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Musikschulen sind Kulturschulen geworden

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Musikerziehung in Schweden · Chancen und Probleme
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Die kleine Birgitta ist acht Jahre alt. Sie lebt in Nordschweden mit ihrer Mutter und einem kleinen Bruder. Sie geht in die zweite Klasse der allgemeinbildenden Schule. In ihrer Klasse gibt es einmal pro Woche eine sogenannte Partnerschaft-Musikstunde, das heißt ein ausgebildeter Musiklehrer und der Klassenlehrer leiten den Unterricht zusammen. Was hier geboten wird, kann man am einfachsten als musikalische Früherziehung beschreiben, obwohl sie eigentlich spät, also erst in der zweiten Klasse, eingeführt wird.

Birgitta wird durch diese Klassenstunde dazu angeregt, sich für das nächste Schuljahr an der Musikschule der Kommune anzumelden. Am liebsten möchte sie Klavier lernen, aber die Familie besitzt kein Klavier, und außerdem werden von seiten der Musikschule hauptsächlich Orchesterinstrumente empfohlen. Also Klarinette. Obwohl das Schulgeld und die Miete für das Instrument nicht allzu hoch kommen, bekommt Birgittas Mutter als alleinstehende Mutter mit zwei Kindern eine Gebührenermäßigung. Birgitta ist fleißig. Sie geht einmal in der Woche in die Klarinettenstunde, wo sie mit zwei anderen Mädchen zusammen spielt. Die Stunde dauert 40 Minuten. Der Lehrer ist ein Spezialist mit Hochschulausbildung, aber er muß auch andere Instrumente unterrichten, die er nur als Nebeninstrument gelernt hat, damit er in dieser kleinen Kommune eine Vollbeschäftigung bekommen kann. Nach ein paar Jahren ist Birgitta so weit, daß sie im Blasorchester der Musikschule mitspielen kann; eine Klarinette mußte sie selbst kaufen. Außerdem besucht sie den Kinderchor der Kirche. Das Mitwirken im Kirchenchor ist kostenlos. Es gibt viele Gelegenheiten zum öffentlichen Singen. Birgitta hat Glück gehabt: Während ihrer ganzen Schulzeit hatte sie die Möglichkeit, fast umsonst eine gute Musikerziehung zu bekommen, gut ausgebildete Lehrer und viele Möglichkeiten zum gemeinsamen Musizieren, sowohl im Orchester als auch im Chor. Ihre zwei Freundinnen vom ersten Gruppenunterricht haben die Musik längst aufgegeben; sie fanden andere Beschäftigungen, die ihnen mehr Spaß machten, aber sie hatten doch dieselbe Möglichkeit, etwas auszuprobieren.. Birgitta ist jetzt eine erwachsene junge Frau. Die Klarinette liegt unbenutzt in einem Kasten, weil es in der kleinen Kommune kein Erwachsenenorchester gibt, aber sie singt noch im Chor und hat nach wie vor große Freude an der Musik. Ähnlich wie Birgitta geht es etwa 350.000 jungen Leute in zirka 280 kommunalen Musikschulen. Die Grundidee der kommunalen Musikschulen Schwedens ist, daß jedes Kind Gelegenheit haben soll, Musik kennenzulernen. Es herrscht totale Methodenfreiheit, das Unterrichtsrepertoire ist „breit". Ein vollbeschäftigter Lehrer hat 29 Stunden in der Woche, eine Unterrichtsstunde umfaßt 40 Minuten. Viele Musikschulen haben ein System mit fixen „Teilungszahlen", zum Beispiel 2,4 Schüler pro Stunde. Der Lehrer entscheidet selbst, welche Schüler in Gruppen unterrichtet werden sollen und welche unbedingt Einzelunterricht brauchen. Das Ensemble- und Orchesterspielen hat hohe Priorität. Mit ganz wenigen Ausnahmen gibt es keine Prüfungen oder festgelegten Lehrpläne. Es gibt auch kein Musikschulgesetz, da jede Kommune frei entscheidet, ob und wie sie ihre Musikschule haben möchte. In letzter Zeit aber, in Zusammenhang mit der bedrängten wirtschaftlichen Lage Schwedens, kommen neue Signale, ob man nicht doch ein Musikschulgesetz und einen strukturierten Lehrplan haben sollte, um überhaupt die Existenz der Musikschulen zu sichern. Viele Musikschulen sind auch „Kulturschulen" geworden mit zusätzlichem Unterricht in Tanz, bildender Kunst, Photographie und darstellender Kunst. Ein anderer Fall Gustaf ist fünf Jahre alt und lebt mit seinen Eltern und zwei älteren Schwestern in Lund. Durch das Musizieren der älteren Schwestern ist Gustav mit Musik aufgewachsen. Seine Eltern bemerken bald, daß Gustaf scheinbar ein gutes Gehör hat. Er singt alle Melodien nach, die die Schwestern spielen. In Lund gibt es Geigenunterricht nach der Suzuki-Methode, und Gustaf fängt eifrig mit der kleinsten Geige an. Er tritt als Sechsjähriger in die allgemeinbildende Schule ein und bekommt in der zweiten Klasse durch die Musikschule Dalcroze-Unterricht. In der dritten Klasse nimmt er dann auch weiterhin Geigenunterricht an der Musikschule. Da seine Eltern beide berufstätig sind, können sie auch das Schulgeld bezahlen. Beim Stufenübergang zur vierten Klasse macht Gustaf einen Test, um in der Musikklasse anfangen zu können. Hier werden sein Gehör, seine Perzeptions- und Rezeptionsfähigkeiten genau geprüft, ebenfalls seine Singstimme, denn die Musikklasse umfaßt hauptsächlich Gesang und Theorie. Gustaf besteht die Prüfungen gut, und jetzt folgen intensive Jahre, sowohl in der Musikklasse als auch in der Musikschule, wo er auch in den Streichorchestern mitspielt. In den Sommerferien versuchen seine Eltern, verschiedene Musikwochen für die ganze Familie zu finden. Ohne Schwierigkeiten gelingt auch der Übertritt in das Musikgymnasium nach dem neunten Schuljahr. Gustaf ist intelligent, und die Schularbeit geht leicht. Nach dem Abitur macht er gleich die Aufnahmeprüfung an die Musikhochschule in Malmö, wo es die Fachbereiche Instrumentalausbildung, Kirchenmusik und Musiklehrer gibt. In Malmö ist derzeit kein Geigenplatz in der Solistenausbildung frei, da Gustav aber auch für die Musikhochschule in Göteborg dieselbe Prüfung gemacht hat, wird er dort aufgenommen. Jetzt beginnt eine vierjährige Ausbildung, die nicht nur das Hauptfach Violine sondern auch alle üblichen Nebenfächer umfaßt. Gustaf hat eine besondere Vorliebe für die Kammermusik entwickelt und hat auch das Glück, an der Hochschule drei Gleichgesinnte zu finden; zusammen haben sie ein Quartett gebildet und bekommen als solches auch besonderen Ensembleunterricht. Die vier Jahre sind bald zu Ende, die Gruppe entscheidet, sich um die Diplomausbildung zu bewerben. Das Probespiel gelingt, und es folgen noch ein bis zwei Jahre intensives Arbeiten. Wie steht es mit der finanziellen Situation dieser jungen Leute? Der Unterricht ist kostenlos, und für den Lebensunterhalt bekommen alle Studenten Studienanleihen vom Staat. Diese müssen aber zum größten Teil zurückbezahlt werden, wenn der junge Mensch später berufstätig ist. Es kommt sehr selten vor, daß Eltern das Studium ihrer Kinder ganz bezahlen. Jetzt haben aber Gustaf und seine Freunde wieder Glück. Sie bewerben sich mittels Probespiel um eines der großen Stipendien, die von der Königlichen Musikalischen Akademie in Stockholm verwaltet werden. Das Quartett bekommt zwei Jahre lang 70.000 Kronen. Der Abschluß der Diplomstudien wird mit einem öffentlichen Konzert besiegelt. Jetzt wartet die Welt! Orte für die Ausbildung Im Rahmen der allgemeinbildenden Schule gibt es an sechzehn verschiedenen Orten in Schweden sogenannte Musikklassen vom vierten bis zum neunten Schuljahr. Der Stundenplan dieser Musikklassen enthält mindestens eine Musikstunde am Tag, die vor allem Gesang und Theorie umfaßt. Nach dem neunten Schuljahr besuchen die meisten jungen Leute das Gymnasium, die Ausbildung ist überwiegend dreijährig. Es gibt sieben Musikhochschulen in Schweden, Stockholm (zwei), Göteborg, Malmö, Piteä, Arvika und Örebro. Nur in den drei erstgenannten Hochsculen gibt es einen Fachbereich Instrumentalausbildung. Die Anzahl der Studienplätze ist begrenzt. Insgesamt gibt es momentan mehr als 2.000 Studenten an den Musikhochschulen. Volkshochschulen, ein paar Konservatorien und private Institute wirken als Zwischenglied zwischen Musikschule und Musikhochschule. Die Königliche Musikakademie verteilt jedes Jahr mittels Probespielen Stipendien im Wert von vier bis fünf Millionen Kronen. Besonders begabte Kinder können auch von der Akademie eine Unterstützung bekommen. Nur ein paar Wettbewerbe sind etabliert. Eine Institution wie „Jugend Musiziert" gibt es noch nicht, obwohl immer neue Formen erprobt werden, um Talente ausfindig zu machen. Durch Schwedens Beitritt zur EU und durch langjähriges Zusammenarbeiten in verschiedenen internationalen Musikgesellschaften wird hoffentlich die Zukunft noch engere Formen für gegenseitigen Austausch bringen. Gute Musik ist für die Jugend unentbehrlich.

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