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Johannes Brahms jung. Foto: Archiv
„Wie unsere Soldaten in Frankreich“: Johannes Brahms zur Karlsruher Aufführung der zweiten Triumphlied-Fassung. Foto: Archiv
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Nationales Jubelgeschrei mit lyrischen Untertönen

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Die wiederentdeckte Bremer Version zeigt Johannes Brahms’ Triumphlied in neuem Licht
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Unbehagen ist das moderateste, Ablehnung das rigoroseste Gefühl, wenn man sich vor Augen führt, dass Johannes Brahms im Jahr 1871, nach dem militärischen Sieg des Deutschen Reiches über Frankreich, ein „Triumphlied“ komponierte. Dem Deutschen Kaiser Wilhelm I. gewidmet, wurde es ein Jahr später als op. 55 veröffentlicht und am 5. Juni 1872 am Hoftheater Karlsruhe uraufgeführt. War Johannes Brahms – politisch zwar konservativ, aber nicht reaktionär eingestellt – wegen dieses prägnanten Ereignisses zum Hurra-Monarchisten mutiert, der mit seinem Triumphlied plakativ die Viktoria-Stimmung nach gewonnenem Krieg feierte, oder leiteten ihn (auch) andere Motive?

Eindeutige Antworten sind offenbar nicht möglich, erst recht seitdem ein Sensationsfund im Sommer 2012 Expertenraunen verursacht. Er wird die Diskussion über die Rezeption dieses Werkes forcieren und wohl auch zur Revision mancher abschätzigen Urteile führen. Denn als Kat­rin Bock, Doktorandin bei Prof. Ulrich Tadday am musikwissenschaftlichen Institut der Universität Bremen, für ihre Dissertation über die Geschichte der Philharmonischen Gesellschaft Bremen in deren nicht nach Drucken und Manuskripten geordnetem Archiv recherchierte, entdeckte sie etwas vergilbte Notenblätter mit dem Titel „Triumphlied“.

Wie sich herausstellte, waren es bis dahin verschollene Abschriften (verschiedener Kopisten) des Triumphliedes, das Johannes Brahms (ohne Auftrag!) für Chor und Orchester der St. Petri Domkirche komponiert und dort selbst als Dirigent am Karfreitag, 7. April 1871, uraufgeführt hatte. Doch die Faktur dieser Abschriften, deren Original-Particell Brahms nach Bremen geschickt und später wahrscheinlich vernichtet hat, stimmt in wesentlichen Aspekten nicht mit der genannten Druckausgabe des Triumphliedes überein. Nachdem Ulrich Tadday und Katrin Bock das vollständig erhaltene Notenmaterial quellenkritisch gesichtet, analysiert und von Fehlern bereinigt hatten, fertigten sie eine wissenschaftlich valide Partitur der Bremer Version des Triumphliedes an, die als Unikat vorliegt.

Am 29. Mai 2013 beleuchtete ein Symposion mit Brahms-Experten an der Universität Bremen beide Triumphlied-Versionen. Schon ein Vergleich der klangästhetischen Dimension zeigte signifikante Unterschiede: Die Druckausgabe mit 206 Takten ist in D-Dur, hat andere Artikulationszeichen und zwei weitere, später entstandene Teile, das Bremer Aufführungsmaterial (nur Teil I) mit 190 Takten ist in C-Dur. Auch die Besetzungen weichen voneinander ab, denn die D-Dur-Fassung ist um Füllstimmen etwa im Bass ergänzt, wodurch ein durchdringenderer, kompakter Jubelklang entsteht, während die Bremer Version geradezu lyrisch ist. Außer diesen werkinternen Parametern sind zum Verständnis der Triumphlied-Versionen vor allem die je andere historische Situation der Uraufführungen relevant: In Bremen fand das Konzert „Zum Andenken an die im Kampf Gefallenen“ zusammen mit Brahms´ „Deutschem Requiem“ statt, implizierte also gerade am Karfreitag durchaus Trauer über die Kriegstoten. Zur Aufführung in Karlsruhe schrieb Johannes Brahms seinem Freund Theodor Billroth allerdings: „Die Leute (Musiker) haben es wirklich gemacht wie unsere Soldaten in Frankreich, wo ja auch tausend an ihrem Platz (…) das Beste leisteten.“

Sind das auch markige Worte, von denen sich Brahms nie distanziert hat und die vielleicht ein Grund dafür sind, dass das Triumphlied erst 1983 diskographisch aufgenommen wurde, bleibt doch mindestens eine Ambivalenz. Denn das Triumphlied, übrigens der massivste Chor- und Orchestersatz, den Brahms je komponiert hat, wurde in der Folge nie an national-symbolischen Feiertagen, sondern bei anderen Gelegenheiten wie dem Niederrheinischen Musikfest 1874 aufgeführt oder gar zur Eröffnung der Tonhalle Zürich 1895, von ihm selbst dirigiert.

Nun ist der Impetus des Triumphliedes von Brahms keine Besonderheit im 19. Jahrhundert, als der Nationalismus eine progressive politische Strömung, ja Oppositionsideologie zur Monarchie war, wie Professor Christian Jansen (Universität Münster) in seinem Vortrag „Zur Inszenierung von Nationalstaatlichkeit in der Gründerzeit“ erläuterte. Die Idee einer vereinten Nation mit damit verbundenen Bürgerrechten war den Regierenden durchaus suspekt, obwohl der Deutsche Nationalstaat 1871 in Versailles verkündet worden war. Erst um 1900 wurden nationale Staatssymbole wie Flaggen und Wappen etabliert, eine Nationalhymne – das Deutschlandlied – sogar noch später, 1922 nach dem Ende der Monarchie. Insofern signalisiert das Triumphlied, basierend auf dem Bibeltext der Offenbarung des Johannes, Kapitel 19, in diesem Zusammenhang, gemäß Brahms’ protestantischem Bekenntnis, eher den Wunsch nach spiritueller Einheit im damaligen Deutschen Reich.

Darüber hinaus war es ein Trend dieser Epoche, dass sich viele mediokre und sogar renommierte Komponisten wie Richard Wagner (Kaisermarsch) oder Anton Bruckner (Helgolandlied) mit Marsch- oder Jubelmusik profilieren wollten. Insgesamt hat Professorin Christiane Wiesenfeldt (Universität Weimar/Jena) weitere 32 Triumphlieder ausfindig gemacht, von denen wenige wie das von Brahms das Privileg einer kaiserlichen Widmung erhielten. Außerdem zählte sie zirka 600 militärische und Kaisermärsche und etliche andere Lieder nationalistischer Couleur. Brahms’ Triumphlied ist in diesem Repertoire dennoch hinsichtlich der Besetzung und der Emphase ein Sonderfall, weil es nach der Meinung von Christiane Wiesenfeldt kaum vom konzeptionellen Niveau seines Gesamt-Œuvres abweicht.

Der Sensationsfund, die eigenständige Bremer Version des Triumphliedes, erfüllt alle Kriterien, um in die Brahms-Gesamtausgabe seiner Werke, die von Professor Siegfried Oechsle und Professor Michael Struck (Universität Kiel) betreut wird und im Henle Verlag erscheint, integriert zu werden. Der rekonstruierte Notentext ist insofern autorisiert, als Brahms die Premiere in Bremen selbst geleitet hatte. Das Bremer Triumphlied repräsentiert deshalb für dieses Projekt den Editionsstandard, alles vom „Einfall bis zum Beifall“ (Michael Struck), also jedes Stadium von Kompositionen und divergierende Werkfassungen, zu dokumentieren und wissenschaftlich zu kommentieren.

Wenn das Bremer Triumphlied als Partitur und auch in praxistauglichen Stimmenauszügen veröffentlicht ist, wird es zu einem veritablen Studienobjekt. Dann kann die musikwissenschaftliche Bewertung dieses Werkes im besonderen und dessen kulturhistorische Funktion im Vergleich zu ähnlichem Repertoire der Epoche beginnen. Viele Probleme wie die möglichen Unterschiede der Intentionen des Komponisten zur allgemein reservierten Rezeption des Triumphliedes sind ungeklärt. Der Hinweis von Christian Jansen und Ulrich Tadday, dass eine politische Einschätzung dieser Aspekte nicht nach den Maßstäben und dem Wissen der Gegenwart, sondern aus dem historischen Kontext erfolgen sollte, ist fundamental für das Verständnis dieser in gewisser Hinsicht untypischen Komposition. Da hat das Symposion an der Universität Bremen zum Thema ästhetische und kulturwissenschaftliche Urteile exemplarisch einige nachhaltige Impulse zu einer notwendigen Debatte gegeben.

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