Hauptbild
Maria Jonas (re.) mit Bassem Hawar. Foto: Duo Sanstierce/Website

Maria Jonas (re.) mit Bassem Hawar. Foto: Duo Sanstierce/Website

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Zwischen Hildegard und Heute

Untertitel
Zum Tod der Sängerin und Ensembleleiterin Maria Jonas
Vorspann / Teaser

In Anlehnung an das weibliche Pendant der okzitanischen Trobadors des 11. bis 13. Jahrhundert verstand sich diese Musikerin als „Trobairitz“. Die Dichterinnen, Komponistinnen und Sängerinnen in Personalunion sorgten in Südfrankreich einst mit höfischen Liedern für Unterhaltung, Information und Belehrung. Und weil es um lebendige Vergegenwärtigung von Lyrik ging, wurden Melodien nur in Ausnahmefällen überliefert. Ein heutiger Vortrag der mittelalterlichen Quellen kommt daher nicht ohne Improvisation aus. Das Ergebnis schwankt zwischen einer Rekonstruktion alter Musik und der Hervorbringung von neuer. Maria Jonas nannte ihren Ansatz daher kess „free medieval music“.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

1957 in Brühl geboren, lernte sie zunächst Klavier, Blockflöte und Violoncello. Schließlich studierte sie Oboe an der Kölner Musikhochschule. Statt sich um eine Orchesterstelle zu bewerben, ging sie anschließend jedoch nach Venezuela, wo sie sieben Jahre lang eine Musikschule leitete. Hier hörte sie eines Tages Montserrat Figueras singen und entschied sich, ihren alten Kindheitstraum zu verwirklichen und Sängerin zu werden. Sie nahm Unterricht beim gefeierten Opernstar in Barcelona sowie bei Jessica Cash in London und René Jacobs an der Schola Cantorum Basiliensis. Als Opernsängerin tourte sie mit dem Europäischen Barockorches­ter unter Roy Goodman und den English Baroque Soloists unter John Eliot Gardiner. Vor allem gründete die kontaktfreudige und nach allen Seiten offene Sängerin mehrere Formationen, Duos, Trios und Quartette für alte und improvisierte Musik in und zwischen statischen Stilstühlen. Durchweg in Brühl zu Hause, war die quirlige Rheinländerin die meiste Zeit in der halben Welt unterwegs.

Mit dem Quartett „Palatino 87“ widmete sie sich zu Laute, Fidel und Blockflöte der italienischen Musik des 14. Jahrhunderts. Bei „Ludus Venti“ ging es um das möglichst originalgetreue Klangbild von Hofkapellen des 16. und im „Monteverdi-Ensemble“ um Madrigale und Arien des frühen 17. Jahrhunderts. Im Duo „Ala Aurea“ interpretierte sie mit der Fidelspielerin Susanne Ansorg mittelalterliche Lieder. Die von ihr gegründete und geleitete Frauenschola „Ars Choralis Coeln“ debütierte 2004 beim traditionellen Abschluss des Festivals Romanischer Sommer Köln in der Basilika St. Maria im Kapitol. Die sechs Sängerinnen widmen sich primär gregorianischen Gesängen, allen voran Hildegard von Bingen. Davon zeugen die CD-Einspielungen „Prima materia“, „Ordo Virtutum“ und „In festis Beatae Mariae Virginis“. Gesungen wird abwechselnd solistisch und chorisch sowie wahlweise zu Flöte, Trommel, Schelle, Glöckchen, Psalterium. Gelegentlich standen auch Uraufführungen auf dem Programm, so 2013 María de Alvears „Magna Mater“ beim Festival de Música religiosa im spanischen Cuenca. Die in farbige lange Gewänder gehüllten Sängerinnen zeigten die historische Bedeutung von Frauen in Kirche und Kultur und stellten diese der gegenwärtigen katholischen Kirche entgegen.

Mit dem irakischen Djoze-Spieler Bassem Hawar bildete Maria Jonas 2014 „Sanstierce – بلابعد ثلاثي“. Jenseits der Dur-Moll-Tonalität zielte man „ohne Terz“ – so der Name – auf modale Musik, deren europäische und arabische Traditionen in der Heptatonik des Mittelalters gemeinsame Wurzeln haben. Mit großer Leichtigkeit und Raffinesse verband das Duo Orient und Okzident, allem realen und behaupteten „Clash of Cultures“ zum Trotz. Während sich die arabische Welt politisch und religiös bekriegt, brachten Jonas und Hawar deren Musik sowohl im Duo als auch mit ihren Ensembles „Ars Choralis Coeln“ und „Nouruz“ ganz selbstverständlich zusammen. Überschlug sich die improvisatorische Laune der Vokalistin im Konzert einmal zu ausgelassenem Lachen, so lachte ihr Hawars Djoze kongenial zurück.

Wie in der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln recherchierte Maria Jonas alte Codices auch in anderen Archiven, um herauszufinden, welche Musik in welchen mittelalterlichen Kirchen und Klöstern zu welchen Anlässen oder Festtagen gesungen wurde, um genau diese Musik wieder an die Orte ihrer Entstehung vor vielen Jahrhunderten zurückzubringen. Dazu rief sie 2019 die kreuz und quer durch Nord­rhein-Westfalen tourende Reihe „Klos­terKlaenge“ ins Leben. Ihre historische Forschung und praktische Musikausübung vermittelte Jonas auch im Rahmen von Lehraufträgen an den Musikhochschulen in Leipzig und Köln. Von 1999 bis 2017 unterrichtete sie an der Folkwang-Universität der Künste Essen im Master Musik des Mittelalters. Gastdozenturen führten sie außerdem an die Hochschulen und Universitäten von Limerick, Belgrad, Ljubljana, Rostock, Zürich, Kassel und Tilburg.

2008 übernahm sie die künstlerische Leitung der jährlichen interkulturellen Begegnung „Klangwerkstatt“ im Kolumba Kunstmuseum des Erzbistums Köln. Die Sängerinnen von Ars Choralis ließen sich dazu auf Projekte mit wechselnden Musikschaffenden anderer Sparten ein, darunter Pauline Oliveros, Nora Thiele, Vladimir Ivanoff, Samira Kadiri und Bassem Hawar. Im Juni 2024 feierte „Ars Choralis Coeln“ beim Romanischen Sommer Köln das zwanzigjährige Bestehen. Äußerlich bereits von chronischen Krankheiten und Diabetes gezeichnet, sang Maria Jonas unvermindert mit strahlender und beweglicher Stimme. Und wie stets überragte die großgewachsene Frau die kleine Schar ihrer Novizinnen wie eine Äbtissin. Neben der Musik ging es der rheinischen Katholikin stets auch um die spirituellen Botschaften der Heiligen Hildegard, etwa die „Viriditas“, wörtlich Grünkraft. Diese habe das Universum hervorgebracht und sei in der Lage, die gesamte Natur, Tiere, Pflanzen, Mineralien und den Menschen zu heilen, bis dereinst alles wieder in die schöpferische Kraft Gottes zurückkehre. Am 23. Dezember 2024 ist Maria Jonas im Alter von 67 Jahren völlig unerwartet in ihrer Brühler Wohnung gestorben.

Ort
Print-Rubriken
Unterrubrik