Krankenpfleger schieben Patienten in Rollstühlen durch die Gänge des Argerich-Krankenhauses in Buenos Aires. Familien besuchen Angehörige, Ärzte eilen zur nächsten Operation. Aber an diesem Morgen übertönt der Klang von Violinen das Treiben. Ein Orchester stimmt sich in der großen Eingangshalle ein. Kurz darauf erklingen Werke von Mozart und Verdi im Wartebereich.
Neugierig folgen Patienten, Besucher und Krankenhauspersonal dem Orchesterklang. Omar lauscht still der Musik. Der Einwanderer aus Peru fühlt sich sehr einsam im Krankenhaus. „Ich war sehr allein. Wenn man keine Familie hier hat, jemand, der sagt: „Komm, das wird schon. Noch ein Tag“, dann ist es sehr schwierig“, sagt er. „Aber diese wunderschöne Musik heitert mich auf.“
Die Musiker tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Música para el Alma“ (dt. „Musik für die Seele“). Ins Leben gerufen hat diese Initiative die Flötistin María Eugenia Rubio. Sie selbst war 2010 schwer krank und gründete vor ihrem Tod im darauffolgenden Jahr ein Orchester, mit dem sie Hoffnung in die Krankenhäuser bringen wollte. Mittlerweile sind etwa 1000 Musiker für die Initiative aktiv und spielen in ihrer Freizeit jedes Jahr Hunderte Konzerte in Kliniken.
Das Orchester musiziere nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Angestellten, sagt die Sängerin Laura Delogu. Deren Arbeitszeiten seien lang und die Arbeitsbedingungen nicht immer angenehm. „Oft sind die Ärzte und Schwestern sehr gerührt. In der Provinz Neuquén etwa haben wir auf der Kinderkrebsstation gespielt und die Ärzte haben geweint.“
Bei seinen Auftritten spielt das Orchester zuerst in einem allgemein zugänglichen Teil der Klinik, danach gehen die Musiker auf Wunsch auf die Stationen zu Patienten, die nicht mobil sind. Dabei wird es oft sehr emotional. Ein Erlebnis ist dem Bariton Juan Salvador Trupia besonders im Gedächtnis geblieben: „Mit Marta, der Konzertmeisterin, waren wir im Krankenhaus in Tornú. Dort haben wir für eine Frau gesungen, die im Sterben lag“, berichtet er. „Die Familie hat uns gebeten, für sie einen Tango zu singen, den sie liebt.“ Die Patientin sei nicht bei Bewusstsein gewesen, aber die Ärzte erklärten, dass sie die Musik trotzdem wahrnehme. „Eine der Enkelinnen hat uns später geschrieben. Ihre Großmutter sei am nächsten Tag gestorben. Sie hat uns gesagt, wie viel es der Familie bedeutet hat.“
Man sei in solchen Situationen fremden Menschen sehr nahe, sagt Trupia. Er gibt zu, selbst immer große Angst vor dem Tod gehabt zu haben, aber dieses Projekt habe auch für ihn vieles verändert. Man könne aktiv werden und Leiden lindern. „Es ist sehr schwer, ein dreijähriges Kind zu sehen, dass Chemotherapie bekommt. Aber man kann da sein, und ein Lied singen. Und das lehrt auch uns sehr viel.“
Der Psychologe Daniel Merino lauscht dem Konzert im Argerich-Krankenhaus. Er hält das Orchesterprojekt für eine sehr gute Idee: „Die Seele heilt auch mit Musik, und es ist sehr wichtig, sie den Menschen im Krankenhaus näher zu bringen.“ Es sei ein wichtiger Teil im Heilungsprozess, meint er. Für eine Stunde können die Menschen vergessen, dass sie in einem Krankenhaus sind. Das Konzert endet mit einer gefühlvollen Darbietung von „O sole mio“, gesungen vom Tenor Duilio Smiriglia. Begeisterter Applaus hallt durch die Korridore. Omar lächelt nach dem Konzert. Er steht noch im Bann der Musik und möchte den Zauber nicht brechen. „Es hat mich sehr beeindruckt“, flüstert er. „Es ist wunderbar. Man braucht nichts Materielles, nur diese Musik. Etwas, dass dich ermuntert weiterzuleben.“