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Musikschule heute und morgen

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Veränderungen im Berufsbild des Musikerziehers
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Wenn man für die Berufswahl Musikschullehrer/-in* als gegenwärtige Ausgangssituation die Einstellungsrichtlinien, den Tarifvertrag „Musikschullehrer“, zugrunde legt, so finden sich dort mehrere Möglichkeiten der Qualifizierung von der Fachschule bis zur Hochschule, vom Musiklehrer für Singschulen bis zum Diplom-Musiklehrer, von den unterschiedlichen Stufen eines Abschlusses als Kirchenmusiker bis zur künstlerischen Reifeprüfung in einem Instrumental- oder Vokalfach. Und natürlich auch die Qualifikation als Musiklehrer an einer allgemein bildenden Schule. Dazu kommen noch „Seiteneinsteiger“, die aufgrund längerer künstlerischer Praxis und einer entsprechenden pädagogischen Eignung und Erfahrung als Musiklehrer in Fächern gelten können, für die es bisher keine oder nur begrenzte Ausbildungsmöglichkeiten an Hochschulen gibt oder gab: so zum Beispiel im Jazz, in der Rock- und Popular-Musik, im Musical und in den Fächern mit Musik aus anderen Kulturen oder interkulturellen Angeboten.

D er Verband deutscher Musikchulen (VdM) präferiert natürlich den Diplom-Musikschullehrer mit einer fundierten instrumentalen oder vokalen Ausbildung, die zweckentsprechend durch die notwendigen pädagogischen und didaktischen Anteile, sowie möglichst ein Zweit- und/oder Dritt-Fach ergänzt wird. In der 1993 vom VdM herausgegebenen Broschüre „Musikschule – Meine Sache“ werden die gewünschten Fähigkeiten eines Musikschullehrers wie folgt beschrieben:

Er soll die Fähigkeit besitzen,

• einen qualifizierten Unterricht in seinem studierten Instrumental- oder Vokalfach im Einzel- und Gruppenunterricht beziehungsweise im Fach Elementare Musikerziehung, Chor-/Ensembleleitung und anderes zu erteilen,
• in möglichst zwei Unterrichtsfächern zu unterrichten (zum Beispiel Violine und Musikalische Früherziehung/Musikalische Grundausbildung; Viola und Streichensemble-Leitung), Lehrbefähigung vorausgesetzt,
• mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen interessanten (spannenden, „fröhlichen“, Stress vermeidenden) und leistungsorientierten (niveauvollen, konzentrierten, „verbindlichen“) Unterricht zu gestalten,
• besonders musikalisch veranlagte Schüler auf ein Berufsstudium (beziehungsweise für eine Aufnahmeprüfung an einem Ausbildungsinstitut) vorzubereiten,
• auch ehrgeizigen Eltern von Musikschülern die wichtigste Aufgabe einer Musikschule verdeutlichen zu können: Freude am gemeinsamen Musizieren auf gutem Niveau,
• sich und sein Instrument bei öffentlichen Veranstaltungen vorzustellen,
• Fachkonferenzen als belebenden Arbeitsimpuls anzusehen,
• gern mit anderen Kollegen zusammenzuarbeiten, seine eigenen Beiträge, Meinungen und Hypothesen durch andere in Frage stellen zu lassen, zuzuhören und Kompromisse mittragen zu können,
• seine bisher praktizierten Unterrichtsmethoden in speziellen Fortbildungstagen, bei denen neue Wege aufgezeigt werden, in Frage stellen zu lassen,
• die notwendigen administrativen Anforderungen zu akzeptieren und die Kollegen als Partner zu sehen.
• auch zu ungewöhnlichen Arbeitszeiten aktiv am positiven Bild der Musikschule in der Öffentlichkeit mitzuwirken.

Er soll, so ein Zitat aus einem in der gleichen Broschüre wiedergegebenen Erfahrungsbericht einer Musiklehrerin, „mit Fantasie und Selbstständigkeit“ mit den (nicht immer idealtypischen) Arbeitssituationen an Musikschulen umgehen können.

Wenn man davon ausgeht, dass die vorgenannten Punkte als Selbstverständlichkeiten für eine gut funktionierende Arbeit und Zusammenarbeit in der Musikschule angesehen werden können, so muss auch sofort gefragt werden, ob die Musikschullehrer während ihrer Ausbildung genügend auf die reale Situation an den Musikschulen vorbereitet werden? Es scheint doch noch immer so zu sein, dass in den Haupt- und Nebenfächern eine hohe Qualität angestrebt und auch meistens erreicht wird, die auf das Umfeld der Berufspraxis bezogenen Fragen aber eher eine nebensächliche Rolle spielen. Dadurch ist der „Einstiegsschock“ vorprogrammiert und vieles wird erst durch „learning by doing“ erworbener Teil des Berufsalltages.
Nur ein sehr geringer Anteil der Musikschüler (2–3 Prozent) wird auf ein Studium, auf einen späteren Musikberuf vorbereitet. Die Statistiken weisen dieses eindeutig aus. Trotzdem gehen viele Musiklehrer aufgrund einer im Schwerpunkt solistischen Instrumental- und Vokal-Ausbildung mit der Erwartungshaltung an die Musikschule, nun lauter kleine und größere Virtuosen ausbilden zu können. Diese Erwartungshaltung wird im Unterrichtsalltag durch immer wiederkehrende regionale und überregionale Leistungs-Wettbewerbe (nicht „Musizier“-Wettbewerbe) mit “Jugend musiziert“ an der Spitze unterstützt. Dass der überwiegende Teil der Musikschüler die erfreulicherweise sehr umfangreiche Laienmusikszene bereichern wird, wissen eigentlich alle – gesprochen wird aber im Wesentlichen über die Preisträger und dem damit verbundenen (vermeintlichen) Image-Gewinn für die jeweiligen Lehrkräfte.

Das statische Verharren in Unterrichtsformen und -methoden ohne Berücksichtigung der sich rapide veränderten und verändernden Rahmenbedingungen im gesellschaftlichen Kulturverständnis im Allgemeinen und im Musikverständnis und der Musikrezeption im Besonderen kann auf Dauer die Position der Musikschulen und damit auch der Musikschullehrer nicht stärken. – Um nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht darum, bewährte Traditionen der instrumentalen und vokalen Musikvermittlung „über Bord zu werfen“. Es geht vielmehr um eine neue Positionierung des Berufsbildes des Musikschullehrers in Richtung einer „Offenen Musikschule“, die nicht anstrebt, ein Ersatzkonservatorium zu sein, sondern die unter dem Leitgedanken einer hohen Qualität des Unterrichts für alle musikalischen Interessen und in jeder Leistungsstufe Angebote bereit hält. In den von der Bundesanstalt für Arbeit herausgegebenen „Blättern zur Berufskunde“, Ausgabe Musikschullehrer/Musikschullehrerin, habe ich dazu formuliert:

Die Forderung nach einer Chancengleichheit beim Zugang zur Musikausbildung für Alle setzt voraus, dass musikalische Informationen und Instruktionen auf breitester Basis verfügbar gemacht werden. Hörfunk, CD/Schallplatte, Internet, Film und Fernsehen haben zu einer Verbreitung und Vielfalt musikalisch-akustischer Reize beigetragen, die eine sich selbst isolierende und einem echt verstandenen Leistungsanspruch nicht genügende Musikausübung welt- und zeitfremd erscheinen lassen. Die in den 50er-Jahren als Allheilmittel gegen „geistige und seelische Verarmung des Volkes“ gepriesene „Musische Erziehung“ hat sich inzwischen zu sachbezogenem und allseits offenem Engagement des Musikmachens gewandelt. Durch die Aufdeckung und Lösung der Verflechtung von Musik, Gesellschaft, Politik und Erziehung – der Wortführer war Theodor Adorno – wurde Musikunterricht frei von ideologischen Bindungen, die sich als Nachwirkung der musikalischen Jugendbewegung hemmend auf die schöpferische Entfaltung des Unterrichts in Lehrstoff und -methode auswirkten. Es sind neue Wege zum Verständnis des musikalischen Erbes und der Vielfalt des zeitgenössischen Musikschaffens beschritten worden, die Einseitigkeit vermeiden und eine ganzheitliche Bezogenheit der Unterweisung anstreben.

Damit ergibt sich in Aktualisierung der von Fritz Jöde apostrophierten „Musikschule für Alle“ eine Beschreibung der „Offenen Musikschule“ wie sie der VdM in der schon zitierten Broschüre „Musikschule – Meine Sache“ veröffentlicht hat:

• Sie wartet nicht auf besonders begabte und besonders motivierte Schüler, sondern sie will durch lebendigen Unterricht und vielfältige Angebote des Zusammenspiels ihre Schüler begeistern und deren Leistungsbereitschaft herausfordern.
• Sie fühlt sich nicht nur der Musikerziehung, sondern auch allgemeinen erzieherischen Zielen verpflichtet, soweit ihnen mit Musikunterricht gedient werden kann. Sie ist bereit, Kindern und Jugendlichen, die es schwerer haben als andere, Behinderten, Kindern aus sozialen Brennpunkten, aus Aussiedlerfamilien, besonders zu helfen.
• Sie wird auch in Zukunft in erster Linie für Kinder und Jugendliche zuständig sein. Aber sie fühlt sich aufgerufen, auch für Erwachsene und Senioren, die sich zur Musikschule hingezogen fühlen, Konzepte zu entwickeln.
Die Vermittlung der „Klassischen Musik“ (im weitesten Sinn), ist als Schwerpunkt ihrer Arbeit unumstritten. Gleichwohl sollte es keine musikalischen Erscheinungsformen geben, die von der Musikschule zur Tabuzone erklärt werden. Auch die Beschäftigung mit der sogenannten ernsten Musik darf Spaß machen.
• Sie beobachtet aufgeschlossen alle Entwicklungen der „Musikszene“ und prüft, ob sie mit musikpädagogischen Angeboten darauf eingehen kann. Sie hält an ihrem Bildungsauftrag fest, ohne sich jedem aktuellen Trend des Musikmarktes anzupassen.
• Sie will dazu beitragen, die Gräben zwischen den musikalischen Stilen und deren Anhängern zu überbrücken. In einem Musikschulkonzert können ein Blockflötenensemble und eine Rockgruppe nebeneinander auftreten.
• Sie beansprucht selbstbewusst einen gleichberechtigten Platz im Bildungssystem. Zur allgemein bildenden Schule und zur Volkshochschule, zu Privatmusiklehrern und musikalischen Laienvereinigungen strebt sie Partnerschaft statt Konkurrenz an.
• Sie möchte erreichen, dass Musik im Leben ihrer Schüler einen zentralen Platz einnimmt. Aber die Entwicklung zum weltfremden musikalischen Fachidioten will sie nicht fördern. Darum bemüht sie sich, ihre Schüler auch mit anderen künstlerischen Sparten in Kontakt zu bringen, sei es innerhalb oder außerhalb der Musikschule.
• Sie bemüht sich, ihre Lehrer in vielfältiger Weise zur Kooperation anzuregen. Das bedeutet: sich gemeinsam fortzubilden, bei der Entwicklung pädagogischer Konzepte zusammenzuarbeiten, aber auch: miteinander und gemeinsam mit den Schülern Musik zu machen. Das sind wichtige Mittel, um die pädagogische Spannkraft zu erhalten, an der Alltagsstress und Berufsroutine ja ständig nagen. Aber nur, wer selbst noch für Musik Begeisterung empfindet, kann Schüler gewinnen und motivieren.

Prof. Dr. Ulrich Mahlert hat im Musikforum, Heft 89 vom Dezember 1998 in seinem Beitrag „Zur Ausbildung für musikpädagogische Berufe im außerschulischen Bereich“ wesentliche Aussagen über die Zukunftsaufgaben der Hochschulen bei der Ausbildung von Musikschullehrern gemacht. Sie ergänzen in vielen Punkten die vom VdM beschriebenen Aufgabenerweiterungen.

Zukunftsweisende Konzepte zu entwickeln ist das eine, sie umzusetzen das andere. Dazu bedarf es entsprechend aus- und fortgebildeter Lehrkräfte, die über ein umfangreiches Können und Fachwissen hinaus bereit sind, ihren Beruf auch als kulturelle Aufgabe zu verstehen. Dazu gehört die Bereitschaft, neben inhaltlichen auch strukturelle und organisatorische Fragen mit zu durchdenken und zunächst ungewohnte und vielleicht auch unbequeme Veränderungen wie zum Beispiel Steigerung der Gruppenunterrichtsangebote, interdisziplinäre Zusammenarbeit über Fachbereichsgrenzen hinweg, eine stärkere Einbindung der musikalischen Arbeit mit Behinderten als gemeinsame Aufgabe eines Kollegiums, Zusammenarbeit mit den Einrichtungen der Jugendarbeit, die Beschäftigung mit anderen Musikkulturen und die Entwicklung und Umsetzung interkultureller Lehr- und Lerninhalte mit zu machen.
Einige werden diesen Ausführungen entgegenhalten, das und vieles andere gibt es ja schon längst (Hinweis: VdM-Broschüre „Neue Wege der Musikschularbeit“). Das ist richtig. Aber in der Mehrzahl der „neuen“ Angebote handelt es sich doch um Initiativen von Einzelnen. Das allgemeine Bewusstsein, ein allgemeiner Aufbruch in ausreichenden Dimensionen ist noch nicht feststellbar.

Es sollte auch nicht gelten: „Während meiner Ausbildung wurde dieser Lehrstoff nicht vermittelt“; „Ich habe und bekomme genügend Schüler, die sich nur mit Bach, Mozart und Beethoven beschäftigen wollen“ (...und schon gar nicht mit Neuer Musik!); „Jazz, Rock und Pop ist etwas für Kollegen, bei denen es für die ‚wertvolle‘ Musik nicht gereicht hat“ – und so weiter.

Auch der Begriff „Ensemble-Leiter“ bekommt vor dem Hintergrund einer immer mehr medial beeinflussten Jugendmusikszene eine ganz andere Bedeutung, wenn es zum Beispiel darum geht, in Bereichen wie Rap, HipHop, Punk, Techno und weiteren sich immer neu entwickelnden Trends Angebote für die Jugendlichen zu machen, für die der Begriff Musikschule inzwischen schon ein Fremdwort ist.

Der Musikschullehrer an der „Offenen Musikschule“ muss seine musikalischen und künstlerischen Fähigkeiten den Aufgaben anpassen, die gefragt sind und zum Beispiel Rhythm- oder Harmonie-Patterns aus einem Rocktitel mit ebenso viel Akribie vermitteln wie eine Etüde von Villa-Lobos.

Ob es uns gefällt oder nicht: Zu den „Instrumenten“ nicht nur in den Bereichen Jazz, Rock und Pop gehören immer mehr die Computer. Ein Musiklehrer muss lernen damit umzugehen und die dadurch gegebenen Möglichkeiten der Unterstützung seines Unterrichts zu nutzen. Nicht nur das Schreiben von Einladungen und Programmen für Schülervorspiele und Konzerte, sondern vor allem die Anwendung von Notenschreib- und Arrangierprogrammen sowie das Einbeziehen der Internet-Angebote sollten vertraut sein. Ohne diese Kenntnisse wird in absehbarer Zeit jeder Lehrer von seinen Schülern nicht mehr ganz ernst genommen.
Festzustellen ist, es gibt genügend Fort- und Weiterbildungsangebote, sowohl als berufsbegleitende Lehrgänge wie als Kurzseminare, die Informationen über andere Bereiche vermitteln, beziehungsweise Zusatzqualifikationen ermöglichen. Es reicht nach meiner Einschätzung nicht mehr aus, nur im eigenen Hauptfach perfekt zu sein. Die Kenntnis anderer Musikbereiche und Stile und deren kulturelle und soziologische Wurzeln und Hintergründe befördern auch die Qualität der eigenen, sonst vielleicht einseitig ausgerichteten Tätigkeit.
So wird auch das schon erwähnte interkulturelle Musiklernen einen immer größeren Stellenwert einnehmen. Die Musikschulen können es sich nicht leisten, die weiter wachsenden Gruppen von Immigranten mit ihren anderen kulturellen Traditionen in der Gesellschaft zu ignorieren. An dieser Stelle sind auch die Hochschulen zu fragen, ob nicht ein Studienziel „Musiklehrer mit interkultureller Qualifikation“ eingeführt werden kann.

Um intensiver mit anderen Kulturen und ihren Vermittlungsmöglichkeiten vertraut zu werden, wäre die (vorübergehende) Arbeitsaufnahme an einer Musikschule im Ausland sinnvoll. Zumal Stellen in Deutschland knapp sind. Der europäische Arbeitsmarkt steht im Prinzip allen Arbeitssuchenden, also auch den Musiklehrern offen.

Über gravierende Unterschiede der Angebote und der Strukturen in den Musikschulen, wenn sie überhaupt bestehen, könnten Seminarveranstaltungen Einblicke geben. Die größten Schwierigkeiten sind die unterschiedlichen Sprachen. Hier müssen zunächst noch durch Eigeninitiative der Studierenden ausreichende Kenntnisse erworben werden. Eine zukünftige Studienreform könnte entsprechende Zusatzangebote berücksichtigen. Bei Schaffung solcher Voraussetzungen werden wir vielleicht einmal den „europäischen Musiklehrer“, dazu noch mit interkultureller Qualifikation haben.

Der Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft wird, auch wenn manche es sich noch nicht vorstellen können, an den Musikschulen und damit an den Musikschullehrern nicht ohne Einfluss bleiben können. Die Zukunft dieser wichtigen und unverzichtbaren musikalischen Bildungseinrichtung hängt mit davon ab, wie flexibel bei aller notwendigen Traditionspflege darauf reagiert wird.

* Um die Übersichtlichkeit zu erleichtern, wird im weiteren Text stets die Bezeichnung „Musiklehrer“ verwendet. Sie gilt gleichermaßen für die männliche wie die weibliche Form.

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