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Der Orgel-Ekstatiker Peter Bares an seinem Instrument. Foto: Reineke
Der Orgel-Ekstatiker Peter Bares an seinem Instrument. Foto: Reineke
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Wuchernde Phantastik

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Zum Tod des unbotmäßigen Organisten und Komponisten Peter Bares
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Organisten stellt man sich gerne als geflissentliche Musikbereiter der hehren Amtskirche vor: aufopferungsvoll dem Ritus dienend, aller modernen, gar modischen Exzentrik abhold, konservativ in mehrfacher Hinsicht, am bes- ten auch noch fromm. Selbst Olivier Messiaen mag dem Bild des gläubigen Katholiken entsprochen haben, der demütig unbeirrbar sein Organistenamt verrichtet. Der Avantgardist, erst recht der Komponist der erotischen Trilogie („Turangalila“, „Harawi“, „Cinq réchants“) wird darüber vergessen. Nun gibt es gar nicht einmal so wenige Kirchenmusiker, die es mehr mit der Moderne als mit der hierarchischen Tradition halten, die die Orgel lieben, nicht aber im Religiösen versinken, und die der Institution misstrauen – und entsprechend mit ihrer Gemeinde-Obrigkeit im Clinch liegen.

Exemplarisch hierfür stand, zumal im katholischen Rheinland, der Organist und Komponist Peter Bares: ein exemplarischer Unruhestifter. Geboren 1936 in Essen, studierte er dort an der Folkwang-Schule Kirchenmusik. Nach verschiedenen Stationen kam er 1960 nach Sinzig am Rhein mit seiner schönen spätromanischen Kirche.

Hier setzte er alles daran, eine neue Orgel zu installieren. Als entschieden charismatischer Spieler und vor allem Improvisator sah er in dem Instrument hauptsächlich eines der engagierten Moderne. Die neobarocken Ideale, auch Ideologien, der meist protestantisch geprägten Orgelbewegung schienen ihm ebenso anachronistisch wie die paraorchestrale Weihrauch-Ästhetik manch romantischer Monumentalwerke. So entwickelte sich Bares zum schroffen Gegner aller Historisierungs-Tendenzen und zum Verfechter eines von Grund auf innovativen Orgelspiels wie -baus. Folgerichtig konzipierte er für Sinzig ein partiell schier futuristisches Instrument, für das er ganz neuartige Register erfand und entwickelte: Saxophone, Schlagzeug der verschiedensten Art, wahrhaft unerhörte Obertonwirkungen. Wenn Helmut Lachenmann einmal meinte: letztlich komponiere er nicht für Orchester sondern das Orchester selber jedes mal neu – fast im Wortsinn des componere – dann hat Bares für die Orgel Ähnliches bewirkt. Erlebte man ihn beim Improvisieren, so wähnte man nicht selten, ein gänzlich unbekanntes Instrument zu hören – fast nach Art eines tönenden „Wolpertingers“.

Innovativer Elan

Bares schwärmte für riesige Dispositionen; dies aber nicht um der quasi sinfonischen Massierung willen, sondern mehr der fast unendlichen Kombinationsmöglichkeiten gerade im Subtilen. Dass Bares’ wuchernde Phantastik konservative Gemüter verwirrte, ihnen Assoziationen grotesker Exzesse, gar höllischen Blendwerks kamen, war kein Wunder. Zudem hatte er in Sinzig ab 1976 die Internationale Studienwoche für Neue Geistliche Musik initiiert, Anziehungspunkt für die international renommiertesten Organisten - und ein experimentelles Uraufführungs-Dorado. Bares’ Radikalismus und das Beharrungsvermögen der Amtskirche: Der Konflikt war vorprogrammiert und kulminierte in der Kündigung im Jahr 1985.

Bares’ innovativer Elan war kein Einzelfall. Auch Gerd Zacher in Hamburg und Klaus Martin Ziegler in Kassel bewegten nicht eben wenig. Am ehesten vergleichbar mit Bares war Reinhold Finkbeiner in Frankfurt, ebenfalls ein fulminanter Orgel-Ekstatiker und nicht minder rabiat auf Provokation der Kirchen-Obrigkeit aus.

Unmittelbare Kreativität

Bares hatte Glück: Der Jesuitenpater Friedhelm Mennekes an der Kunst-Station Sankt Peter in Köln machte sich für den Aufsässigen stark und holte ihn als Organisten, verhalf ihm überdies dazu, dort eine Orgel zu errichten, die noch mehr als die in Sinzig seinen Avantgarde-Vorstellungen entsprach. Wer Bares in Sinzig, Sankt Peter oder auch im Kölner Dom improvisieren hörte, bekam einen Begriff davon, wie unmittelbare Kreativität wirken kann. In einem Punkt allerdings war Bares strikt konservativ: Im „Sakro-Pop“ sah er einzig ein sowohl religiöses als auch ästhetisches Verbrechen. Wohl aber sah er sich als Komponist durchaus im Rückbezug zur Gregorianik.

Über dreitausend Werke, meist für vokale Besetzungen und auf lateinisch-liturgische Texte hat er komponiert, mal eher schlichte Kultus-Gebrauchsmusik, dann wieder atonal avanciert. An der Tradition hat der Chor-Komponist festgehalten. Doch „fromm“ war er nicht, glaubte auch nicht, dass er „in den Himmel komme“. Er lästerte gerne, schrieb satirische Gedichte, aß und trank gerne. Mit seinem majestätischen Bart entsprach er Kindervorstellungen vom „lieben Gott“. Gleichwohl hatte er ein entschieden irdisches Pendant in dem Wiener Blut-Aktionskünstler Hermann Nitsch: Rauschebart, gedrungene Figur, deftige Portionen und Provokationen und eine weitgefasste katholische Basis, ja sogar musikalische Professionalität, vereinte sie.

Am 2. März ist Peter Bares achtundsiebzigjährig in Sinzig gestorben. Dass ihm seine ehemalige Gemeinde das kirchliche Begräbnis verweigerte, lässt ahnen, wie sehr sein Kunst-Radikalismus und seine unkonventionelle Lebenweise als Pfahl im Fleische wirkten.

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