erscheint auf überraschende Weise natürlich, trotz hohem Organisationsgrad gelingt es ihr, auf typische, die Komplexität des Geschehens betonende Signale der zeitgenössischen Klanggestaltung zu verzichten.

Man findet harmonische und trotzdem originelle, intertextuelle und zugleich originale Passagen in ihren Werken, von Andeutungen der Folklore in dem Trio Frozen River Flows über das stilistische Spiel mit der Vergangenheit in der Suite in Old Style bis hin zu unmittelbarer, persönlicher Ausdruckskraft: „Auf der einen Seite gibt es beispielsweise eine Tradition des Rückbezugs im 20. Jahrhundert mit Komponisten wie Penderecki, Lutoslawski oder auch Schnittke. Darüber hinaus aber geht es in der Suite vor allem um meine Liebe zu Rameau, insbesondere zu dessen Miniaturen etwa für Cembalo, die mit Ideen vollgepackt sind. Das bot sich für mich an, aus der Perspektive der Gegenwart wieder aufzunehmen, nicht die Musik als solche, sondern die Essenz davon. Dabei orientiere ich mich an Klängen, die bereits zu mir gesprochen haben. Musik im Kern ist ja Kommunikation, und ich versuche eben, in Beziehung mit ihr zu treten. Das ist eine der guten Eigenschaften unserer Zeit. Man muss nicht mehr in Stilen oder Schulen denken, sondern kann einfach Musik machen. Ich lebe in der Gegenwart, drücke alles aus, was ich in der Vergangenheit gehört habe, augenblicklich fühle und was relevant für die Zukunft sein könnte.“ Denn der Reiz besteht in der Offenheit, nicht in der Festlegung, auch für Komponisten.

CD-Tipp
Dobrinka Tabakova: String Paths (ECM New Series 2239)

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