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Auf die Feinheiten der Klangrede gestimmt: Chordirigent Peter Neumann. Foto: Kölner Kammerchor
Auf die Feinheiten der Klangrede gestimmt: Chordirigent Peter Neumann. Foto: Kölner Kammerchor
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Von der Liebe zur Musik

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Dem Chorleiter und Dirigenten Peter Neumann zum 70. Geburtstag
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Spielte Bach selbst, so weiß dessen erster Biograf Forkel zu berichten, dann geschah es, „dass jedes Stück unter seiner Hand gleichsam wie eine Rede sprach“, dass ihm die Stimmen zu dramatis personae gerannen, „die sich wie eine geschlossene Gesellschaft mit einander unterredeten“. Wenn er jedoch „starcke Affekten ausdrücken wollte, that er es nicht wie manche andere durch eine übertriebene Gewalt des Anschlags, sondern durch harmonische und melodische Figuren, das heisst: durch innere Kunstmittel“.

Derlei Äußerlichkeiten fern, sowohl der Gewalt der An- und Ausschläge, als auch den anderen Unsitten der historisierenden Aufführungspraxis, dem notorischen Schwer-Leicht einerseits, wie dem sinnentleerten Plappern der rhetorischen Figuren andererseits, sind allesamt die Interpretationen der Chormusik von Monteverdi bis Brahms, die Peter Neumann in den vergangenen über dreißig Jahren immer wieder aufgeführt und auch zahlreich eingespielt hat. Und damit – die Behauptung sei zu seinem 70. weniger gewagt als einfach gesagt – hat Peter Neumann für den vokalen Part der sogenannten Alte-Musik-Bewegung dieselbe Bedeutung erlangt, wie Reinhard Goebel für den instrumentalen. Beide haben neue Standards gesetzt, wie mit historisch reflektierter Instrumenten- und Stimmbehandlung tatsächlich Musik gemacht wird, mit ebenso viel Esprit, musikalischem Schwung und Hingabe zum Detail, wie mit Klangsinn und -schönheit. Das Kratzen und Stöhnen, das Stampfen und Schunkeln sollten nach Goebel als zwar notwendige, aber dann doch unausgereifte Modeerscheinungen ebenso überwunden gelten, wie nach Neumann das jeden Sinn entbehrende Konsonantenkrachen und Silbenhacken, das atem- und also geistlose Plappern halt irgendwelcher geistlicher oder weltlicher Gesangsworte. Und dagegen fallen „manche andere“ (Forkel) dann doch ab, bieten Routine (Herreweghe), Eiseskälte (Gardiner), Manier (Jacobs), Calvinistisches (Koopman) oder Abstraktion (Suzuki). Neumann, den am 8. März (!) 1940 gemeinsam mit Zwillingsbruder Martin in Karlsruhe geborenen Pastorensohn, verschlug es, nach Studien in Paris bei Gaston Litaize und Olivier Messiaen sowie in Berlin bei Michael Schneider, als Organisten und Kantor 1967 eher zufällig und widerwillig an die Kartäuserkirche der „Musikstadt“ Köln, er sollte jedoch zu einem ihrer wichtigsten und am längsten wirkenden Akteure, nicht nur der Alten Musik, werden. Zu verdanken ist dies zunächst der Tatsache, dass er mit der Kartäuserkantorei in hingebungsvoller Arbeit aus einem Kirchenchor einen der besten Oratorienchöre machte; mit Sicherheit zu verdanken ist das dem Kölner Kammerchor, mit dem Peter Neumann 1982 den Gran Premio Città di Arezzo gewann und mit dem er im Anschluss und bis heute stilprägend wirkte, in einem Genre, das, obwohl aus ganz anderem als dem institutionellen Geist gespeist, leider immer noch Professionalität mit geregelten Angestellten- und fein nachgerechneten Probenverhältnissen verwechselt. Das sei hier gesagt, weil, wie in der Neuen Musik, so auch in der Alten, die wahren musikalischen Impulse und Standards seit jeher von freien Ensembles und von „Laien“ gesetzt wurden, und für letztere bot die Kirche ein ebenso tragendes wie wohl verlorenes Fundament – für Neumanns Kammerchor in Köln, so wie auch in Dormagen für die Rheinische Kantorei seines Berliner Kommilitonen und geschätzten Mitkonkurrenten Hermann Max. Beider Kantorenstellen sind in ihren Gestaltungsmöglichkeiten (die sie beide mehr als nutzten!) mittlerweile ärgstens zusammengestrichen, aber diese sowie unzählige ähnliche Verluste bedauert nicht einmal der im Hinblick auf die kulturelle Tätigkeit der Kirchen doch so bemühte Kultur-Enquete-Bericht des Bundestages.

Zu verdanken sind aber Neumanns Erfolge in den Charts und auf den Podien, beileibe nicht nur die in Köln, vor allem einer, siehe oben bei Forkel, „inneren Einstellung“, einem Empfinden für die Bedeutung auch der kleinsten Notenwerte und -verhältnisse innerhalb eines großen Flusses, einer Gestimmtheit auf die Feinheiten der Klangrede – ganz so, wie Forkel es von Bachs Spiel berichtet –, und das eben über die Gänze der Stücke selber, on the long run, und nicht bloß über die Kurzstrecken ihrer Floskeln und Phrasen. Und so bietet Neumann auch stets ein deutliches Mehr an Musik als seine deutschen Antipoden und ihre, zugegebenermaßen unübertroffenen Alleinstellungsmerkmale: Bernius’ ätherischer Sopran-Spitzenklang schier Ligeti’scher Provenienz und Max’ glockenhelle, atemberaubende und so zu Tränen rührende Intonationsreinheit. Bei Neumann steht im Detail immer schon das Ganze auf dem Spiel, ist im Kleinsten Größtes enthalten. Und derart gefühlte durchgestaltete Zeit vollauf aus- und erfüllend, geraten ihm etwa die Riesenfolge von 68 Nummern der Matthäuspassion schier zu einem Moment atemlosen Staunens, ebenso wie die romantischen Kleinodien von „Wenn so lind“ oder „Kommt dir manchmal in den Sinn“ aus Brahms’ Liebesliederwalzern beziehungsweise Zigeunerliedern zu wahrhaft gro-
ßen Werken.

In dieser Art ist seine Gesamtaufnahme der Mozart-Messen (eine Großtat der deutschen EMI, als es sie noch gab) nach fast 20 Jahren immer noch maßstabsetzend, ebenso seine Einspielungen von mittlerweile sieben Oratorien Händels sowie der Chorwerke von Schütz und Schubert. Und so lässt sich von Peter Neumann lernen, was im Musikleben nicht oft zu erleben ist, nämlich dass und wie man den Gegenstand seiner Berufsausübung durchaus mögen, ja lieben kann, und wie sich das vermittelt: dass die Fixsterne am Repertoirehimmel, Monteverdi, Bach, Mozart, Brahms, dort nicht nur prangen, sondern dank „innerer Kunstmittel“ glühen, dank Sorgfalt und vor allem Hingabe.

Daher wäre zum 70. von Peter Neumann mehr uns, den Hörern, ein weiterer Gang durch die Institutionen zu wünschen, so wie ihn weiland ein anderer aus Köln, Günter Wand, auch spät antrat, auf dass diese sich der Hingabe öffneten und uns die Ohren aufgingen. In diesem Sinne: ad multos annos!

Der Autor Bojan Budisavljevic ist Künstlerischer Leiter des Netzwerk Neue Musik der Kulturstiftung des Bundes

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