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Das Neue-Musik-Ensemble „New Babylon“. Foto: Jakob Adolphi
Das Neue-Musik-Ensemble „New Babylon“. Foto: Jakob Adolphi
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Von Klängen und Kommunikation

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Ensemble New Babylon: neue Kompositionsaufträge zum Jubiläum
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Zum zehnjährigen Bestehen des Bremer Neue-Musik-Ensembles New Babylon wurden zehn Kompositionsaufträge aus verschiedenen Generationen, Kulturkreisen und ästhetischen Stilrichtungen vergeben, um die herum dann zehn unterschiedliche Programme konzipiert wurden. Ein Bericht von der Auftaktveranstaltung.

Kluge Programmierungen sind immer ein Genuss. Das zeigte sich wieder beim Auftaktkonzert zur Jubiläumsreihe „10 Jahre Ensemble New Babylon“ am 20. Februar 2022 im Sendesaal Bremen. Aufgeführt wurden drei Werke von in Bremen lebenden Komponistinnen, die sich alle um Kommunikation drehten. Das vom Ensemble bei Siegrid Ernst in Auftrag gegebene „Ein Regenbogen des Erinnerns“ war Kommunikation mit der eigenen Historie, „Contraverse“ von Rucsandra Popescu war eine Studie zur Kommunikation zwischen den Ausführenden und Younghi Pagh-Paans „Man-Nam I“ war eine introspektive Kommunikation mit sich selber. Dargeboten wurden diese drei unterschiedlichen und gleichzeitig so passgenau aufeinander Bezug nehmenden Werke von einem auf intensive und spielfreudige Kommunikation ausgerichteten Ensemble.

Es ist ausgesprochen mutig, mitten in der Pandemie einen Zyklus von 10 Konzerten anzugehen, denn der Planungsvorlauf begann kurz vorm ersten Lockdown. Der Hauptorganisator des Ensembles, der Oboist Benjamin Fischer, hat in seiner kurzen Begrüßung auch von Momenten der Mutlosigkeit gesprochen, die aber immer von einem trotzigen „Jetzt aber doch!“ beiseite gewischt wurden. Den Lohn für Mut und Mühe konnte man sich beim ersten Konzert der Reihe bei einem begeisterten Publikum im sehr gut besetzten Sendesaal Bremen abholen. Das Ensemble trat hier als Sextett auf mit Isabelle Raphaelis (Flöte), Martin Abendroth (Klarinette), Hsin Lee (Schlagzeug), Olga Holdorff (Violine), Hannah Craib (Viola) und Jakob Nierenz (Violoncello).

Younghi Pagh-Paans (geb. 1945) „Man-Nam I“ für Klarinette und Streichtrio aus dem Jahr 1977 eröffnete den Abend. Es ist ein Stück der inneren Konflikte, der Suche nach Identität und abschließender Versöhnung. Die überwiegend eher im piano-Bereich angesiedelte Musik changierte zwischen unstet wabernden Streicherklängen und vereinzelt explodierenden hektischen Gesten. Atmung als inneres Element musikalischer Gestaltung war hier exemplarisch wahrzunehmen, eine Gestaltung, die immer reich an Spannung war. Ausgesprochen atmosphärisch und zum Zuhören zwingend, wie der verlöschende Schluss des leise zupfenden Cellos über dem geraden Klarinettenton vom Ensemble dargeboten wurde.

Eine frühere Studentin von Pagh-Paan an der Hochschule für Künste Bremen, die 1980 geborene Rucsandra Popescu, stand danach auf dem Programm. Das 2007 im Auftrag des Ensemble Recherche komponierte „Contraverse“ für Altflöte, Streichtrio und Schlagzeug erweitert das berühmte Goethe-Aperçu vom Streichquartett als Gespräch zwischen vier vernünftigen Leuten zum putzmunteren Quintett, in dem nicht nur diskursiv sich ausgetauscht wurde, sondern auch gestritten, geplaudert, gezankt, sich versöhnt und auch mal – fast – geschwiegen wurde. Hoch virtuos, wie das Ensemble die anspruchsvolle Partitur meisterte, die den Instrumentalist*innen eine große Spannbreite zum Teil extremer Spieltechniken abverlangt. Hier, wie bei den beiden anderen Stücken auch, spielte das Ensemble ohne Dirigenten, ganz der eigenen Kommunikation vertrauend, was insbesondere „Contraverse“ so intensiv und in Teilen fast unterhaltsam machte.

Zum Abschluss wurde „Ein Regenbogen des Erinnerns“ für sechs Instrumentalisten der fast 93-jährigen Siegrid Ernst uraufgeführt. Eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Schaffen, in das etliche Zitate früherer Stücke eingewoben wurden. Das Schlagzeug diente dabei formal als gliederndes Element, ein Gong-Ereignis als Anfangs- und Schlusspunkt des Bogens - und dazwischen ein kunterbunter Reigen verschiedener Musiken von frühen pädagogisch ausgerichteten Kompositionen bis hin zu geräuschhaften Flächen und aggressiven Stürzungen. Siegrid Ernst entfaltete ein großes 25-minütiges Panorama an phantasievoll ausgehörten Klängen und demonstrierte mit großer Souveränität ihre jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit ganz unterschiedlichen Klangmaterialien. Das Ensemble spielte all dies mit punktgenauer Konzentration und spielfreudiger Ausgelassenheit.

Nach diesem Auftakt kann man gespannt sein auf die übrigen neun Konzerte. Großer Applaus für das Ensemble und Blumen für die Komponistinnen. Und dem Ensemble kann man nur weitere abwechslungsreich-spannende zehn Jahre (und mehr) wünschen.

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