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neue musikzeitung als Spiegel der Musikkultur

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Rückblicke und Ausblicke: ein Gespräch mit Eckart Rohlfs, dem Mitbegründer der nmz
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neue musikzeitung: Wie wird man eigentlich Gründer einer Zeitschrift?

Kontroverse Meinungen zu Themen und Personen des Musiklebens lassen in den Redaktionssitzungen der neuen musikzeitung gelegentlich die Wellen hoch schlagen. Eckart Rohlfs sitzt dann meist ruhig dabei, wartet bis die Wogen sich geglättet haben und die Debatte wieder sachlicher wird. Dann spricht er mit leiser, ruhiger Stimme und jeder hört zu, weil jeder weiß, hier spricht nicht der markige Leitartikler, sondern hier äußert sich ein Mann, der die Musikverbandsszene wie seine Westentasche kennt. Kein Wunder, knüpft er doch seit fünf Jahrzehnten am Netzwerk mit. Seit der ersten Ausgabe der „Musikalischen Jugend" im Jahr 1952 – sie war die Vorläuferin der neuen musikzeitung – ist Eckart Rohlfs „im Geschäft", und er wurde in dieser Zeit nicht nur zum intimen Kenner der Szene, sondern auch zu einem der wichtigen Macher im bundesdeutschen Musikleben. nmz-Redakteur Andreas Kolb nahm Rohlfs siebzigsten Geburtstag zum Anlass, den dienstältesten Kollegen zu interviewen. neue musikzeitung: Wie wird man eigentlich Gründer einer Zeitschrift? Eckart Rohlfs: Wenn man als Schüler, als Student, dann als Volontär aufbricht in das Leben, hat man eigentlich keine klare Vorstellung davon, wohin das zielt. Zufälle und Begegnungen spielten hier eine wichtige Rolle. Wir hatten Ende der 40er-Jahre wenig Ahnung von dem, was außerhalb der Grenzen Deutschlands wirklich musikalisch passiert war und passierte. Zunächst war da logischerweise der Drang unserer Generation, mit Menschen anderer Nationen zusammen zu kommen. Es ergab sich eine Begegnung mit Jeunesses Musicales zu einem Zeitpunkt als diese jugendkulturelle Organisation in anderen Ländern von sich reden machte. So nahm ich gerne Ende Dezember 1950 die Einladung zur konstituierenden Versammlung nach Bayreuth an und wurde dann zusammen mit Herbert Barth und einigen anderen, von denen heute nur noch wenige leben, zum Mitbegründer der Jeunesses Musicales Deutschland.

Bald gab es eine Art Mitteilungsblatt der Jeunesses. Die 1. Festwoche der Musikalischen Jugend, ein Musikstudententreffen in München 1951, bildete den Anlass: Aus Regensburg kam ein Brief, in dem Musikverleger Bernhard Bosse sinngemäß meinte, das sei ja interessant, was sich hier in der Jugend vollziehe. Vielleicht sollten wir dieses Mitteilungsblatt auf eine andere Basis stellen. Der Vorstand der JMD fuhr nach Regensburg, Pläne zum Ausbau unseres Blattes wurden geschmiedet. Bosse, damals noch Verleger der „Neuen Zeitschrift für Musik", ging mit einem enormen Elan und Ehrgeiz daran, etwas Neues zu schaffen. Bereits Ende 1951 gab es eine Nullnummer, Anfang 1952 kam dann die erste Ausgabe der Musikalischen Jugend.

Wie entwickelte sich das junge Blatt weiter, das für die damalige Zeit in seinem Zeitungsformat originell und auffallend war? Bernhard Bosse nannte die „Musikalische Jugend" „jung und hemdsärmelig" und das bezog sich auch auf die journalistische Machart. 1969 wurde die Zeitschrift umbenannt in neue musikzeitung. Die gesamte Entwicklung der nmz dokumentiert auch die Entwicklung der Zusammenarbeit mit und zwischen Musikverbänden und Institutionen. Unter dem Dach des Deutschen Musikrats initiierten in enger Kooperation Jeunesses Musicales, Musikschulen, Privatmusikerzieher und Schulmusiker den Wettbewerb "Jugend musiziert". Bald erweiterte sich der Themenkreis der nmz, die Auflagen stiegen. Mehrere Punkte wirkten bei dieser Erfolgsgeschichte zusammen: 1. Die unerhörte Kooperation, die sich im Impressum widerspiegelt, die nmz wurde zum Sammelbecken für Verbände, hinter denen selbstverständlich Persönlichkeiten steckten, die den Blick fürs Ganze und vor allem fürs Neue hatten, da-runter Fritz Büchtger, Hans-Joachim Vetter, Siegfried Borris, Klaus Bernbacher, Klaus Hashagen, Diethard Wucher und viele mehr.

2. Nicht nur das große Event stand im Mittelpunkt der Berichterstattung, sondern immer mehr auch die Beschäftigung mit Neuer Musik.

3. Diese Entwicklung zum Neuen zog eine Menge musikpädagogischer Folgerungen nach sich. Ensemblearbeit und Neue Musik rückten in den Vordergrund musikpädagogischer Arbeit. Nach und nach erschloss die nmz den immer größer werdenden Notenmarkt für Musiker und Lehrer.

4. Der Leistungsanspruch hinter dem Wettbewerb "Jugend musiziert" zog auch einen höheren Anspruch an die Ausbildung der Musikschulen nach sich.

5. Strukturen für Ensemblearbeit, von der Kammermusik bis hin zum Jugendorchester wurden aufgebaut. Sie dienten der Heranführung des Nachwuchses an den Beruf Orchestermusiker und Pädagogen. Doch diese neuen Strukturen hatten nicht nur Auswirkungen im professionellen Bereich. Sie wirkten sich stark auch auf das Feld der Laienmusik aus. Es ist ganz enorm was Laienmusik heute leistet, das hätte man sich vor 20, 30 Jahren nicht vorstellen können. All diese Entwicklungen dokumentiert die neue musikzeitung bis heute.

Nach dieser Aufbauphase ist heute eine Sättigung eingetreten. Das Pendel schlägt heute in die andere Richtung aus. Durch jahrzehntelange Aufbauarbeit wurde genau das erreicht, was angestrebt war, nämlich für den eigenen Berufsnachwuchs zu sorgen. Defizite sind nicht mehr vorhanden, allenfalls im Bereich der Leistungsspitze. Hier sind durch den internationalen Markt und die gewachsenen Ansprüche neue Probleme entstanden. Es ist allerdings zunehmend fragwürdig, junge Menschen zum Musikstudium zu animieren, um ihnen eine Zukunft als arbeitslose Musiker und Musikpädagogen anzubieten. Es steht an zu überlegen, wie man dieses Leis-tungspotential umlenken kann. Es müssen nicht alle „Jugend musiziert"-Preisträger später Philharmoniker werden. Auch neben einem anderen Beruf Musik weiterzubetreiben, ist ein entscheidendes gesellschaftspolitisches Wunschdenken.

Die Laienmusikarbeit zum Beispiel braucht dringend Kräfte, die nicht nur die Spitze fördern, sondern auch für die Breite etwas tun.

Wie kann die „neue" Musikerausbildung aussehen? Man müsste bewusst machen, dass heute Mehrgleisigkeit mehr Chancen bringt als Spezialisierung. Wir brauchen nicht nur Pianisten, die toll Chopin und Liszt spielen können. Das sollen sie auch können. Aber: Der Musiker der Zukunft ist einer, der vielseitig ist, der pädagogisch tätig ist oder auch im Management Einfälle hat, Musik außerhalb traditioneller Gepflogenheiten zu vermitteln. Hier ist die Ausbildung zu stark traditionellen Berufsbildern verhaftet. Die Studiengänge bedürften einer Anpassung, damit diese Breite vermittelt wird. Das wiederum bedeutet ein stärkeres Zusammengehen all derer, die die Verantwortung für diese Ausbildung haben, und da sind wir meines Erachtens erst am Anfang. Wer kann da konkret etwas bewegen? Herr Müller-Heuser, Herr Bäßler, die Kultusministerkonferenz oder gar der Staatsminister für Kultur, Michael Naumann? Die eingefahrenen Wege müsste man mit mehr Mut verlassen, um in der Aus- und der Fortbildung Angebote machen zu können, die dem Bedarf entsprechen. Wirtschaft und öffentliche Hand müssten stärker zusammenwirken, um Entwicklungen einzuleiten, um nicht alle Verantwortung bei der öffentlichen Hand zu belassen. Die Initiative kann beispielsweise vom Deutschen Musikrat kommen, von jenen, die in diesen Verbänden sitzen und bereit sind, Gedankengut zu in-vestieren. Es könnte ein ähnlicher Aufbruch sein, wie in den 50er- und 60er-Jahren, wo eine Menge bewegt worden ist. Diese Leute suchen wir. Sicher eine Aufgabe der nmz, hier nicht nur die Misere widerzuspiegeln, sondern selbst Richtungen vorzugeben? Ich erinnere mich an eine Beilage in der nmz, „Musik in der Planung der Städte". Das war eine tolle gemeinsame Initiative der öffentlichen wie der privaten Hand unter der Beteiligung des Musikrats. In diesem Bildungsgesamtplan mit dem Teilplan musisch-kulturelle Bildung ist eigentlich alles vorgezeichnet. Man müsste noch einmal abhaken, was ist noch aktuell – was ist erreicht? Oder: was ist nicht erreicht – ist das noch aktuell? Auf diese Weise könnte man den Plan fortschreiben und ihn damit zu einem von mehreren Ausgangspunkten machen für die Aktion „Hauptsache Musik" beim Musikrat, die so zögerlich fortschreitet. Man muss nicht immer das Rad neu erfinden. In Deutschland herrscht Stagnation. Als Generalsekretär der Europäischen Union der Musikwettbewerbe (EMCY) werfen Sie oft genug einen Blick über den Zaun. Die EMCY ist eine logische Folgerung unserer ganzen Arbeit gewesen. Viele deutsche Initiativen sind in anderen Ländern aufgegriffen worden. Und nicht nur in den deutschsprachigen Ländern. In den osteuropäischen, ehemals sozialistischen Ländern gab es andere Ansätze und die vermischen sich jetzt mit den westlichen. In diesem Prozess befinden wir uns. Nur Erfolgsmeldungen? Oder gibt es auch Probleme? Der Dialog wird stark erschwert durch sprachliche und logistische Hemmnisse. Damit ist natürlich nicht die Kommunikation zwischen Musikern gemeint. Ich denke hier an die gegenseitige Anerkennung von Ausbildungsergebnissen. Also eine Vereinheitlichung der Standards auf europäischer Ebene? Es muss keine Vereinheitlichung geben. Ich finde, Europa lebt von der Vielfalt. Nur, es muss eine internationale Sprachregelung gefunden werden, die gegenseitig verstanden wird. Literaturaustausch ist ein wichtiger Punkt. Schon in der Neuen Musik gibt es starke Unterschiede: Die Prüfungslisten sind beispielsweise sehr national geprägt. Die nmz bemüht sich stets diese Vielfalt in der Literatur zu vermitteln. Doch auch hier könnte noch viel mehr passieren. Der Verband deutscher Schulmusiker beklagte vor kurzem in seiner Weimarer Erklärung dramatische Entwicklungen im Bereich der öffentlichen Schulen. Wie steht musikalische Bildung heute da? Es ist eine traurige Entwicklung, dass die Grundschule ihre Aufgabe nicht mehr leistet. Hier müssen außerschulische Institutionen greifen. Das bedeutet dann allerdings, dass der Kreis der musikalisch Geschulten immer kleiner wird. Der Verweis auf Musikgymnasien und Spezialeinrichtungen mit musischem Schwerpunkt ist Augenwischerei. Davon profitiert immer nur ein kleiner Kreis von Kindern aus musikinteressierten Elternhäusern. 80 bis 90 Prozent der schulpflichtigen Kinder kommen mit Musik nicht ernsthaft in Berührung, folglich bleibt dieser Kontakt den Medien überlassen. Das ist ein anderer Kreis, als der, den man über vernünftige Pä-dagogik erreichen könnte. Sich mit fünf Prozent Leistungsspitze zufriedenzugeben, ist gesellschaftspolitisch bedenklich. Welche Pläne für die nähere Zukunft schmieden Sie gerade? Die europäische Wettbewerbsunion (EMCY) ist für mich ein solches Medium. Da sollten die notwendigen Fäden gesponnen werden, zum Beispiel nach Nordost- und Südosteuropa, aber auch zu unseren westlichen Partnern. Dafür möchte ich mich mit den Kollegen einsetzen, Natürlich unter der Voraussetzung, die nötigen organisatorischen, finanziellen und auch personellen Mittel zu finden. In allen Bereichen ist die nächste Generation gefragt. Leider finden wir immer weniger Mitarbeiter, die bereit sind, sich ehrenamtlich über den engeren Berufsbereich in Verbänden zu engagieren. Die Ehrenamtlichkeit ist sehr in Frage gestellt, vielleicht durch das Berufsrisiko, das jeder hat, durch Ängste vor Arbeitslosigkeit. Was wünschen Sie sich von der nmz? Für mich war die nmz Spiegelbild der Arbeit um mich herum, und ich würde mich freuen, wenn dies auch in Zukunft so wäre. Ich glaube, ich habe viele Dinge eingebracht, und umgekehrt kam aus der nmz wieder viel zurück an Feedback und Initiativen. Die nmz muss weiterhin Initiator, Ideenträger sein und Vorschläge bringen. Das kann man natürlich nicht allein, sondern nur in einem Team und ich glaube wir haben ein gutes Team, das aber auch wieder Verjüngung braucht. Insofern freue ich mich auf jeden jungen neuen Mitarbeiter, der unsere Themen aufgreift. Im Rückblick nur Positives? Es gab auch Rückschläge – am wenigsten bei "Jugend musiziert", wo meine Hauptaufgabe lag – aber auf den Nebenkriegsschauplätzen. Wenn ich da zum Beispiel an die gewerkschaftliche Arbeit denke. Wir versuchten Mitte der 70er-Jahre durch den Aufbau einer eigenen Musiklehrergewerkschaft, die soziale Situation der Musiklehrer zu verbessern. Das war mühsam, aber gelang doch weitgehend. Ich bedaure, dass gerade heute – bei dieser gesellschaftspolitisch und wirtschaftlich schwierigen Situation – keine einheitliche Front mehr da ist. Es sind Entwicklungen entstanden, die ich mir anders vorgestellt hätte. Wären Musiker und Musikerzieher wirklich in einer großen Gewerkschaft geblieben, dann hätten sie heute eine andere Power. Vielleicht die gleiche Power wie sie heute die deutsche Orchestervereinigung für die Orchestermusiker hat. Die Musikerzieher hatten Angst vor der eigenen Courage. Sie spalteten sich immer wieder, wurden dann „eingekauft" und spielen heute eine untergeordnete Rolle in der Mediengewerkschaft.

Auch im Bereich der Tonkünstlerverbände waren wir meines Erachtens schon mal weiter. Ob das negativ zu sehen ist, weiß ich nicht: Der Bundesverband, den man hatte, wurde eigentlich fast wieder den föderativen Gremien der Landesverbände geopfert. Eine schlagkräftige Bundesorganisation der Musikerzieher gibt es doch nicht, auch wenn der Deutsche Tonkünstlerverband versucht, die verschiedenen Kräfte in einem gemeinsamen Präsidium zu sammeln.

Die Anzahl der Mitglieder der Einzelverbände ist viel zu klein, um die Interessen vor allem der privaten Musikerzieher wirksam werden zu lassen. Vielleicht fehlen uns heute auch die Persönlichkeiten, die in der Aufbruchzeit da waren. Ich denke, dass "Jugend musiziert", dadurch dass es nicht stehen geblieben ist, sondern weiter-entwickelt wurde, auf einem guten Weg ist. "Jugend musiziert" von 1964 und "Jugend musiziert" von 1999 sehen anders aus und das ist gut so – man muss den Wettbewerb ständig weiterentwickeln, dann ist mir da eigentlich nicht bange. Da sehe ich keine wesentlichen Defizite. "Jugend musiziert" kann auch in Zukunft ein wichtiges Forum sein, von dem aus sich neue Entwicklungen nicht nur abzeichnen, sondern von dem sie auch ausgehen können. Die meisten Probleme gibt es derzeit dort, wo ehrenamtlicher Einsatz gefragt ist. Und das ist bei "Jugend musiziert" die örtliche Ebene.

Ist die Musikpädagogik heute ein „Problemfall"? Es entstanden zahlreiche neue pädagogische Initiativen. Doch sie laufen häufig in viel zu kleinen Sektoren. Wenn man im instrumentalen Bereich bleibt, dann gibt es heute die ESTA, EPTA, EGTA. Die ganzen Instrumentalbereiche haben ihr jeweils eigenes Forum. Dort werden die fachlichen Diskussionen geführt. Die über hundert regional wirkenden Verbände müssten eigentlich wieder zusammengefasst werden, um sie wirksam werden zu lassen. So könnte das reiche Gedankengut, das dort vorhanden ist, nutzbar gemacht werden für eine größere Breitenwirkung.

Es wäre an der Zeit, zum Beispiel durch eine „Aktion Musik" diese Kräfte wieder zu bündeln. Auch die großen Verbände müssten ihre Energien stärker konzentrieren, damit auch in Zukunft messbare Auswirkungen auf die berufliche Ausbildung, auf die Laienmusikausbildung oder auf die Fortbildung zu erreichen sind.

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