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Von Oz nach Twin Peaks

Untertitel
Sound & Vision: Nachruf auf David Lynch
Vorspann / Teaser

Er gehörte zu den wichtigsten Filmregiseuren des späten 20. Jahrhunderts: David Lynch. Durch seinen innovativen Umgang mit dem Sounddesign seiner Filme prägte er auch das Klangerlebnis der Kinozuschauer. Man musste seine Filme von „Eraserhead“ bis „Lost Highway“ mit den Ohren sehen. Lynch revolutionierte das Hollywood-Kino auf der Tonebene. Während Orson Welles seinen „Citizen Kane“ noch als visuelles Hörspiel inszeniert hat und Alfred Hitchcock ein genialer Stummfilmregisseur geblieben ist, der in Bernard Herrmann (der vorher Welles‘ Hausmusikus gewesen ist) einen kongenialen Komponisten fand, legte Lynch seit seinen Kurzfilmen besonders viel Wert auf das Sounddesign. Für Lynch war Kino „ein bewegtes Bild. Mit Ton.“

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David Keith Lynch, geboren 1946 in Missoula, Montana, hatte seine Karriere als bildender Künstler angefangen. Aber irgendwann hat er bei seinen Gemälden etwas vermisst, den Ton. Und so hat er zusammen mit dem Sounddesigner Alan Splet seinen ersten längeren Film konzipiert: „The Grandmother“. 

Es ist 1970 ein Blueprint für das Werk, das da noch kommen würde. Der „nicht-zu-Ende-geborene“ Junge aus „The Grandmother“ ist der „Bruder“ des „mönchischen“ Special Agent Dale Cooper aus „Twin Peaks“, der von seinem filmischen „Blue Velvet“-Alter Ego Kyle MacLachlan verkörpert wurde. Und das ästhetische „Grandmother“-Konzept wurde erweitert in „Eraserhead“, der sich zum „Midnight Movie“-Klassiker der siebziger Jahre entwickeln sollte. Ein Avantgarde-Film, der durch die Verwendung des Tons bestach. Unvergesslich das Keuchen und Greinen des Babys das nachhallt wie all die Songs in seinen Filmen, von „Blue Velvet“ und „In Dreams“ über „Falling“ bis zu „Wicked Game“. Auch der Industrial Sound dieser enigmatischen „Nummern-Revue“ setzte Maßstäbe, auch im Pop-Universum.

Wer erinnert sich nicht an das bombastische Geräusch des entflammenden Streichholzes in „Blue Velvet“? Oder an das undefinierbare unterschwellige Pochen und Rauschen in „Lost Highway“? Lynch spielt auf der Soundebene mit der pränatalen Wahrnehmung des Zuschauers. Und sein treuer Hauskomponist Angelo Badalamenti lieferte die magische Musik im „Mutterbauch“ des Lynch-Kinos. Er beschallte all die Klangräume im pervers-idyllischen Lynch-Universum, von Dorothys Wohn-Höhle in „Blue Velvet“ bis zu dem Nachtclub in Lumberton, wo eine gewisse Laura Palmer ermordet wurde. „And it was only a dream“ heißt es in dem berühmten David-Raksin-Song, der durch Otto Premingers „Laura“ geistert wie all die Lynch-Melodien, die immer wieder in seinen Filmen wiederkehren, von „Eraserhead“ bis „Wild at Heart“, einer „Wizard of Oz“-Paraphrase. Richard Strauss’ „Im Abendrot“ klingt da tatsächlich wie eine Melodie aus „Twin Peaks“ und „Sailor“ Nicolas Cage glänzt dazu als perfekter Elvis-Impersonator. 

Wobei natürlich Dean Stockwells gespenstische „In Dreams“-Performance alles überragte. Der Roy-Orbison-Hit ist vermutlich das Herzstück des Song-Universums von Lynch. Oder vielleicht ist es doch Jimmy Scotts Darbietung von „Sycamore Trees“ in „Twin Peaks – Fire Walk With Me“. Eine Originalkomposition von Badalamenti (am Bass: Ron Carter), zu der Lynch die traumhaften Lyrics schrieb. Mit „Inland Empire“ hat sich Lynch schon 2006 vom Kino verabschiedet. Danach widmete er sich wieder verstärkt der Malerei und der Musik. In den letzten Jahren entstanden noch zwei wunderbare Alben: „Crazy Clown Time“ und „The Big Dream“. 2022 starben zwei seiner engsten musikalischen Mitstreiter: die Sängerin Julee Cruise und sein Hausmusiker Angelo Badalamenti. Am 15. Januar folgte ihnen David Lynch. Im Rahmen des „Wildfire“, das Los Angeles heimsuchte, hatte er kurz vorher sein Haus verlassen müssen.

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