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Bildimpressionen aus der Akademie 2004: Pierre Boulez mitten im Academy Orchester. Foto: Priska Ketterer
Bildimpressionen aus der Akademie 2004: Pierre Boulez mitten im Academy Orchester. Foto: Priska Ketterer
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Musikalische Werkstatt mit Zukunftspotenzial

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Erfolgreicher Start der Lucerne Festival Academy unter Pierre Boulez
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„Ich habe über Erziehung immer dieselben Ideen gehabt”, sagt Pierre Boulez, „es muss schnell gehen – nicht brutal, aber sehr hart. Wenn man einen Schock hat, fängt man an, sich zu bewegen. Und das ist für die Studenten sehr gut, finde ich.” Pierre Boulez hat genaue Vorstellungen über den Unterricht mit Neuer Musik. Nicht lange drumherum reden, sondern gleich in medias res. Aber nicht etwa mit pädagogischer Schmalspurkost, sondern mit Stücken wie den monumentalen „Earth Dances” von Harrison Birtwistle, dem komplex zerklüfteten „A Mirror on Which to Dwell” von Elliott Carter, Schönbergs Klavierkonzert und György Ligetis „Melodien”. Aus solchen Brocken bestanden die drei Schlusskonzerte, mit denen sich die Lucerne Festival Academy Mitte September nun erstmals dem Publikum vorstellte.

Im vergangenen Jahr hatte es erst einmal einen Probelauf gegeben, und nun galt es ernst. Rund 120 Stipendiaten aus aller Welt, die sich per Vorspiel bewerben mussten und nicht älter als 28 Jahre alt waren, fanden sich während rund drei Wochen in Luzern zur gemeinsamen Arbeit an Kompositionen des 20. und 21. Jahrhunderts ein. Mit dem Instrumental- und Ensembleunterricht unter Anleitung von Musikern des Ensemble Intercontemporain, mit flankierenden Seminaren und Vorträgen, mit einem Meisterkurs in Dirigieren unter der Leitung von Boulez und einer Klavierklasse von Maurizio Pollini kam so im Rahmen des Luzerner Musikfestivals eine pädagogische Initiative zustande, die weitherum einmalig ist und Modellcharakter für die Zukunft hat.

Bei seinem Schockrezept hält sich Boulez an seine eigenen Erfahrungen, die er machte, als er vor bald sechzig Jahren in Paris bei Messiaen studierte: „Messiaen war damals der einzige provokative Lehrer am Conservatoire, und diese Provokation finde ich sehr nötig.“ Wenn man ihm im Gespräch zuhört und seine Arbeit mit den jungen Kursteilnehmern beobachtet, hat man den Eindruck, dass der demnächst 80-jährige Komponist und Dirigent nichts von der Frische seiner eigenen rebellischen Anfänge eingebüßt hat. In jedem Moment präsent, voller Energie und mit der handwerklichen Präzision des unerbittlichen Arbeiters, der er immer war, fordert er ein Maximum an Einsatz von den Kursteilnehmern. Und der Geist dieses „artisanat furieux“ überträgt sich auf die jungen Instrumentalisten. Die Provokation spornt sie zu ungewöhnlichen Leistungen an.

Es ist kaum zu glauben, dass 120 junge Musikerinnen und Musiker, die vorher einander nicht einmal dem Namen nach kannten, in so kurzer Zeit ein Orchester- und zwei Ensemblekonzerte auf die Beine zu stellen vermochten, und das mit Werken, die ein breites Spektrum an Ausdrucksqualitäten und Spieltechniken abdeckten. Der künstlerische Erfolg der drei Schlusskonzerte unter der Leitung von Boulez und seinem Assistenten Cliff Colnot war ein spektakulärer Beweis, dass sich die Zeiten geändert haben. Auch wenn es sich an vielen Musikhochschulen noch nicht herumgesprochen haben sollte: Für den heutigen Spitzennachwuchs ist die Neue Musik der letzten Jahrzehnte zur Selbstverständlichkeit geworden.

Körpergeste und Musik

Technische Probleme gab es bei den Teilnehmern offenbar kaum. So konnte sich Boulez mit seinen Helfern beim Einstudieren ganz auf die musikalische Gestaltung konzentrieren. Das pädagogische Ziel lautet für ihn schlicht: „Die Leute müssen die Schwierigkeiten überwinden und zur Musik kommen.“ Es ist charakteristisch für den Empiriker und Rationalisten Boulez, dass er den musikalischen Sinn durch praktische, körperliche Erfahrung zu erschließen versucht. Technische Form und musikalischer Inhalt bilden bei der Interpretation eine Einheit. Die musikalische Gestalt entsteht aus der konkreten Bewegung der Hand, des Körpers, der Atemorgane heraus und kann durch diese kontrolliert werden.

In einer Methode, die so konsequent auf den bewussten Umgang mit der Musik und mit den Mitteln der Interpretation ausgerichtet ist, hat die Analyse einen bedeutenden Stellenwert. Zum Programm der Festival Academy gehörte denn auch ein regelmäßiger, auf Interpretationsbelange ausgerichteter Analyseunterricht. Eingebettet in die fein aufeinander abgestimmten Kurse für Orchester- und Ensemblespiel, die Dirigier- und die Klavierklassen war ein weiterer Schwerpunkt: Zwei Komponisten, die vor einem Jahr den Auftrag für eine Uraufführung im Rahmen des Lucerne Festivals 2005 bekommen haben, der Franzose Christophe Bertrand und der Japaner Dai Fujikura, konnten nun ihre ersten Entwürfe mit dem Orchester ausprobieren. So erhielten sie die Möglichkeit, das bisher Geschriebene auf seine Klangeigenschaften zu überprüfen und mit Orchester und Festivalleiter zu diskutieren – ein seltenes Privileg für einen jungen Komponisten.

Zu den Vorbildern der Festival Academy dürften amerikanische Sommerakademien wie Tanglewood oder Aspen zählen. Festivalintendant Michael Haefliger, einst Violinstudent an der Juillard School, kennt diese Unternehmungen aus eigener Erfahrung. Neu an Luzern ist nun aber, dass ein so groß angelegtes pädagogisches Projekt eingepflanzt ist in ein europäisches Traditionsfestival, das sich noch bis vor wenigen Jahren in erster Linie als Konzertveranstalter für ein eher konservatives Publikum verstand. Nun wird dieses Publikum in vorsichtigen Schritten an die Moderne herangeführt. Die Methode scheint zu funktionieren. Nicht nur bei den Auftritten der internationalen Gastorchester, die häufig ein Werk des 20. Jahrhunderts im Programm hatten, sondern auch bei den öffentlichen Abschlussveranstaltungen der Festival Academy.

Das Orchesterkonzert, das mit Werken von Birtwistle, Kyburz, Schönberg und Boulez dem Programm nachempfunden war, das Boulez vor drei Jahren auf einer Tournee mit dem Ensemble Modern Orchestra dirigiert hatte, geriet zum gefeierten Schluss- und Höhepunkt der Akademie. Als Publikumsmagnet erwies sich nicht zuletzt der prominente Solist in Schönbergs Klavierkonzert, Maurizio Pollini, und von Boulez’ „Notations“, die das Orchester mit Verve zu Gehör brachte, musste die fulminante zweite zum Schluss wiederholt werden.

Gute Vermittlungsarbeit

Die Öffnung zur Gegenwart, ein zentrales Anliegen der Festivalleitung, wird mit geschickter Vermittlungsarbeit vorangetrieben. Ein „Academy Forum“ mit fachkundigen Einführungen, Probenbesuchen und Komponistengesprächen gab an zwei Wochenenden einem breiteren Publikum bei freiem Eintritt die Möglichkeit, die Werkstatt aus der Nähe zu besichtigen und sich auf die Konzerte mit Neuer Musik einzustimmen. Vom Angebot machten nicht nur „normale“ Festivalbesucher, sondern auch zahlreiche Studierende und musikalische Fachleute Gebrauch.

In Haefligers Strategie, das Lucerne Festival langsam, aber sicher in der Gegenwart zu verankern, ist die Boulez-Akademie von entscheidender Bedeutung. Er ist überzeugt: Wenn richtig budgetiert wird und finanziell alles gut läuft, kann man auch Wagnisse eingehen. Es sieht ganz danach aus, dass seine Rechnung auch künstlerisch aufgeht.

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