Gewiss, die Herren Rezensenten (und die immer noch zu wenigen Damen in dieser Profession) sind allesamt und jede(r) für sich Nonkonformisten, Individualisten, seltsame Käuze oder schräge Vögel. Doch bei keinem (und keiner) schnappt der Originalitäts-Quotient so himmelhoch wie bei Gerhard Rohde. Der Verleger Klaus Wagenbach umkränzte seinen Autor Erich Fried einst mit dem schönen Tendresse-Namen „Getüm“. Nach dem Tode des Dichters sollte dieser nicht herrenlos bleiben.
Gewiss, die Herren Rezensenten (und die immer noch zu wenigen Damen in dieser Profession) sind allesamt und jede(r) für sich Nonkonformisten, Individualisten, seltsame Käuze oder schräge Vögel. Doch bei keinem (und keiner) schnappt der Originalitäts-Quotient so himmelhoch wie bei Gerhard Rohde. Der Verleger Klaus Wagenbach umkränzte seinen Autor Erich Fried einst mit dem schönen Tendresse-Namen „Getüm“. Nach dem Tode des Dichters sollte dieser nicht herrenlos bleiben.Ich schlage vor, ihn unserem Siebzigjährigen anzuheften, in Respekt und Zärtlichkeit. Letztere ist schriftlich möglich. Mündlich gebietet die Anwesenheit Rohdes allemal eine wohltuende Portion Understatement, untermischt mit etwas Raunzigkeit und unausgesprochenen Anforderungen an verbale Schlagfertigkeit und Witz. Immerhin weiß der Gesprächspartner, dass er in diesem Pingpong mit dem munteren „Getüm“ Gerhard schwerlich gleichzuziehen vermag. Allerdings sekkiert dieses niemals mit überlegen, gar einschüchternd dargebotenem Geistreichtum.Noch das Klügste, Treffendste hat bei Rohdes Pausengesprächen leicht einen sozusagen kunstvoll nuscheligen Beigeschmack von Makulatur, von „beiseit“ gesprochen – durchaus in jenem bedeutenden Sinne Robert Walsers, der seine Perlen virtuos als Kehricht drapierte. Freilich geht Rohde mit seinen Luziditäts-Blitzen noch weitaus generöser, ja achtloser um, indem er sie gesprächsweise davonwehen lässt (dabei aber immerhin der liebevollen Erinnerung der Zuhörer anvertraut), das Grellste und Schneidendste davon aber selten in die Textform einbringt. Dass der amüsante Pausenplauderer Rohde und der analytisch geschliffene Schreiber Rohde (scheinbar) zwei ganz verschiedene Subjekte sind, wurde von Lesern, die nüchterne Arbeit leisten müssen (wenngleich sich oft genug auch der kenntnisreiche Enthusiasmus des Theater- und Musikhabitus’ auf sie überträgt) immer wieder auch bedauert. Doch die Besonnenheit und Zurückhaltung der Verschriftlichung des Urteils entsprechen allerbester Kritiker-Moral. Gerhard Rohde kann stolz sein auf jede Pointe, die er beim Schreiben nicht knallen lässt. Wahrheit und Fairness sind für ihn die geeignetere Richtschnur. Die vom Gegenstand sich ablösende selbstgefällige Zurschaustellung von Brillanz erachtet er als nicht textwürdig. Eben damit weist sich seine kritische Souveränität aus.
Damit ist Rohde besonders genug und ein Tugendausbund seiner (unserer) Zunft. Doch ist es sicherlich gestattet, und der „privaten“ Originalität des Jubilars nachzusinnen, einer (ungeachtet der Vorliebe für britisches Anzugs-Grau) durch und durch unbürgerliche Existenz.
Sie erweckt zudem die Vermutung, dass aus ihr das „Private“ gelöscht sei. Gerhard Rohde ist natürlich „immer im Dienst“ gemäß jener gesundheitsförderlichen und jung erhaltenden biografischen Ökonomie, die Arbeit zur Arbeit und gleichfalls zur Erholung macht. Es könnte sein, dass Gerhard Rohde jedes Jahr 366 (in Schaltjahren logischerweise 367) Abende in einem Theater oder Konzertsaal verbringt. Es gibt nur einen Ort, an dem er sich, in Stunden gemessen, noch ausgiebiger aufhält: sein Auto. Mit diesem fährt er heute von Frankfurt nach Aix-en-Provence und zurück, morgen weiter nach Amsterdam und zurück, übermorgen nach München und so weiter. Am sesshaftesten mutet er noch an, wenn er in bestimmten Intervallen drei Tage hintereinander in dem ehemaligen kleinen Dorf Grass bei Regensburg Zeitung (nämlich die neue musikzeitung) macht. Grass liegt in Sichtweite der Autobahn, und ich bin ziemlich sicher, dass Rohde, der viele Schleichwege kennt, auch hier nicht die offizielle Ausfahrt benutzt, vielmehr eine apokryphe kilometersparende Abkürzung weiß.
Mobilität und Zuverlässigkeit sind bei ihm zudem dialektisch miteinander verkoppelt. Man trifft Rohde dementsprechend nicht nur zuverlässig bei allen als wichtig anfälligen Theater- und Konzertereignissen, sondern, so gut wie täglich um die spätere Mittagszeit, irgendwo im Schatten der Alten Oper Frankfurt. Die vermeintliche Bodenständigkeit, mit der er regelmäßig diese musikalisch und gastronomisch imprägnierte Mall genießt, gibt ihm die Antäus-Kraft, mit der er seine nächtlichen Fahrten durch halb Europa schafft. Gerhard Rohde weiß, wir alle wissen es und freuen uns darauf: morgen Mittag wieder in Frankfurt.