Der Europäische Musikrat hat sich in den letzten Jahren nicht sonderlich laut geäußert. Zum ersten Januar löste Marlene Wartenberg, Generalsekretärin des Deutschen Musikrates, die bisherige Generalsekretärin des Europäischen Musikrates, Ursula Bally-Fahr, ab. nmz-Herausgeber Theo Geißler fragte Marlene Wartenberg nach Ihren Plänen und Vorhaben.
nmz: Was war bisher die Funktion des Europäischen Musikrats?
Wartenberg: Den Europäische Musikrat gibt es in dieser Bezeichnung seit etwa sieben Jahren. Davor war er die europäische Regionalgruppe des Internationalen Musikrates, eine Organisation der UNESCO. Dieser kulturell orientierte regionale europäische Raum (und eben nicht europarechtliche Zusammenschluss) hat eine eher leise Arbeit vollzogen, vorwiegend im Bereich der Künstlerförderung, wie etwa das Programm SUPREMUS, mit dem jungen Künstlern zu verstärkten Auftritte in europäischen Ländern verholfen wurde. Mit der zunehmenden Entwicklung des Europäischen Musikrates in eine Organisation des IMR, die nunmehr auch die europäische Legislative als Adressat hat, wird nun hoffentlich auch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit stärker. Vor der Öffentlichkeitsarbeit wird jedoch die sorgfältige weitere inhaltliche konzeptionelle Arbeit stehen. Es scheint auch gar keine Kooperation mit den wenigen Kultureinrichtungen der Europäischen Union gegeben zu haben. Man konnte jedenfalls in der Öffentlichkeit keinerlei Einfluss auf Etatgestaltung oder Gesetzgebung feststellen.
Wartenberg: Hier spielt eine Tatsache ein Rolle, die letztlich auch den Standortwechsel in einen Mitgliedsstaat der EU bewirkt haben mag. Der Sitz des Europäischen Musikrates war in der Schweiz, fand daher bei der Kommission kein Gehör. Hinzu kommt, dass Kultur in Europa kein sogenanntes originäres Politikfeld ist. Zum ersten Mal stand Kultur in der sogenannten Querschnittsregelung im Maastrichter Vertrag 1992, jetzt im EU-Vertrag in der Amsterdamer Fassung, Art. 151. Im Kulturbereich ist stärker noch als im Bildungsbereich innerhalb der EU noch strukturelle Arbeit zu leisten. Zum zweiten: Die Themen, denen sich der Europäische Musikrat in erster Linie gewidmet hat, kamen aus dem Bereich der Musikerziehung. Die Projekte wurden in Kooperation mit den Mitgliedsorganisationen entwickelt und durchgeführt. Im Urheberrechtsbereich gibt es das European Music Office (EMO), das vorwiegend aus Vertretern der Musikindustrie und der Verwerterorganisationen zusammengesetzt ist. Das sind zwei Stränge, die bisher eher unverbunden nebeneinander her agierten. Der Europäische Musikrat mit seiner kulturellen Power (die Mitglieder sind nationale Musikräte und europäische Zusammenschlüsse) wird jedoch künftig in einigen Bereichen mit dem EMO kooperieren.
Europa hält sich selbst immer für den Hort einer gewachsenen, sehr vielfältigen Kultur. Wie konnte es geschehen, dass die Gesetzgeber dieses wichtige Feld völlig außen vor gelassen haben?
Wartenberg: Gerade wegen der Diversifizierung: Jede Region hat ihre eigenen kulturellen Wurzeln und ihre Historie, die gerade nicht mit den oft künstlichen Grenzen der Mitgliedsstaaten übereinstimmt. Das erschwert einen kulturellen Konsens. Aus diesem Grunde soll – so der Amsterdamer Vertrag – einerseits die kulturelle Vielfalt erhalten werden, dies jedoch unter Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes – ein Balance-Akt. Ein die Gemeinsamkeiten stimulierendes Element ist der Bereich, in dem Kultur zwangsläufig einen kulturwirtschaftlicher Faktor darstellt, Wirtschaft ist traditionell ein europäisches Thema. Dann kann auch überregional und supranational (also europäisch) mit einer Stimme gesprochen werden.
Vor etwa zwei Monaten hat man sich im Vermittlungsausschuss über den Kulturetat der EU geeinigt. Es handelte sich gerade mal um 168 Millionen Euro, eine im Verhältnis zum Gesamtetat doch sehr bescheidene Summe. Drückt sich da nicht vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Dominanz eine Missachtung des kulturellen Geschehens in Europa aus?
Wartenberg: Eines der Grundprobleme ist, dass die Kultur sehr spät und nur als Querschnittsthema Eingang in die EU-Politik gefunden hat. Die Zahlen sprechen für sich. Das Volumen der Kulturförderprogramme im Vergleich zum Gesamtetat beträgt gerade einmal 0,03 Prozent. Im Vergleich dazu beträgt der Anteil des Agraretats 42,2 Prozent. Darüber hinaus sind auch indirekte Fördermaßnahmen in den Struktur- und Regionalfonds enthalten, die mit einzubeziehen sind.
Praktisch gesehen, wäre im Hochschulbereich bei der Anerkennung von Qualifikationen, etwa bei Musiklehrern, dringend eine Harmonisierung durch die Gesetzgebung nötig. Gibt es da Ansätze?
Wartenberg: Das betrifft zum einen den Bildungsbereich, der wiederum ein echtes europäisches Thema ist, zum zweiten steht es in der Nähe einer der drei Grundfreiheiten in der EU. Gemeinsam mit unseren Mitgliedsverbänden werden wir versuchen, hier für Musiker – Schaffende wie Interpreten – einheitliche beziehungsweise kompatible Rahmenbedingungen für ihre berufliche Tätigkeit zu bewirken.
Auch im Urheberrecht gibt es innerhalb der Union sehr unterschiedliche Auffassungen und Regelungen. Die jüngsten Aussagen des GEMA-Chefs Reinhold Kreile klingen eher euphemistisch und ziehen kaum spürbare Begradigungen nach sich. Was kann da getan werden?
Wartenberg: Das ist ein sehr komplexes und schwieriges Feld. Urheberrecht ist in seiner Wurzel stets zutiefst kulturell geprägt und von daher unterschiedlich – bis hin in die einzelnen Mitgliedsstaaten. Im Interesse eines funktionierenden Kulturbetriebs muss in der Urheberrechtsrichtlinie der Interessenausgleich zwischen dem Nutzerinteresse – und dem Investitionsinteresse europäischer Unternehmen – auf der einen und einer sicheren und angemessenen Vergütung der Künstler auf der anderen Seite gewährleistet sein. Wir haben heute die Konstellation, dass Künstler und Produzenten (also Tonträgerhersteller) sich als Rechteinhaber Schulter an Schulter gegen eine finanzkräftige Telekommunikationsindustrie durchsetzen müssen. Wie überall ist eine vertiefte Frontenbildung nicht sinnvoll. Im Lauf der Beratung der Richtlinie haben sich einige positive Änderungen zugunsten der Künstler durchsetzen lassen, nicht zuletzt mit einer Unterschriftensammlung namhafter Künstler. In dem Richtlinienentwurf ist ein guter Kompromiss gefunden worden, der einerseits die Nutzbarkeit unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes und der Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigt und bei dem andererseits das Urheberrecht in seiner (kontinental-) europäischen Ausprägung (mit dem Respekt vor der Künstlerpersönlichkeit) und der Anspruch des Künstlers auf angemessene Vergütung erhalten bleiben.
Zeigt sich die starke deutsche Verwertungsgesellschaft, die GEMA, in all diesen Verhandlungen ausreichend flexibel?
Wartenberg: Die Verwertungsgesellschaften haben – ähnlich wie die Musikverleger und die Tonträgerindustrie – eine sehr professionell arbeitende europäische Lobbyorganisation, die CISAC. Die GEMA gehörte überdies zu den Gründungsmitgliedern des EMO, des erwähnten European Music Office. Das Argument des Schutzes der Musik als Kulturgut kann jedoch keine der Verwerterorganisationen so überzeugend vertreten wie der Europäische Musikrat aufgrund seiner Mitgliederstruktur. Die erwähnten Organisationen gehören bereits zum Netzwerk des EMR. Er wurde zur Zusammenarbeit mit dem EMO eingeladen. Wir werden uns, wenn die angesprochene Urheberrechts-Richtlinie in die zweite Lesung geht, im Frühjahr zu Wort melden.
Was wird sich in der europäischen Kulturlandschaft noch verändern? Man könnte sich etwa vorstellen, dass die Musikinformationszentren einzelner Ländern vernetzt werden. Damit könnte die nach wie vor defizitäre Informationsstruktur zwischen den Ländern verbessert werden. Wäre das ein Arbeitsfeld für Sie?
Wartenberg: Ähnlich wie beim Urheberrechtsgesetz, das ja nicht vereinheitlicht, sondern nur kompatibel gestaltet werden kann, ist es bei den Musikinformationszentren. Sie sind sehr unterschiedlich strukturiert und haben entsprechend unterschiedlich ausgeprägte Organisationsformen. Die skandinavischen Länder und einige romanische Zentren betreiben Promotion für nationales Repertoire, sind daher oft bei der entsprechenden Verwertungsgesellschaft angesiedelt, osteuropäische Informationszentren sind hingegen eher wie das deutsche Musikinformationszentrum, ein Projekt des Deutschen Musikrates, breit angelegt und haben ihren Schwerpunkt in der umfassenden Adressen- und Aus- und Fortbildungsdatenbank. Es gibt auf der europäischen Ebene ein Förderprojekt, an dem das Deutsche Musikinformationszentrum (MIZ) maßgeblich beteiligt ist, es soll in einem mehrjährigen Programm die Zentren in ihren Funktionen sinnvoll verknüpfen. Sehr spannend.
Wie sieht es mit der Harmonisierung der Musikausbildung aus? Ist das ein Projekt, das in weiter Ferne liegt?
Wartenberg: Vielleicht nicht in weiter Ferne, doch am Beginn eines weiten Weges. Der erste Schritt wird die notwendige europaweite Anerkennung der Qualifikation sein. Zusätzlich sind die Inhalte der Ausbildung genauer zu überprüfen, um auch hier eine Angleichung zu erreichen. Dies ist ganz sicher ein großes Thema für die nächsten Jahre. Der Zugang der Jugendlichen und Kinder zur Musik muss stets oberste Priorität haben im Sinne einer gesellschaftspolitischen Investition in eine menschliche Zukunft – auch in Europa.
Was wird im neuen Büro ganz oben auf dem Schreibtisch liegen?
Wartenberg: Neben dem Aufbau des Büros zunächst einmal das Programm „Kultur 2000“, ein neues Förderprogramm der EU, das diesen Februar aufgesetzt werden soll – wie immer mit viel zu kurzen Ausschreibungsfristen. Das bedeutet, dass die Antragsteller die Partner und das Projekt im Grunde genommen bereits fix und fertig in der Schublade haben müssen. Um hier Hilfe durch Information und Know-how zu leisten, werden wir Anfang April einen „Networkshop“ in Amsterdam geben, um neuen potenziellen Antragstellern praktische Hinweise für das Förderprogramm zu geben. Als zweites ist die im September diesen Jahres in Bonn stattfindende Generalversammlung sorgfältig vorzubereiten. Der Beauftragte für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, Michael Naumann, hat bereits seine Teilnahme zugesagt, wie er auch den „Import“ des Europäischen Musikrates sehr unterstützt hat. Gleichzeitig wird die erwähnte Stellungnahme im Sinne der Komponisten und ausübenden Künstler zur EU-Richtlinie zum Urheberrecht vorzubereiten sein. Unsere weiteren Projekte sind ein multilinguales Musiklexikon, für das ein Vertriebspartner gesucht wird, und das European Parliament of Young Musicians.
Bisher war der Kontakt zu den wenigen Europaabgeordneten, die sich um Kultur kümmern, kaum vorhanden. Was unternehmen Sie, um diese Beziehungen zu stabilisieren?
Wartenberg: Die Namenslisten mit den neuen Abgeordneten liegen bereits vor, teilweise stehen jedoch die neuen Kommissare und deren Mitarbeiter noch nicht fest. Sobald als möglich beginnt die persönliche Kontaktaufnahme.
Nach wie vor sind die Ausschreibungsbedingungen für Zuwendungen der EU unübersichtlich und unklar. Wird es eine Zusammenarbeit mit dem Cultural Contact Point geben, der ja im selben Haus sein wird?
Wartenberg: Eigentlich ist es ein trauriges Verwaltungsphänomen, dass ein Kulturförderprogramm, das finanzielle Mittel zur Verfügung stellen soll, erst einmal in die Sprache eines Antragstellers „übersetzt“ werden muss. Der Cultural Contact Point war und ist hier immer sehr hilfreich, und wir werden engsten Kontakt halten, ebenso mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Bonn.
Viel Glück für die neue, grenzenlose Arbeit!