Wer in diesen Tagen Irmgard Merkt zum 70. Geburtstag gratulieren will, hat zunächst die Qual der Wahl. Wem (zuerst) gratulieren? Auf diese Frage gibt es zahlreiche Antwortmöglichkeiten.
Man könnte zuerst der echten Münchnerin gratulieren, oder der authentischen Ruhrgebietlerin. Man könnte sowohl zuerst einer engagierten Musikpädagogin gratulieren oder einer höchst kompetenten Hochschullehrerin. Genauso aber auch einer Professorin, die verantwortungsbewusst und mit großer Diplomatie insgesamt vier Jahre als Dekanin der Fakultät Rehabilitationswissenschaften der Technischen Universität Dortmund vorstand. Man könnte einer erfahrenen und vielfältigen Chorleiterin (Schulchöre, Nachbarschaftschor, ein Friedenschor sowie ein inklusiver Chor) gratulieren, aber auch der Jägerin und Hüterin eines immensen (fast) verlorenen Liederschatzes.
Oder vielleicht zuerst der klugen Autorin und geistreichen Rednerin? Nicht zu vergessen, der vielgefragten Kollegin in zahlreichen Jurys sowie Besetzungskommissionen für Hochschulstellen in ihrem Fachgebiet. Ganz sicher könnte man auch als Erstes der Mit-Initiatorin des Förderpreises „Intakt“ der Miriam-Stiftung für Musikprojekte von, mit und für Menschen mit Behinderung ein Ständchen bringen. Und damit kommen wir zu der Funktion, in der sie vielleicht besonders gern Glückwünsche entgegennimmt: Als unermüdliche Verfechterin ihres Themas, als Visionärin in der Sache „Musik für alle“. In der Nachfolge ihres Doktorvaters Werner Probst hatte sie von 1992 bis 2014 an der TU Dortmund den Lehrstuhl Musiktherapie und -pädadogik in Rehabilitation und Pädagogik bei Behinderung inne. Dieser Lehrstuhl war zuletzt einzigartig im Bundesgebiet und verlieh der TU Dortmund sowohl für die sonderpädagogischen Lehramtsstudiengänge als auch für die außerschulischen rehabilitationspädagogischen Studiengänge eine Leuchtturmfunktion und eine hohe Attraktivität bei den Studierenden.
Die endgültige Wiederbesetzung des Lehrstuhls steht derzeit noch aus – man kann der TU Dortmund nur wünschen, dass sich hier eine Lösung findet, die die Tradition Musik in den Rehabilitationswissenschaften fortbestehen lässt. Irmgard Merkt hat früh erkannt, dass Inklusion und Musik sehr gut zusammen funktionieren, wenn man einige Merk(t)-Sätze beachtet. Etwa, dass Musik von und mit Menschen mit Behinderung nie zu Lasten der Qualität gehen darf. Um gesellschaftliche Wandlungsprozesse auch künstlerisch mitzuvollziehen, bedarf es gelegentlich eben neuer Formate.
Irmgard Merkt wurde, übrigens lange vor der UN-Behindertenrechtskonvention, zu einer Expertin und Multiplikatorin für diese neuen Formate und für deren Vermittlung. Mit „Europa InTakt“ schuf sie ein solches Format, in dem Musiker/-innen, Musikpädagogen und -pädagoginnen und Menschen mit Behinderungen aus unterschiedlichen Ländern voneinander lernten und miteinander musizierten. Neue Ansätze zur musikalischen Professionalisierung von Menschen mit Behinderung entwickelte sie im Projekt „Dortmunder Modell: Musik“, aus dem mehrere inklusive Ensembles hervorgingen. Mit dem bundesweiten „Netzwerk Kultur und Inklusion“ startete 2015 ihr jüngstes und von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördertes Projekt.
Dies alles wäre übrigens beinahe schiefgegangen, denn eigentlich hatte Irmgard Merkt begonnen, Operngesang zu studieren. Zu ihrer Planänderung in Richtung Schulmusik können sich die Disziplinen Musikpädagogik und Rehabilitationswissenschaften zunächst selbst gratulieren – und dann direkt in den Gratulantenchor miteinstimmen.