Es funkelt und sprüht. Schöne Idee, vier Minguets bei der Arbeit zuzuhören. Nur einmal anders. Einmal nicht, wenn das Quartett vor sein Publikum tritt. Mit Mendelssohn, mit Rihm und Ruzicka, mit Widmann und Isang Yun. Was es so immerhin schon im 25. Jahr macht und uns damit ganz nebenbei auf den Umstand aufmerksam, dass es ein formidables Ensemble-Jubiläum (nach)zufeiern gilt.
Eines, das angesichts des Gründungsjahres 1988 beim einen oder anderen für das eine oder andere Augenreiben sorgen dürfte. Ja, sind uns die Minguets etwa so ans Herz gewachsen, dass wir vergessen haben, wie lange sie schon unser Cicerone sind, unser verlässlicher Wegweiser durch die Streichquartettliteratur von Klassik, Romantik und Moderne? Im Übrigen einschließlich der unserer eigenen Gegenwart, der neuen-alten, der ach so Unübersichtlichen, derjenigen, die noch keinen Namen hat und die doch für so manche Überraschung gut ist und die (nur der verstockte Kammermusikfreund mag nicht daran glauben) mit den Alten durchaus mithalten kann. Wofür uns auch das Minguet Quartet die Ohren geöffnet hat.
Kurz, hier wird eine Erfolgsgeschichte besichtigt. Eine, die das „Schöne-Kunst-für-alle“-Programm des Signor Pablo Minguet e Irol in die Gegenwart transponiert. Was der Namenspatron auf seine Fahnen geschrieben hatte, mit großen Lettern, war die bürgerliche Selbstaufklärung. Im Spanien des 18. Jahrhunderts wirkte der Unermüdliche als glühender Kunstvermittler. Probleme mit dem Instrumentalspiel? Mit diesen, mit jenen Tanzschritten? Geht! lautete die Botschaft. Wer will, meinte Pablo Minguet, der kann. Was des Vermittlers Erben in der aktuellen Besetzung Ulrich Isfort, Annette Reisinger, Aroa Sorin und Matthias Diener auf ihre Art aufgreifen, indem sie etwa eine Woche mit dem Komponisten Jörg Widmann in Montepulciano Streichquartett-Coaching betreiben. Den Zugang öffnen! Was wir jetzt weitergeben an „Schöner Kunst“, so das Minguet-Credo, brauchen wir morgen nicht mit hängender Zunge nachzuholen.
Auch dies gehört offenkundig zur Erfolgsgeschichte. Eine, für die es ein Geheimnis gibt? Anders gefragt: Wie sind sie so, die Minguets, wenn man sie einmal nicht beim Vorführen, sondern Einstudieren erlebt? Annette Reisinger sieht da kein Problem. „Eine ganz normale Probe soll es sein?“ Ja, bitte, genau das.
Ein anderer Brennpunkt
Die Örtlichkeit. unspektakulär. Don Bosco, Tiefentalstraße, Köln-Mülheim. Der Chorprobenraum: einer dieser älteren Backsteinkirchen, die sich in ihrem grau in grau so ganz dem Wohnen-Schlafen-Zurarbeitgehen-Trott der Umgebung angepasst haben. Auf dem Kirchengelände hat Don Bosco nicht umsonst eine Armenküche installiert. Was für die Minguets und wie sie arbeiten das entschieden falsche Stichwort ist. Wenn schon Küche, dann eine, die aus dem Vollen schöpft. Mit vier Sternen. Wenigstens. Nicht Armut, nicht grau in grau. Und vom sozialen Brennpunkt bleibt hier allein letzterer übrig.
10.05 Uhr: Milieufremde Töne weisen dem auf dem Kirchengelände suchenden Berichterstatter den Weg. Ja, Minguet scheint bereits auf Betriebstemperatur. Nur, dass sich in diesen herben Streichquartettklang gut hörbar ein anderes Instrument eingemischt hat. Der Probenbeginn gilt einem Werk, das zu den schwierigsten der Kammermusikliteratur zählt. Herausfordernd auch für vier mit allen Quartettwassern gewaschene Minguets. Die ersten zwei Stunden dieses Vormittages reserviert für Isang Yuns „Concertino für Akkordeon und Streichquartett“. Herzstück eines Programms, das bei den „Salzburg Contemporary“ zur Aufführung kommen soll. Das schwerste Eisen muss zuerst ins Feuer. Im Fünfer-Stuhlkreis, zwischen der Bratschis-tin Aroa Sorin und Annette Reisinger an der zweiten Geige, der Akkordeonist Stefan Hussong. Dessen Aufgabe: alles zusammenhalten. Man feilt an den Scharnierstellen. Die Tempi sind scharf, die Rhythmik vertrackt. Und doch soll und darf in diesem Concertino-Konzertieren nichts hektisch, verhaspelt klingen. Viel Arbeit für vier Minguets plus Gast. Viel Hör-Arbeit auch für einen, der nur dabei sitzt.
Wetterleuchten
12.10 Uhr: Fast pünktlich mit dem Glockenschlag ist man des Feilens an Klang und Klangbalance so weit zufrieden, dass man den Gast verabschieden kann. „Bis Salzburg dann!“ Ist jetzt Mittagspause? Von wegen! Ein sparsamer Fünf-Minuten-Break muss reichen. Die Beine vertreten, neu positionieren, stimmen, weiter im Text.
12.15 Uhr: Debussys „Andantino“ aus dessen Streichquartett op. 10 wird beim Salzburg-Konzert an zweiter Position stehen. Zuvor wird Hussong mit Hosokawas „Melodia für Akkordeon“ die Eröffnung gesetzt haben. Womit auch programmatische Architektur allmählich klar wird. Ein Eröffnungs- und ein Schluss-Hosokawa als äußerer Rahmen.
12.50 Uhr: Letzterer bekommt jetzt einen inneren dazu. Um die Mitte, um das Herzstück, um Yuns Concertino hat Minguet-Kuratorin Annette Reisinger zwei Stücke von Toru Takemitsu platziert. „Landscape“ und „A Way alone für Streichquartett“.
13.20 Uhr: Mit Weberns „Sechs Bagatellen op. 9“ ist das Quartett damit bei einem wirklichen Repertoirestück angelangt. „Vielleicht das Kürzeste, was es in der Musik bisher gegeben hat“, meinte einst der Komponist dazu. Die Minguets nehmen sich Zeit, knien sich in die Details, lassen hier und da das Metronom mitlaufen. Und das bei einem Werk, das das Quartett gut und gerne 300 Mal vorgetragen hat. Doch ausgerechnet hier vernehmliches Wetterleuchten im Binnenklima. Klare Sache. Stundenlanges Proben zerrt wohl ganz automatisch am Nervenkostüm.
Offenes Geheimnis
13.40 Uhr: Der programmierte äußere Ring des Salzburg-Konzerts ist erreicht, der Bogen zurückgeschlagen. Hosokawas 2007 entstandenes „Blossoming für Streichquartett“ greift die austarierte Ruhe des Anfangs auf. Wie weggeblasen jetzt auch die elektrischen Felder, die Emotionalentladungen.
14.10 Uhr: Im Pianissimo geht die Führung durch den japanischen Garten von Blossoming zu Ende. Haben wir damit das Finale dieses Proben-Marathons erreicht? – Keineswegs! Überraschend kramen alle neue Noten heraus. Des Rätsels Auflösung souffliert Primarius Ulrich Isfort. „Vor Salzburg noch mal kurz ans Konzert davor in Schloss Bissingen denken. Noch ein wenig arbeiten an der Koordination von Mendelssohns op. 81.“ Alles klar. Nach all den Gipfelstürmereien dieses Vormittages, nach dem Herausmeißeln eines mit Zentrum und Symmetrien beeindruckend komponierten Gegenwartsprogramms (Reisinger: „Auf einmal war es da.“), nach wenigstens vier Stunden Höchstleistungs-Musizieren jetzt als muskellockernde Zugabe das Abtauchen in einen Klassiker. In diesem Fall in Mendelssohns vier postum zusammengestellte Streichquartett-Sätze.
Wenn es ein Geheimnis dieser Erfolgsgeschichte namens Minguet Quartet gibt, ist es ein offenes: sich konzentrieren können, sich konzentrieren wollen. Und sicher auch dies: Heterogenes zur Einheit machen können. Eben wie ein Quartett, das erst durch die Arbeit daran zu einem solchen wird.
14.30 Uhr: Auf einmal geht alles ganz schnell. Hektische Aufbruchsstimmung. Nach Hause, und zwar sofort! Minguet geht, noch auf dem Gelände kommt das Don Bosco-Klientel entgegen. Ach ja, eine Frage hätten wir noch, das war –? „Ja, eine ganz normale Probe.“