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Bildunterschriftsverweigerungsbild. Foto: Juan Martin Koch
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Musikverweigerungsmusik

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Von Claus-Steffen Mahnkopf
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Das „Kunstforum“ ist vielleicht das beste deutschsprachige Periodikum für die gegenwärtige Welt der Kunst, hochprofessional, umfangreich, es verbindet Berichte mit Reflexionen. Jede der Ausgaben setzt einen Schwerpunkt, in den beiden jüngsten: „Kunstverweigerungskunst“ (Bände 231 und 232). Ein solcher Titel ist paradox. Warum sollten Künstler, anstatt Kunst zu betreiben, dieselbe verweigern? Ist derlei überhaupt logisch möglich? Was verweigert wird, kann schwerlich existent werden. Und doch: Kunst vermag auch dieses: die Bewegung gegen sich selbst. Die klassische Avantgarde mit ihren konzeptuellen Ansprüchen hat, Jahrzehnte zuvor, alle Optionen, einschließlich der zahlreichen Formen der Negation, durchgespielt, und davon sind wir alle nolens volens Erben.

Die Beiträge im Kunstforum sind sich der Widersprüche, Paradoxien und sagen wir: Unmöglichkeiten durchaus bewusst. Auf den ersten Blick könnte man meinen: Kunst, die Kunst verweigert, also aufhört, Kunst zu machen – bloßes Nichts-(mehr-)Tun oder Berufs-, mithin Diskurswechsel, was freilich nur arrivierten Künstlern möglich ist. Doch mitnichten: Kunstverweigerungskunst, so diese Beiträge, sei alle Kunst, die etwas verweigert, und das kann viel sein: Tradition, die Objekthaftigkeit des Werks, die Aura, die Erwartung des Publikums, der Markt, die ästhetische Theorie, die Kunstins­titutionen et cetera. Je nach Grad der Radikalität und Konsequenz kommt es zu so Unterschiedlichem wie Street Art, Installation, soziale Aktion.

Verweigerung im Kunstdiskurs

Wenn aber jener Begriff so weit gefasst wird, fragt sich, was es denn sei, was nicht Kunstverweigerungskunst ist. Kitsch, Kommerz, Reaktion? So wird klar, dass Kunstverweigerungskunst ein fester Bestandteil der Kunstgeschichte der letzten hundert Jahre ist und heute eine große Bandbreite, vielleicht die Hälfte der Produktion abdeckt. Nicht-Kunst, Anti-Kunst, Gegenkunst, Kunstlosigkeit, und wie all die Labels heißen, sind bekannt und schon fast so vertraut wie Kunst ohne Verweigerung. Gerade die extrem breite Verwendung dieses Begriffs im jüngsten Kunstforum zeigt, wie historisch die Sache geworden, gerade keine innovative Option mehr für die Gegenwart ist, fast schon altmodisch.

Unterscheiden wir somit zwischen Verweigerungskunst und Kunstverweigerungskunst und suchen nach solcher Kunst, die Kunst tatsächlich verweigert. Da gibt es nicht viele Möglichkeiten: Simulation, Objektzerstörung, Streik, Ausstieg, Ersetzung von Arbeiten durch deren Berichterstattung/Dokumentation, Changieren zwischen Diskursebenen; in den Grenzbereichen: extreme Vergänglicheit, Momentaktion, Autodestruktion, Inszenierung der Leere, des Schweigens. Offenbar leidet die Kunst nicht nur an der Welt, sondern auch an sich selbst. Sie will vielleicht zu viel, denn sie will das Ganze, also die Welt, das Leben, die Gesellschaft, und das geht nicht wirklich. Kunstverweigerungskunst ist eine Antwort auf das Scheitern der his­torischen Avantgarde, die Welt zu revolutionieren, den Kapitalismus abzuschaffen, die Kluft zwischen dem System Kunst und der Lebenswelt zu überwinden, eine Reaktion auf mögliche Komplizenschaft mit gesellschaftlicher Herrschaft. Auch die musikalische Avantgarde scheiterte an den nämlichen Intentionen, wo sie sie im gleichen Maße wie die Kunst verfolgte.

Das weltumspannende, geschichtsrevolutionäre und sozialumstürzlerische Programm hat längst auch die zeitgenössische Musik im weitesten Sinne erreicht, vor Jahrzehnten und dann immer wieder in Schüben. Während die Kunst die Welt zu ‚verbessern‘ oder gar zu ,heilen‘ sich anschickt, kann man fragen, ob die Musik in ihrem zerbrechlichen Medium der Zeit und des Klangs das überhaupt vermöchte. Unbeschadet einer abschließenden Beantwortung wird daher einfach versucht, soweit wie möglich zu kommen. Gibt es daher überhaupt eine Musikverweigerungsmusik? Oder wird dieser Begriff der totalen Verweigerung, in der Kunst bereits paradoxal, in der Musik nicht vollends absurd?

Musikverweigerungsmusik kommt selten bei aktiven Musikern vor, diese lieben Musik viel zu sehr und sind mit ihrem Tun viel zu sehr identifiziert, als dass sie sich beschieden. Nein, Musikverweigerungsmusik ist eine Entscheidung aus künstlerischen oder allgemein: weltanschaulichen Gründen (politische, philosophische, des Lebenstils und des Geschmacks, nicht zuletzt theologische), und diese treffen eher die Urheber als die Interpreten. Neben der Musikverweigerungsmusik gibt es noch das Phänomen der Musikverweigerungsmusikdenkweise. Sie findet sich nicht nur in den Köpfen der Urheber, sondern auch bei den Angehörigen des Sekundärdiskurses: Wissenschaftler, Journalisten, Veranstalter, ‚Ästhetiker‘, kurz: den Beob­achtern der Szene.

Musikalische Optionen

Welche Optionen hätte Musikverweigerungsmusik? Wenige, da sich die urbanistischen und sozialinterventionistischen Aktionen der Kunst mit dem flüchtigen Medium der Musik und in einem überaus lauten gesellschaftlichen Umfeld kaum realisieren lassen. So ließe sich denken: 1. Man unter­drückt einen Teil der eigenen Musikalität; 2. macht sich lustig über Bestehendes, was tendenziell alles beinhaltet, die Protagonisten der Gegenwart, die Werke der Vergangenheit; 3. macht seine Sache bewusst schlecht; 4. ersetzt Musik durch Nicht-Musikalisches; 5. zerstört Infrastrukturen und Institutionen (allerdings ohne neue, bessere aufzubauen). Mischformen – vor allem mediale – sind natürlich gerade keine Weigerungen, sondern opulente Vergrößerungen ihrer selbst.

Warum verweigert man Musik eigentlich? Entweder, weil es gute Gründe dafür gibt, oder, weil eine autoritäre Instanz es verlangt. Ein solches Gebot ist aber die Kehrseite eines Verbots. Ist es bloßes Verbot, so ist der Musikverweigerungsmusiker gegen sich selbst masochistisch und gegen das Publikum tendenziell sadistisch, bedenkt man, dass Musik, neben der Sexualität, zu den schönsten Genussmitteln gehört, die der Menschheit zur Verfügung stehen. Musikverweigerungsmusik partizipiert in gewisser Weise am Masturbationsverbot, überhaupt an den Inhibitionen freier Sexualität. Ihre Vertreter und Fürsprecher sind Musiker und Musikliebhaber, denen eine unaufgeklärte Über-Ich-Instanz verbietet, zu tun, wonach es dem Musiker gelüstet: sich ganz der Musik hinzugeben.

Ästhetik, Moral

Lassen wir solche autoritäre Ins­tanzen beiseite und fragen nach den Gründen. Diese sind ästhetische oder im weitesten Sinne moralische. Die ästhetischen Argumente behaupten, dass (komponierte) Musik an sich konservativ, obsolet sei. Das „Werk“ müsse überwunden, ersetzt werden, es gehöre der Vergangenheit an. Hier schlägt eine sehr deutsche Cage-Rezeption voll durch. Aber obsolet ist nur, was durch ein besseres Modell abgelöst wurde. Ist das in Sicht? Wäre es die Musikverweigungsmusik? Was wäre das denn genau? Die Pointe ist, dass die meisten Argumente einer normativen Ästhetik in Wahrheit moralische oder gesellschaftspolitische sind, so die Behauptung, Kunstmusik sei „elitär“ und deswegen undemokratisch. Meistens werden Scheindebatten geführt, ohne den letztlich weltanschaulichen Kern offenzulegen. Das führt zu Neurosen. Oder Snobismus, Dekadenz, Nihilismus, Zynismus, Provinzialismus. Übersehen wird, dass die ‚große Verweigerung‘ ja längst stattgefunden hat, aber zu guter Letzt gar keine war: Cage war auch Fluxus und blieb doch Komponist auktorialer Werke bis zum Ende; Lachenmann propagierte die Verweigerung und begründete doch einen eigenen musikalischen Stil. Stockhausen entgrenzte vehement das Material und die Formate und stilisierte sich doch zum Gott.

Musikverweigerungsmusik(denkwei-se) ist allerdings nicht peripher. Ist es eine Ironie des Schicksals, dass es gerade die deutsche Musikkultur, international gerühmt für ihre Kreativität und Qualität in Geschichte und Gegenwart, ist, die Musikverweigerungsmusik, so selten sinnvoll und so schwer zu konzipieren, zu einer gewissen Blüte bringt? Die Entfremdung von eigener kollektiver Musikalität nach der Zerstörung der Kontinuität eines Anschlusses an die eigenen expressivistischen Traditionen, mehrere Geschichtsbrüche, worunter der Zweite Weltkrieg und der Holocaust sicherlich die Spitze bilden, ein gewisser philosophischer Überschuss, der zu Intellektualismus regredieren mag, eine neomarxistische Lehrergeneration, die es nur gut meinte und doch so viele Verbote in die Köpfe ihrer Schüler setzte, all das sind Gründe dafür, warum die deutsche Musikkultur es viel schwerer hat, sich unverkrampft, indigen, authentisch, mimetisch, ungehemmt auszudrücken, als andere Kulturräume, andere Völker, andere geschichtliche Narrationen – übrigens solche, die zu Scharen nach Deutschland und zu dessen Neue-Musik-System streben, das dadurch immer internationaler wird.

Ein Rest von Unbehagen

Musikverweigerungsmusik – das sei für den deutschen Kulturaum gesagt – kann meines Erachtens ohne den Kulturbruch durch den Nationalsozialismus nicht verstanden werden. So wie wir ohne einen Rest von Unbehagen die Nationalhymne nicht singen können, sagt uns eine diffuse Instanz, die allerorten herumspukt, sich aber niemals klar zu erkennen gibt, dass ‚Tradition‘, ‚Werk‘, ‚Große Musik‘, Qualität, Anspruch, Liebe, ‚Kunstmusik‘ nicht wirklich zu dem gehört, was uns geziemen sollte. Ein Rest von schlechtem Gewissen verbietet eine Hingabe an diese Werte. Deren Verdächtiggewordensein wurde fast zu einer zweiten Natur, ohne dass dies aktiv reflektiert wurde. Das notorische Nichtreflektiertwerden dieser Selbstentfremdung macht es allerdings zu etwas Unwahrem. Die kulturelle Nachgeschichte des Kulturbruchs des 20. Jahrhunderts wurde und wird in der Kunst, der Architektur, dem Film, dem Theater und in der Literatur immer wieder auf beeindruckende Weise aufgearbeitet. Nach seinem Tod wurde Günter Grass als der Zeuge der Nachkriegszeit gewürdigt. Doch welcher Komponist könnte nach seinem Tod ähnlich gerühmt werden? War es Nono, ein Italiener?

Ist Musikverweigerungsmusik nicht etwas geschuldet, worüber nicht Rechenschaft abgelegt wird, weil hierfür einfach der Diskurs fehlt? Immerhin: Verweigerungsmusik könnte ein ernsthaftes künstlerisches Sujet sein. Dazu müsste sie sich aber von Musikverweigerungsmusik deutlich differenzieren. Und das geht nur, wenn diese einer Aufklärung, der Selbstanalyse und der Selbstkritik unterzogen wird – etwas, wofür die Zeit noch nicht gekommen scheint. Erst dann nämlich wird man sie, die fest zu unserer Musikkultur gehört, wieder auf Distanz bringen, sie kritisieren, ambivalent machen, kurz: die eigenen Kriterien auf sie selbst anwenden können. Zugunsten wovon? Natürlich der Musik, die stets ein offenes, auf Zukunft gerichtetes, unberechenbares Geschehen sein wird.

Postscriptum: Der zweite Band des Kunstforums fragt: Was bleibt, nachdem das Kunstwerk verschwindet? Das ist die Schlüsselfrage der Kunst im 21. Jahrhundert. Und so kann die Frage gestellt werden: Was bleibt, wenn das musikalische Kunstwerk verschwindet? Die Antwort lautet: Praxis, die musikalische Praxis. Aber Musik war immer auch Praxis (was sich eben von Kunst nicht sagen lässt), Musizieren, Musikmachen, professionell oder als Amateur, als Kenner oder Liebhaber, improvisierend, reproduzierend, als hohe Kunst oder als Stümperei. Praxis nach dem Verschwinden des Kunstwerks könnte daher sinnvollerweise nur eine musikalische Praxis sein, die das musikalische Kunstwerk dialektisch aufhebt. Das allerdings wollen wir erst einmal hören.

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