Kompositionspädagogik? Muss das wirklich sein? Auf diesen Stoßseufzer eines befreundeten Komponisten kann man ganz einfach antworten: Ja, unbedingt! Und zwar überall dort, wo Komposition oder Komponieren gelehrt und gelernt wird. Denn mittlerweile gibt es ja eine Vielzahl an Möglichkeiten, Komposition zu unterrichten und im Komponieren unterrichtet zu werden: Das Angebot an Kompositionsunterricht in Musikschulen oder Kompositionsworkshops an Schulen nimmt zu, Opern- und Konzerthäuser bieten Kompositionsprojekte an, Förderprogramme der Länder stellen Gelder für Kooperationsprojekte zur Verfügung und Musikvermittler führen Fortbildungen oder Weiterbildungen für Musiklehrer*innen durch.
Die Lernvoraussetzungen und Lerngruppen unterscheiden sich dabei stark voneinander: Grundschüler*innen in einem Hörspiel-Kompositionsprojekt müssen anders angesprochen und angeleitet werden als Komponierende einer Hochschule; die Schülerinnen und Schüler einer Kompositionsklasse bringen andere Voraussetzungen mit als diejenigen einer 9. Klasse einer allgemeinbildenden Schule. Eine Jugendliche, die Songs schreibt, braucht andere Impulse als ein Erwachsener, der in seiner Freizeit an Sonaten feilt und die kompositorischen Interessen bei einem Elektronikfrickler sind vielleicht etwas anders gelagert als die bei einer Gruppe Musikpädagog*innen einer Lehrer*innenfortbildung zum Thema „Neue Musik im schulischen Kontext“.
Heterogenes Arbeitsfeld
Nicht nur die Zielgruppe ist dabei in Alter, Vorbildung und Absicht stark heterogen, sondern auch die Formate. Die Vorbereitung eines Einzelunterrichts in einer Musikschule unterscheidet sich stark von der einer Songwriting-AG, ein Wochenendworkshop will anders strukturiert werden als ein sechswöchiges Kompositionsprojekt an einer Schule oder eine regelmäßige Kompositionswerkstatt, eine Fortbildung sollte anders aufgebaut werden als eine Kennlernstunde in Partiturkunde. Noch dazu, wenn die kompositorischen Interessen der Teilnehmer*innen von Pop bis Tonsatz, von Filmmusik bis zu Neuer Musik, von Jazz bis zur Klanginstallation auseinanderstreben. Wo und wie soll man dort beginnen? Wo bekommt man Unterrichtsmaterialien her? Wie baut man eine Stunde spannend, abwechslungsreich, zielführend und gewinnbringend auf?
Komponistinnen und Komponisten, die in diesem heterogenen Arbeitsfeld tätig sind, sind in der Verantwortung, ihre Schüler*innen fachlich kompetent zu begleiten, deren individuellen Weg zu unterstützen, sie zu motivieren und anhand altersentsprechender Reflexionen in ihrem eigenverantwortlichen kompositorischen Handeln zu fördern. Sie unterrichten in der Regel nach der „learning by doing“ Technik zunächst ohne pädagogisches Knowhow, ohne solides didaktisches Konzept und ohne strukturierte Lehrmethode. Und merken oft dabei: So manchen pädagogischen Fehler, der eigentlich vermeidbar gewesen wäre, kann man durchaus mehrmals und immer wieder machen! Kompositionspädagogik scheint von daher unabdingbar.
Dennoch, so könnte man dagegen argumentieren, haben doch genügend Studien gezeigt, dass Lernerfolge zu einem großen Teil eher von der Persönlichkeit der Lehrenden als von deren pädagogischer Hintergrundbildung abhängen. Warum sollen sich Komponist*innen also für ihren pädagogischen Nebenjob nun auch noch fortbilden? Ist der Aufwand nicht etwas arg groß? Sind die Unterrichtenden dann irgendwann eher komponierende Pädagog*innen statt lehrende Künstler*innen? Und außerdem: Ist Kompositionspädagogik womöglich ein Bestreben, Komponierenden den ‚richtigen‘ Umgang mit dem Material beizubringen? Kann Komponieren überhaupt ‚richtig‘ unterrichtet werden?
Kompositionspädagogik ist erst einmal ein Ansatz, den Unterrichtenden Möglichkeiten anzubieten, ihre pädagogischen Fähigkeiten auszubauen. Es ist sicherlich für keinen Unterrichtenden schädlich, sich damit zu beschäftigen, wie man zum Beispiel Unterrichtseinheiten zeitlich und didaktisch sinnvoll strukturiert oder Unterrichtssituationen gewinnbringend reflektiert. Kompositionspädagogik umfasst „…sowohl Unterricht im Komponieren als auch Komponieren im Unterricht, wobei das eine das andere nicht ausschließt“ [2]
So manchen Hochschuldozent*innen täte es gut, ihre Studierenden nicht nur dank ihrer Autorität und ihres Amtes, sondern mit reflektiertem pädagogischem Einfühlungsvermögen und entsprechendem didaktischen Vorgehen zu beraten. Kompositionsgurus gehören nicht an Musikschulen, und Selbstdarsteller, die eine hilflose Schulklasse mit Fachbegriffen überfordern, werden erleben müssen, wie sich so eine Klasse plötzlich zu wehren weiß. Und wenn man dann mal wieder aus dem Klassenraum fliehen musste oder sich die begabte Kompositionsschülerin nach vier Wochen schon wieder abmeldet, stellt sich vielleicht die Einsicht ein, dass hier Handlungsbedarf sein könnte.
Stand der Dinge
Inzwischen gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich kompositionspädagogisch fortzubilden. Seit den Symposien zur Kompositionspädagogik 2010 und 2015 [3] hat das Bemühen um eine Strukturierung und Etablierung kompositionspädagogischer Angebote zugenommen. Dies liegt sicher auch an dem starken Einsatz der Jeunesses Musicales Deutschland sowie an der Initiative von unterrichtenden Komponist*innen wie zum Beispiel Philipp Vandré und Matthias Schlothfeldt oder etwa Helmut Schmidinger, um nur einige wenige zu nennen. [4] Ihre Bestrebungen, das Thema zu entwickeln und ihre Analysen, Beiträge und Anstöße stellen eine stetige Konstante im aktuellen Diskurs über die Verortung und Entwicklung von Kompositionspädagogik dar.
Als herausragendes Beispiel für eine gelungene Fortbildung ist dabei das KOMPÄD Programm zu nennen, welches zwischen 2014 und 2017 stattfand. Es hatte sich zum Ziel gesetzt, ein Weiterbildungsprogramm zur Qualifizierung von Komponist*innen im Bereich der Kompositionspädagogik zu erproben, im laufenden Prozess weiterzuentwickeln und abschließend einer wissenschaftlichen Evaluation zu unterziehen. [5]
Im Verlauf der letzten 15 Jahre ist eine kontinuierlich wachsende Zahl von spannenden Beiträgen zur Kompositionspädagogik erschienen. Das Spektrum reicht von Projektbeschreibungen, Handreichungen und Unterrichtsbeispielen über wissenschaftliche Beiträge und Forschungsergebnisse bis hin zu Interviews, von didaktischen Methoden über Materialsammlungen bis zu konkreten Komponier-Konzepten. Diese Veröffentlichungen haben die Diskussion über die Lehrbarkeit von Komponieren und die Forderung nach Fort- und Weiterbildungen angefacht, wobei der 2016 entwickelte Lehrplan für Musiktheorie und Komposition, herausgegeben vom VdM, noch dazu beitrug.[6] Ein Großteil der Publikationen kommt dabei von unterrichtenden Komponisten selbst, also von denjenigen, die ihre Erfahrungen aus der Praxis gewonnen haben, beim Unterrichten an Hochschulen, Musikschulen und Schulen, bei Projekten und Workshops mit Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Senioren, mit Laien, Semiprofis und Profis, mit Lehrer*innen, Musiker*innen, Musikvermittlern und Studierenden vieler Fachrichtungen.[7]
Obgleich in den vergangenen Jahren inzwischen hier und da neue Angebote an einigen Hochschulen [8] entstanden sind, scheint sich aktuell der Prozess der Entwicklung von kontinuierlichen, tragfähigen und strukturierten kompositionspädagogischen Ausbildungen beziehungsweise Fort- oder Weiterbildungen verlangsamt zu haben. Die augenblickliche Stockung mag vielleicht sowohl mit der Diskussion über die Zuordnung und Verortung als akademische Disziplin (wissenschaftlich-künstlerisch), der Hinterfragung einer Fixierung und Einengung auf „Neue Musik“ als auch des Spektrums der Zielgruppe (Komponist*innen der freien Szene, Kompositions- und Musiktheoriestudierende, Kolleg*innen aus der Musikvermittlung, der EMP, der IGP oder der Schulmusik) zusammenhängen. Nicht alle Angebote sind für alle relevant, nicht jedes Unterrichtsformat wird von jedem praktiziert.
Ausblick
Ein konzentriertes Vorgehen wäre jetzt nötig, um konkrete Angebote für die verschiedenen Interessensgruppen zu entwickeln und systematisieren. Dabei sollten die bisherigen Ansätze aufgegriffen und weiter strukturiert werden. Wünschenswert wäre die Einführung von Kompositionspädagogik an möglichst vielen Musikhochschulen und Universitäten. Sinnvoll wären beispielsweise verschiedene Schwerpunkt-Module, die entweder im Studium belegt oder von Musikakademien wie etwa der Akademie für Kulturelle Bildung des Bundes, den Landesmusikakademien oder Musikschulen angeboten werden könnten.
Als unabdingbar sollten Unterrichtspraktika mit Supervisionen und Hospitationsmöglichkeiten in Schulen und Musikschulen sowie Unterrichtsbesuche und Feedbackrunden eingeführt werden, um angeleitete praktische pädagogische Erfahrungen sammeln zu können.
Obwohl es bereits Materialien aus der EMP gibt, fehlen Periodika oder Online-Portale mit konkreten, sorgfältig und übersichtlich aufbereiteten Unterrichtsmaterialien in Form von Handreichungen, Musterstunden oder Unterrichtsbausteinen. [9] Dort könnten Anregungen für den Unterrichtsaufbau gegeben sowie Gestaltungs- und Kompositionsaufgaben, welche in den verschiedenen Unterrichtsformen (nicht nur im Kompositionsunterricht) eingesetzt werden können, diskutiert und erprobt werden. Schwerpunktthemen wie zum Beispiel Konfliktmanagement, Workshop-Planung und Organisation, Notation für Schüler*innen ohne instrumentalen Background, Komponieren in der Grundschule oder Medienempfehlungen für Schulworkshops könnten hier ebenso ihren Platz finden wie Literaturlisten mit Film-, Bild- und Audioverweisen et cetera.
Durch Kooperationen mit regionalen und lokalen Bildungseinrichtungen wie etwa Volkshochschulen, Schulen mit Musikprofil oder Musikschulen könnten Interessierte geeignete Module vor Ort belegen. Das Rad müsste dabei nicht immer wieder neu erfunden werden, es gibt durchaus genügend Konzepte und Vorlagen aus den Nachbardisziplinen, aus der Instrumental- und Gesangspädagogik, der Kunst-, Museums- und Theaterpädagogik oder dem tanzpädagogischen Bereich. Manches wäre übertrag- und nutzbar.
Komponieren ist eine bereichernde Tätigkeit, die möglichst vielen Menschen ermöglicht werden sollte. Musikschulen, Schulen und kulturelle Bildungsstätten sollten unbedingt weiter ermutigt werden, Komponieren als selbstverständlichen Bestandteil des Musikunterrichts zu definieren und zu integrieren, Komposition als reguläres Unterrichtsfach oder als AG anzubieten und ihrem Kollegium kompositionspädagogische Zusatzausbildungen als Fortbildung anzubieten. Denjenigen Kolleg*innen, die in ihrem Studium keine pädagogischen Fächer belegt haben, könnten solche Fortbildungen die Chance bieten, sich auf die heterogenen Arbeitsangebote vorbereiten zu können. Denn qualifizierte Weiterbildungen helfen, Komponist*innen, Instrumentalist*innen, Instrumentalpädagog*innen, Musiklehrer*innen oder Musikvermittler*innen Möglichkeiten aufzuzeigen, die Qualität in den Arbeiten ihrer Schüler*innen noch besser erkennen und diese in altersentsprechender und angemessener Weise bei ihrer Suche und in ihren kompositorischen Vorhaben noch sicherer unterstützen zu können. Und nur darum geht es.
Anmerkungen:
1) Frei nach Matthias Schlothfeldt.
2) Matthias Schlothfeldt: Kompositionspädagogik. Zur Professionalisierung einer jungen Disziplin. In: üben&musizieren 4/2020, S. 6 ff.
3) Kooperationen der Jeunesses Musicales Deutschland und der Hochschule Osnabrück bzw. der Hochschule für Musik Saar.
4) …und natürlich Peter W. Schatt, Burkhard Friedrich, Benjamin Lang, Ortwin Nimczik, Johannes Voit, Astrid Schmeling… Diese Namen stehen stellvertretend für zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, die durch ihre Anregungen, Anstöße, Veröffentlichungen oder Diskussionen über Kompositionspädagogik den Diskurs beleben und die Entwicklung von Konzepten und Programmen vorantreiben.
5) KOMPÄD war eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Fortbildung. Zunächst von der Hochschule für Musik Saar von Christian Rolle und Michael Dartsch initiiert wurde es später von der Universität zu Köln aus geleitet und in Kooperation mit der Jeunesses Musicales Deutschland sowie der Folkwang Universität der Künste entwickelt und erprobt.
6) „Lehrplan Musiktheorie und Komposition“, hrsg. vom VdM, Gustav Bosse Verlag, Kassel, 2016.
7) Exemplarisch als Initialzündung dafür können sicherlich u.a. die Veröffentlichungen „Komponieren im Unterricht“ von Matthias Schlothfeldt, Olms Verlag, 2009, „Komponieren mit Schülern“ (2011), hg. von Philipp Vandré und Benjamin Lang oder etwa die „Weikersheimer Gespräche zur Kompositionspädagogik“ (2018), hg. von Philipp Vandré und Matthias Schlothfeldt gelten, beide herausgegeben für die JMD, ConBrio Verlag Regensburg. Stellvertretend für andere praxisnahe Publikationen stehen „musizieraktionen“ von Hans Schneider, Pfau-Verlag Büdingen, 2017, „Ein Dreiklang ist kein Wald oder Praxisschock Kompositionspädagogik“ von Thomas Taxus Beck, ConBrio Verlag Regensburg 2020 oder etwa „Lust auf Neues?!“ von Wolfgang Rüdiger (Hg.), Wißner-Verlag Augsburg, 2020, um nur einige wenige zu nennen. Der Versuch einer Einordnung wird auch in „Anregen-Vertiefen-Ausbilden: Komponieren im didaktischen Kontext“ hg. von Martin Losert und Achim Bornhöft, LIT Verlag, 2018 oder in Helmut Schmidingers Buch „Kompositionspädagogik – eine theoretische Grundlegung als Fachrichtung der Musikpädagogik“, Wißner-Verlag Augsburg, 2020 sowie in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen diskutiert.
8) Als Beispiel seien hier das Bachelor-Studium der Kompositions- und Musiktheoriepädagogik (KMP) an der Kunstuniversität Graz (KUG) genannt, der Universitätslehrgang Kompositionspädagogik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien sowie die Möglichkeit, sich im Rahmen des Bachelorstudiengangs Musikpädagogik an der Folkwang Universität der Künste für Musiktheorie/Kompositionspädagogik als einem Schwerpunkt entscheiden zu können oder auch z.B. Lehrveranstaltungen, Praktika, Studienschwerpunkte bzw. Studienrichtungen in den Bereichen der Kompositionspädagogik an den Musikhochschulen Osnabrück, Lübeck, Mannheim, oder Stuttgart.
9) Beispiele sind bisher z.B. unter https://www.kompaed.de sowie unter https://www.jugend-komponiert.org/fileadmin/01_files/05_JMD_Wettbewerbe… zu finden.