Die Geschichte der Musik ist zugleich eine Geschichte der Politik. Musik ist offenbar ein besonders geeignetes Mittel zum Transportieren von Überzeugungen, Lebensgefühl, Protest und darüber hinaus ein Mittel zur harmonisierenden Anpassung. Zum Abschluss seines Schwerpunkts „Die Macht der Musik“ widmet SWR2 diesem Phänomen am 5. Januar einen Thementag.
Eine zunehmend politische, wenn nicht kämpferische Bedeutung, kam der Musik mit dem Beginn der Neuzeit, seit den Bauernkriegen, zu. Es war die Marseillaise, die die Ideen der französischen Revolution besonders beflügelte. Die demokratischen Bewegungen des Vormärz und der 1848er Revolution in Deutschland sind kaum vorstellbar ohne Freiheitslieder. Aber auch die Marschmusik des Militärs und die Lieder der Arbeiterschaft hatten Mobilmachungscharakter. Nazismus und Faschismus, mehr noch als die kommunistischen Regime, verliehen ihren Aufmärschen und Veranstaltungen die geeignete Propagandawirkung durch Musik. Andererseits wurden Komponisten aus rassistischen, politischen und ästhetischen Gründen verfolgt: „entartete Musik“ oder „kulturbolschewistisch“ hieß das bei den Nazis, „formalistisch“ bei Stalin.Als vor vierzig Jahren die Uraufführung von Hans Werner Henzes „Das Floß der Medusa“ platzte, weil Westberliner Sänger sich weigerten, unter dem Bild Che Guevaras zu singen, rauschte es im Blätterwald der Feuilletons – das hatte die bürgerliche Hochkultur in Nachkriegsdeutschland noch nicht erlebt! Vertrauter war der gesellschaftlichen Öffentlichkeit das Kräftemessen Jugendlicher mit der Elterngeneration. Wenn sich jugendliche Rock'n Roller in der jungen Bundesrepublik der 50er Jahre Schlägereien mit den Ordnungshütern geliefert hatten, war das im allgemeinen Bewusstsein einfach Krawall gewesen. Entstanden aber war in Wirklichkeit etwas Neues: die Jugendkultur. Und die Musik brachte das Wesentliche zum Ausdruck – ein Lebensgefühl. Die Popkultur war geboren.
Seither erscheint Popmusik doppelgesichtig: In ihren radikalen Ausformungen transportiert gerade diese Musik Protest gegen die Gesellschaft, andererseits ist sie Ausdruck braver Angepasstheit. Das hat sich bis zum heutigen Tag nicht geändert. Geändert jedoch hat sich eines: War früher der Protest in der Tradition des Blues und des Jazz Ausdrucksmittel der Unterdrückten gegen Ausbeutung und gegen die Herrschenden, gibt es seit einigen Jahrzehnten auch Protest von rechts – Musik die dezidiert frauenfeindlich, sexistisch, rassistisch und faschistisch ist. Vom Klang allein ist sie dabei gar nicht unbedingt von anderer Musik zu unterscheiden. Musik und Politik – das ist ein Dauerthema. Im „SWR2 extra: Die Macht der Musik“ wird es von verschiedenen Seiten aus beleuchtet.
Thementag
Montag, 5.1.2009, 8.30 Uhr, SWR2 Wissen
Frieden hören
Von Prof. Dieter Senghaas
Der Bremer Friedensforscher Dieter Senghaas hat ein einmaliges Projekt realisiert: Er hat analysiert, wie das Thema Krieg und Frieden in der klassischen Musik umgesetzt wurde, wie sich die verschiedenen Komponisten davon inspirieren ließen. Senghaas zeigt mit seinem Projekt, dass klassische Musik entgegen der gängigen Vorurteile sehr wohl viele politische Bezüge hat, man kann sogar sagen, viele Kompositionen setzen den Frieden in Töne. In „SWR2 Wissen“ erläutert Professor Senghaas mit konkreten Hörbeispielen sein Projekt.
17.05 Uhr, SWR2 Forum
Wie klingt Protest? Popmusik und Politik
In den 60er-Jahren sang John Lennon mit „Give peace a chance“ gegen den Krieg in Vietnam, in den 70ern forderte die deutsche Anarcho-Gruppe „Ton, Steine, Scherben“ mit dem Lied „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ zum autonomen Straßenkampf auf. Etwas friedlicher gab sich Sängerin Nena in den 80er-Jahren, als sie mit „99 Luftballons“ gegen das Wettrüsten trällerte und damit einen Welthit landete. Dass mit politischen Protestsongs viel Geld verdient werden kann, lernten auch die radikalsten Hip-Hop-Künstler, die mit Macho-Gehabe und ruppigem Sprechgesang in den USA gegen Rassismus zu Felde zogen. Seitdem sich auch die weiße Jugendkultur an der schwarzen Subkultur orientiert, gehören die polemischen Botschaften der Gangsta-Rapper zur Folklore eines globalen Musikgeschäfts. Wie politisch ist Popmusik? Wen oder was erreichen Protestsongs? Was hat wiederum die Politik aus popkulturellen Inszenierungsstrategien gelernt?
19.05 Uhr, SWR2 Musikpassagen
Musik und Manipulation. Vom Kaufrausch bis zur Kriegslust
Von Friederike Haupt
Heute sind es oft unfreiwillig Glücksgefühle, die Musik im Kaufhaus hervorruft. Als Reaktion auf den Schmelz in der Stimme von „Elvis“, auf die Wirkung von HipHop in der Rollschuhabteilung und Klassik-Adaptionen bei der Feinkost, kurz: zur Musik, die leise manipuliert, tut man Dinge, die man nicht vorhatte zu tun. Aber was ist, wenn Musik für Ziele eingesetzt wird, die schwerwiegende Konsequenzen haben? Schließlich war es eine der erfolgreichen Taktiken der Nationalsozialisten, die ehemals urdeutsche Gesangskultur zu eigenen politischen Zwecken umzumünzen. Auch die wohltönenden Klänge der Roten Armee der Sowjetunion waren Beispiele für die Macht manipulativ eingesetzter Musik.