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Konzert für Terezín: Simon Roturier, Barbara Buntrock und Jakob Spahn in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Foto: Sven Sewitz
Konzert für Terezín: Simon Roturier, Barbara Buntrock und Jakob Spahn in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Foto: Sven Sewitz
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Mit Erinnerungsarbeit die Zukunft gestalten

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Benefizkonzert von „musica reanimata“ und der Hans-Krása-Stiftung Terezín für die Restaurierung der Orgel von Terezín
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Eine Orgel für Theresienstadt – der Gedanke weckt zunächst zwiespältige Empfindungen. Zu sehr wird das nordböhmische Garnisonsstädtchen, 1780 vom österreichischen Kaiser Joseph II. gegründet, ausschließlich als der Ort des Schreckens gesehen, der es von 1941 bis zur Befreiung durch die Rote Armee sein musste.

Vom Ghetto Theresienstadt aus wurden die meisten der dort inhaftierten tschechischen und deutschen Juden, Dänen, Russen und Polen direkt in die Gaskammern von Auschwitz geschickt, insgesamt 87.000 Menschen, darunter viele Kinder; 35.000 starben im Ghetto selbst. Da hier viele Künstler und Intellektuelle zusammenkamen, entwickelte sich paradoxerweise ein reiches musikalisches und kulturelles Leben, das die Nazis für die Propaganda eines „Vorzeigelagers“ nutzten. In Hans Krásas Kinderoper „Brundibar“ oder Viktor Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis“ entfaltete sich Musik als Sprache der Menschlichkeit, die in krassem Gegensatz zum Elend des Lageralltags stand, ihn ebenso ertragen half wie kritisierte, die Vision einer Gegenwelt entwarf. Doch die „Königin der Instrumente“, zur Anrufung höchster Ideale und spiritueller Werte gedacht, scheint hier doch fehl am Platz. Tatsächlich verboten die Nazis, die Orgel der Garnisons- und Pfarrkirche „Auferstehung Christi“ zu spielen. Das Benefizkonzert, das musica reanimata, Förderverein zur Wiederentdeckung NS-verfolgter Komponisten und ihrer Werke, zusammen mit der Hans Krása-Stiftung Terezín in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche für ihre Restaurierung veranstaltete, könnte damit auch zu einem Stück mehr „Normalität“ für den Ort führen, indem er mit einer anderen Vergangenheit als der der NS-Herrschaft verknüpft wird.

Erinnerungsarbeit, die die Zukunft gestaltet, indem sie die Wiederholung vergangenen Unrechts verhindert, mahnten auch Bundestagspräsident Norbert Lammert und der tschechische Botschafter Rudolf Jindrák in ihren Grußworten an. Die Anwesenheit der Botschafter Tschechiens, Dänemarks und Großbritanniens, der Bürgermeisterin von Terezín sowie Mitglieder der Initiative der Überlebenden von Theresienstadt – darunter Greta Hofmeister, die vor fast 70 Jahren die Aninka in Hans Krásas Kinderoper „Brundibár“ sang – unterstrich die Bedeutung der Veranstaltung an diesem 8. Mai, Tag der Befreiung vom Faschismus. Dass sie dennoch nicht zur musealen Gedenkstunde mit Pflichtstücken von „Theresienstädter“ Komponisten wurde, lag an einer breitgefächerten Programmgestaltung, die Zeitgenössisches und romantische Komponisten einbezog, damit die Reichhaltigkeit der damaligen Theresienstädter Programme spiegelte.

Die schlichten Gesänge der Ilse Weber stimmten auf das Thema „Theresienstadt“ mit allen Ambivalenzen ein – einer Dichterin, die tagsüber als Krankenschwester im Kinderkrankenhaus arbeitete, nachts sich Kummer und Todesangst des Lagerelends von der Seele schrieb. Im Herbst 1944 begleitete sie „ihre“ Kinder (auch ihr Sohn war dabei) ins Gas. Vordergründig harmlos, enthalten ihre Lieder ein unterschwelliges Spektrum jäh wechselnder Emotionen. Die Sehnsucht nach Freiheit bestimmt „Ich wandre durch Theresienstadt“, Melancholie prägt „Und der Regen rinnt“, flatternde Ungewissheit „Polentransport“. Ilse Weber selbst sang zur Gitarre, Winfried Radeke gab ihren vom „Ensemble Zwockhaus“ gesungenen Melodien ein fast zu sinnlich einschmeichelndes Klanggewand von Bajan, Gitarre und Kontrabass.

Stark dazu der Kontrast der hochartifiziellen Werke von  Hans Krása, Viktor Ullmann und Gideon Klein. Mehr noch als aufgrund des Schicksals der Komponisten beeindruckten sie durch eine musikalische Qualität, die den Zuhörer bestürzt ob solcher Verluste zurücklässt – die Musikgeschichte wäre anders verlaufen, hätten sich diese Begabungen unbeeinträchtigt entwickeln und in die Gegenwart hineinwirken können. Das Trio für Streicher von Gideon Klein, seine letzte, kurz vor dem Abtransport nach Auschwitz entstandene Komposition, stößt in durchweg atonaler Anlage auf den Spuren Janáčeks bis in die Ausdruckswelt Alban Bergs vor; ungeheuer anrührend vor allem der langsame, knapp angelegte Variationensatz. Ein so dichtes, farbiges Klangbild dreier Streicher gab es vielleicht seit Beethoven nicht mehr, in der sensiblen Wiedergabe durch Simon Roturier, Violine, Barbara Buntrock, Viola, und den Cellisten Jakob Spahn trotzdem immer transparent. Nicht minder faszinierend Hans Krásas „Tanz“ genanntes Trio für Streicher, in flirrenden Klangschichten fast impressionistisch anmutend. Krása, der bei Alexander Zemlinsky und Albert Roussel studiert hatte, machte vor allem mit der Oper „Verlobung im Traum“ Furore, für die er zwar 1930 den Tschechoslowakischen Staatspreis erhielt, die aber erst 60 Jahre nach ihrer Uraufführung wiederentdeckt werden und die verdiente Beachtung finden konnte.

Zwei Chorsätze von Klein zeugten ebenfalls von der großen Begabung und Entwicklung dieses nur 24 Jahre alt gewordenen Komponisten: mit lupenreiner Frische und Zartheit sang der tschechische Frauenchor „Cantica Bohemica“ unter seinem Leiter Vladimír Frühauf das hebräische „Bachuri le’an tissa“, das Robert Schumanns „Wassermann“ erstaunlich verwandt klang – ein überraschendes jüdisch-deutsches Zusammentreffen in  der Romantik, dessen Rätselhaftigkeit Mendelssohns geistlich-deutsches „Beati omnes“ nur verstärkte. Auch Viktor Ullmann entzückte mit dem 1943 geschaffenen, leicht und launig daherschwebenden jiddischen Volkslied „Yomi, yomi“. Der deutsche Laienchor „Berliner Cappella“ hingegen konnte bei Kleins sehr komplexem, chromatisch durchsetztem „Madrigal“ auf Worte des späten Hölderlin nicht die geforderte Intonationsreinheit und Intensität aufbringen und tatz sich auch mit Gesängen von Franz Schreker und Brahms recht schwer.

Mit „Capriccio per Siegfried Palm“ von Krzysztof Penderecki hatte der fulminante, seit seinem 16. Lebensjahr für die „Theresienstädter Komponisten“ engagierte Cellist Jakob Spahn einen hochvirtuosen Einstand geboten, dessen wilde Triller und Tremoli – zumindest in diesem Programmzusammenhang – auch als Schmerzensausbrüche gedeutet werden konnten, an das Leid des polnischen Volkes erinnernd. Wer hätte gedacht, dieses doch den Modernitätsdogmen widerstrebende Stück von 1968 einmal als so „modern“, geradezu avantgardistisch empfinden zu können? Weniger glücklich war die Auswahl zeitgenössischer tschechischer Komponisten.

Es war gewiss legitim, auch die Orgel der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu Wort kommen zu lassen, da sie dem Instrument in Terezín in romantisch weichen Registern ähnlich sein soll und einen Eindruck von seinem Klang nach der Restaurierung geben konnte. Der tschechische Organist (und Doktorand der Chemie) Martin Maximilian Kaiser entfaltete den Glanz eines G-Dur-Präludiums von Bach und wandte sich dann mit dumpferer Klanggebung „Drei Liedern über die Liebe“ für Mezzosopran, Orgel und Violoncello von Jaroslav Krček zu. Der 1939 geborene Komponist, ehemaliger Musikdirektor von Radio Pilsen und Redakteur der Plattenfirma „Supraphon“, nutzt böhmische Folklore, aber auch elektronische Klangmittel als Inspirationsquelle. Die „Lieder“ nach dem Korinther-Brief des Paulus (die Textvorlage für die „Vier ernsten Gesänge“ von Brahms) setzt er in gewundene, stets klagend anmutende Melismatik, ein wenig an jüdische Kantillation erinnernd. Schwer zu sagen, was das im Zusammenhang mit dem Text über die alle Todesschmerzen auflösende Liebe zu bedeuten hat – rein musikalisch wirkt das weniger befriedigend. Ebenso war Kaisers Begeisterung für den Organisten, Komponisten und Pädagogen Bedřich Antonín Wiedermann (1883-1951), an dessen Biografie er gerade arbeitet, nicht so recht nachvollziehbar: Seine „Humoreske“ erscheint als eher dünnes folkloristisches Stückchen. So klang der Abend etwas indifferent aus, dem starken Penderecki-Einstieg nicht entsprechend. Dennoch faszinierte er als beziehungsreiches Programm und zudem als Begegnungsforum für die allesamt ohne Honorar auftretenden tschechischen und deutschen Künstler – ein musikalisch-politisches Ereignis, wie es sie viel öfter geben müsste, dessen Fazit aber vor allem lautet: Mehr Klein und Krása in unsere Konzertprogramme!

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