Jonas Khalil präsentiert sein erstes Album als klassischer Gitarrist, das Programm ist verblüffend und verblüffend spannend. Überhaupt fällt dieser Musiker etwas aus dem Rahmen des Gewohnten. Als Leadgitarrist einer Heavy-Metal-Band trat er schon in halb Europa auf.
Eugène Ysaÿes Opus 27 (aus dem Jahr 1924) gilt unter Violinisten als besondere Herausforderung – sozusagen der Mount Everest geigerischer Virtuosität. Mit zwei Sätzen aus der zweiten der sechs Solosonaten eröffnet Jonas Khalil sein Debütalbum. Jonas Khalil ist Gitarrist und hat auch nie Geige gespielt. Die Stücke von Ysaÿe lernte er 2014 bei den Musiktagen Bergell kennen, wo jeden Sommer Meisterkurse für Saitenmusiker stattfinden – eine seltene Gelegenheit für Geiger und Gitarristen, einander zu begegnen und wechselseitig zu inspirieren. „Meine Duopartnerin übte gerade den ersten Satz aus der zweiten Violinsonate“, erzählt Jonas Khalil. „Nachdem sie mir das Stück vorgespielt hatte, habe ich mir sofort die Noten ausgeliehen und musste erst mal laut lachen, weil sie so unglaublich gitarristisch aussahen. Ich kam aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus.“ Die Bach-Zitate in diesem Satz („Obsession“) waren ein weiterer Anreiz für Khalil, sich gitarristisch mit Ysaÿe zu beschäftigen. Als Ergänzung wählte er dann noch den zweiten Satz der Sonate, der fast ein wenig an ein Siciliano von Bach erinnert.
Mit früheren Gitarren-Bearbeitungen dieser Stücke hat sich Jonas Khalil nicht aufgehalten. „Ich wollte ja meine ganz persönliche Version machen und mich von nichts beeinflussen lassen.“ Genauso verfuhr er mit zwei Cellostücken von Gaspar Cassadó, denen er ebenfalls bei den Musiktagen Bergell begegnet ist – dieser Ausflug in die Schweiz hat sich für ihn wirklich gelohnt. Er kenne „nichts Besseres“, als „neue“ Stücke zu entdecken und sie fürs eigene Instrument zu erarbeiten, sagt Jonas Khalil. „Ich sehe es als ein Stück Herausforderung, das Gitarrenrepertoire zu bereichern. Ich werde mich bestimmt weiterhin daran versuchen.“ Auch die übrigen Werke auf seiner Debüt-CD haben den Reiz des Unverbrauchten. In den „6 Balkan Miniatures“ von Dušan Bogdanovic trifft man schon mal auf einen raffinierten 7/8- oder 13/16-Takt. Malcolm Arnolds „Fantasy“ suggeriert dagegen eine geradezu orchestrale Klanglichkeit. Und das abschließende Stück, eine Hommage an Philip Glass, stammt vom Gitarristen Jonas Khalil selbst. „Ich habe einfach versucht, Glass’ musikalische Sprache zu imitieren und auf mein Ins-trument zu übertragen. Er hat ja leider nichts für Gitarre solo geschrieben.“
Diese fesselnde Programmfolge bringt reichlich frischen Wind ins klassische Gitarren-Repertoire – eine mutige Entscheidung für einen CD-Debütanten, der 2016 gerade erst seinen „Master of Music“ gemacht hat. Doch ein Newcomer in der Musikwelt ist Jonas Khalil keineswegs. Seit mehr als zehn Jahren wirkt er als Gitarrist und Banjospieler bei Opern-, Musical- und Orchesterproduktionen mit, etwa bei den Schwetzinger Schlossfestspielen und den Clingenburg Festspielen, an Theatern in Karlsruhe, Pforzheim, Kaiserslautern und Gießen oder in der Stuttgarter Liederhalle. Er tritt regelmäßig auch als Solist und mit Kam-merensembles auf, schrieb eine preisgekrönte Filmmusik, hat drei Studiengänge und etliche Meisterkurse absolviert und ist diplomierter Musiklehrer. Unter seinen Gitarrenlehrern waren Björn Bagger, Olaf Van Gonnissen und Johannes Monno. Sein Postgraduierten-Studium hat er inzwischen bei Laura Young am Mozarteum in Salzburg aufgenommen.
Zu den musikalischen Aktivitäten von Jonas Khalil gehört aber auch diese: Seit 2005 ist er Lead-Gitarrist und Songwriter der schwäbischen Metal-Band Sacred Steel und hat mit ihr bereits vier Alben aufgenommen. In zehn europäischen Ländern stand er als Heavy-Gitarrist auf der Bühne. Mit 13 Jahren, sagt Jonas Khalil, sei er Heavy-Metal-Fan geworden, Bands wie Metallica und Megadeth gehörten zu seinen Favoriten.
„Die Liebe zur klassischen Gitarre hat sich erst recht spät herauskristallisiert, etwa zur Zeit des Abiturs. Gespielt hatte ich das klassische Repertoire bis dahin sozusagen nur nebenbei.“ Seine stilistische und technische Vielseitigkeit habe ihm nicht geschadet, sagt Khalil. „Ohne E-Gitarre könnte ich niemals so tolle Produktionen an Theaterhäusern spielen. Das ist eine unglaublich gute Schule für uns klassische Gitarristen, die wir viel zu selten mit so vielen großartigen Musikern zusammenspielen und von ihnen lernen können.“
Seine Vielseitigkeit dürfte mit ein Grund dafür sein, dass Jonas Khalil besondere Herausforderungen sucht und den Horizont des klassischen Gitarrenrepertoires erweitern möchte. Schließlich kann sein Instrument Schikanen meistern, von denen mancher klassische Gitarrist nur wenig weiß. „Sowohl an der klassischen Gitarre wie im Heavy Metal sollte man ein hohes technisches Level erreicht haben, bevor man überhaupt etwas spielt“, sagt Jonas Khalil. Auch wenn ihm die Musik von Sacred Steel nicht unbedingt fingertechnische Höchst-leistungen abverlangt, kennt er natürlich das Genre.
„Technisch gibt es viel, viel anspruchsvollere Bands, wie zum Beispiel Dream Theater, bei denen ausschließlich Virtuosen zugange sind.“ An der Metal-Gitarre schätzt Khalil derzeit besonders den amerikanisch-nigerianischen Gitarristen Tosin Abasi, der in der Formation Animals As Leaders mit seiner achtsaitigen Ibanez-Gitarre spieltechnische Maßstäbe setzt. „Er ist immer auf der Suche nach neuen Techniken und Klängen“, sagt Khalil. Auch Abasi ist einer, der die Grenzen nach draußen schiebt.
Aktuelle CDs
- Jonas Khalil: Debut / Hänssler Classic
- Sacred Steel: Heavy Metal Sacrifice / Cruz del Sur