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Vor der Hauptwache: Mitglieder des Frankfurter Hotclubs 1940. Foto: Archiv Jazzinstitut Darmstadt
Vor der Hauptwache: Mitglieder des Frankfurter Hotclubs 1940. Foto: Archiv Jazzinstitut Darmstadt
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Nicht nationalistisch, nicht rassistisch, nicht autoritär

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Heil Hotler! oder die Leiden der Swing-Jugend
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Die Hetze gegen den Jazz begann in Deutschland nicht erst mit der NS-Machtergreifung 1933. Schon gleich am Ende des Ersten Weltkriegs 1918 fingen reaktionäre Kreise in Deutschland damit an, die neue Musik des Jazz bösartig zu diffamieren. Diese Polemiken besaßen im Grunde immer drei Komponenten: eine nationalistische (Jazz ist nicht deutsch), eine rassistische (Schwarze und Juden spielen im Jazz eine wichtige Rolle) und eine autoritäre (Jazz ist undiszipliniert und unsittlich). Dass sich auch Musiker und Musikgelehrte solchen Ausfällen anschlossen, indem sie den Jazz als künstlerisch minderwertig darstellten, ist zwar beschämend, war aber letztlich eher von geringer Bedeutung. Die Jazz-Anhänger, die mit dieser Musik Gefühle von Freiheit und Lebensfreude genossen, fühlten sich durch die reaktionäre Hetze nur bestätigt. Jawohl: Jazz ist nicht nationalistisch, nicht rassistisch, nicht autoritär. Jazz ist vielmehr international, tolerant, pazifistisch, verbindend, liberal. „Jazz ist ein Symbol für Demokratie und freien Ausdruck.“ (Eric Vogel).

Im Jahr 1935 kam es zu einer bemerkenswerten Koinzidenz. Zwei Jahre zuvor hatte in Deutschland ein Regime die Macht ergriffen, das den Jazz „auszumerzen“ gewillt war und rasch eine Reihe lokaler und regionaler Jazzverbote aussprach. Aber gerade als der Reichssendeleiter 1935 „ein endgültiges Verbot des Nigger-Jazz für den gesamten deutschen Rundfunk“ in Kraft setzte, explodierte in den USA die Begeisterung für einen neuen Jazzstil, den Swing. Dort schossen Bigbands, Festivals, Tanzpaläste aus dem Boden, eine gewaltige Marketing-Maschinerie machte den Swing zum Motor des wirtschaftlichen Aufschwungs. Vor allem aber brachte er die erste moderne Popkultur hervor, die allen folgenden Jugendkulturen bis heute das Modell lieferte. Zur jugendlichen Begeisterung für den Swing und seine Stars gehörte damals eine bestimmte Art zu tanzen, zu sprechen, sich zu kleiden, sich zu geben. Swing wurde für die Teenager zum Lebensstil. Benny Goodman und Artie Shaw waren Megastars einer Massenhysterie von solchen Dimensionen, dass amerikanische Kritiker von einem „musikalischen Hitlerismus“ sprachen.

Der Swingkult schwappte in Windeseile über den Atlantik – auch nach Deutschland. Bereits im Winter 1935/36 soll es unter den Jugendlichen in Hamburg, Berlin und Frankfurt erste Swingcliquen gegeben haben. Dort war man unter sich, hörte und tauschte Swingplatten, zelebrierte den Gang in den Plattenladen, tanzte die Swingtänze, lauschte dem Swing am Radio, imitierte die Haar- und Kleidermode aus Amerika, entwickelte einen eigenen Jargon, sammelte Autogrammkarten und Werbeprospekte, besuchte Jazzkonzerte, organisierte Swing-Partys und machte erste Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht. Ein Swing-Boy von damals erzählt: „In einem Tanzclub saßen wir zusammen, rauchten viel und tanzten wenig.“ Ein Swing-Girl: „Swing fanden wir einfach toll. Diese Musik reizte mich, die war flott, und danach tanzen war was Tolles, wo es sonst nur all diese langweiligen Sachen gab.“ Kurzum: Die Swingcliquen waren eine ganz normale Jugendkultur mit einer Musikmode als Kristallisationspunkt – so wie man das später auch im Rock’n’Roll, Beat, Rock, Punk oder Hip-Hop erleben konnte. Es waren Teenager auf der Suche nach einem Freiraum ohne Zwänge, nach eigenen Erfahrungen, einer eigenen Identität. Doch in der NS-Diktatur waren Freiräume nicht vorgesehen.

Immerhin war den Swingcliquen eine kurze Schonfrist vergönnt. Das NS-Regime übernahm nämlich zunächst die Lesart der deutschen Plattenfirmen, wonach Swing eine bedeutende Kultivierung des verfemten Jazz sei, und duldete die Begeisterung für Swingmusiker wie den Schweizer Teddy Stauffer. Die Olympischen Spiele 1936 boten dem NS-Staat eine gute Gelegenheit, Berlin den Augen der Weltöffentlichkeit als eine liberale, swingende Stadt zu präsentieren. Doch kaum waren die Spiele vorbei und die Besucher abgereist, änderte sich das Klima radikal. Noch 1936 wurde die deutsche Jugend zum Dienst in der HJ beziehunsgweise im BDM verpflichtet. Ab 1937 wurden für zahlreiche Lokale, Städte und Gaue strenge Jazz-, Swing- und Swingtanzverbote ausgesprochen – 1938 zum Beispiel für Freiburg und Bremen, 1939 für Osnabrück, das Ruhrgebiet, Hamburg und Pommern. Selbst im „Moka Efti“, dem Berliner Swing-Paradies, hing das berüchtigte Schild „Swing tanzen verboten“. Allen Nichtariern wurde jede Tätigkeit in Musik und Kunst untersagt, schwarze und jüdische Musiker konnten in Deutschland keine Konzerte mehr geben. Als die Nazis entdeckten, dass der gefeierte amerikanische Musiker Benny Goodman ebenfalls Jude war und noch dazu Franco nicht mochte, verboten sie seine Schallplatten. 1939 wurde die Dienstpflicht der deutschen Jugend in den NS-Organisationen Gesetz.

Jugendlichen, die 1939 noch an ihrer Swing-Begeisterung festhielten, war bewusst, dass sie Verbotenes taten und die Staatsmacht provozierten – was den Reiz allerdings nur noch erhöhte. Die Swingcliquen waren vom NS-Regime praktisch zu Staatsfeinden erklärt. Dabei interessierten sich die wenigsten der jugendlichen Swingfans überhaupt für Politik, im Gegenteil: Sie hatten genug von all den politischen Parolen des NS-Alltags und wollten einfach in Ruhe gelassen werden. Vor allem die Zwangsverpflichtung zum HJ- beziehungsweise BDM-Dienst widersprach völlig ihrem Bedürfnis nach selbstbestimmter Freizeitgestaltung. Etwa die Hälfte der Swing-Jugend verweigerte den Dienst. Denn der paramilitärische Drill der Jugendorganisationen mochte zwar acht- oder zehnjährige Kinder begeistern, aber gewiss nicht swingverrückte Teenager. Teddy Stauffer traf da eher ihr Lebensgefühl. Als der Krieg losging, wurden Swing und Lebensfreude für die Swing-Boys vollends zur notwendigen Gegenwelt. Denn nach der Schulzeit erwarteten sie die Einberufung zur Reichswehr und der Heldentod an der Front.

Einige Stimmen der Swing-Boys von einst

„Man hat alles getan, um zu zeigen, dass man anders ist.“ – Günther Schifter, Jg. 1923.

„Swing hieß für uns: auf der Höhe der Zeit sein, den Anschluss halten an das westliche Ausland, abschätzige Distanz beziehen zur volkstümlich-kleinbürgerlichen deutschen Schlager- und Kaffeehausmusik.“ – Heinrich Kupffer, Jg. 1924.

„Im Grunde sind wir harmlos, unpolitisch. Wir werfen keine Steine, legen keine Bomben, verteilen keine Flugblätter, wir hören nur Musik. Wir rufen nicht nach Bürgerrechten, wollen kein System beseitigen – und doch fühlt sich das System von uns bedroht.“ – Uwe Storjohann, Jg. 1925.

„Leute, die mit den Nazis nichts zu tun haben wollten, haben sich im Jazz – sagen wir einmal – abstrakt artikuliert.“  – Albert Mangelsdorff, Jg. 1928.

„Es war kein politischer Widerstand, sondern ein Widerstand gegen die Beschneidung unserer Interessen.“ – Nikolaus Siebenaller, Jg. 1929.

Verbotenes aus dem Hot-Koffer

In den Kriegsjahren wurde aus Verweigerung Provokation. Die Swing-Jugend ließ keine Gelegenheit aus, ihr Desinteresse an der Nazi-Ideologie zu demonstrieren. Man flanierte und „lotterte“ in aller Öffentlichkeit, aus dem tragbaren Grammofon („Hot-Koffer“) tönte der verbotene Swing. Als Zentrum der Swing-Bewegung galt Hamburg, die traditionell weltoffene und anglophile Hafenstadt. 1.000 bis 3.000 jugendliche Swing-Fans sollen dort noch 1940 aktiv gewesen sein. Swing-Cliquen wurden aber auch aus mehr als 40 weiteren deutschen Städten gemeldet.

Die Jungs und Mädels kleideten und gaben sich betont unmilitärisch – ein greller Gegensatz zur Politik der Gleichschaltung. Die Swing-Boys trugen das Haar lang, mit Pomade zurückgekämmt. Sie bevorzugten weite Jacketts bis fast zum Knie, Krawatten mit kleinem Windsor-Knoten, weiße Schals, Trenchcoats, Stetson- oder Homburg-Hut, Uhrkette, Schuhe mit Kreppsohlen. Besonders in Hamburg machten sie gerne auf englischen Snob – mit Regenschirm und der „Times“ unterm Arm. Auch die Swing-Girls gaben sich elegant, liebten knielange Faltenröcke oder gar Hosen. Sie schminkten sich auffällig, trugen Ohrringe und Sonnenbrille, das Haar lang und offen, und rauchten in der Öffentlichkeit. In einer liberalen Gesellschaft hätte man sie machen lassen und ihnen das kleine Vergnügen gegönnt. Aber die Gestapo kannte weder Toleranz noch Humor.

Als die Diffamierungen und Verfolgungen durch die NS-Gewalt zunehmen, reagiert die Swing-Jugend von Hamburg mit Fantasie und satirischen Aktionen. Dazu gehören Karikaturen im NS-Propaganda-Stil (1941), eine theatralische „Friedensmission“ am Hauptbahnhof (1942) oder eine Parodie auf Goebbels’ Sportpalastrede in der Petrikirche (1943). Die Swing-Boys veranstalten auch eine swingende Prozession auf dem Adolf-Hitler-Platz oder eine Swingparty auf der nächtlichen Luftschutzwache. Weil ausländische Informationen über ihre Lieblingsmusik nicht mehr zu bekommen sind, verschlingen sie die Anti-Swing-Polemiken der Nazis und lesen sie „gegen den Strich“. NS-Listen mit verbotenen Schallplatten werden zu Kaufempfehlungen. Antiamerikanische Hetzfilme wie „Rund um die Freiheits-Statue“ (1941) werden bei den Swingfans Kult, weil Duke Ellington darin auftritt: „Wir haben uns den Film dieser Szene wegen mehrmals hintereinander angesehen.“ Abschreckend gemeinte Fotos vom Swingfieber in den USA dienen als modische Anregung: „Wenn wir das nicht im ‚Völkischen Beobachter‘ gesehen hätten, wäre keiner von uns auf die Idee gekommen.“ Nazi-Parolen werden parodiert: „Ohne Tritt im Lotterschritt!“, „Trotz HJ: wir tanzen hot“. Statt mit „Sieg Heil“ grüßt man sich untereinander mit „Swing Heil“, „Swing high, swing low“ oder gar mit „Heil Hotler!“.

Die Provokationen der Swing-Jugend und die Verfolgung durch die Staatsorgane schaukelten sich gegenseitig hoch. Michael Kater schreibt: „Die Reaktion führte zu einer Gegenreaktion und zu einer weiteren Reaktion. 1938 begann eine Spirale, deren Ende sich nicht absehen ließ.“ Ab 1940 wurde Hamburgs Swing-Jugend von der Gestapo systematisch observiert und verfolgt, es gab sogar eine eigene Dienststelle für sie. HJ-Streifen übernahmen Polizeifunktion und lieferten sich mit der Swing-Jugend manche Prügelei. Am 2. März 1940 kam es zu einer großen Gestapo-Razzia bei einer Swing-Veranstaltung im Curio-Haus. 408 Jugendliche, davon 42 Prozent weiblich, wurden erkennungsdienstlich erfasst. Im Herbst folgte eine erste Verhaftungswelle. Nach einer zweiten großen Razzia im August 1941 im Alsterpavillon kam es zu weiteren Verhaftungen. Zwischen Oktober 1940 und Dezember 1942 wurden 383 Personen verhaftet, davon waren 90 Prozent zwischen 16 und 21 Jahren oder jünger. Die Jugendlichen saßen oft wochenlang im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel ein. Sie wurden von der Gestapo gewalttätig verhört, zu Geständnissen gezwungen und staatsgefährdender, feindbegünstigender oder sittlicher Vergehen für schuldig befunden. Ein typischer Fall: „Erst haben sie ihm drei Vorderzähne ausgeschlagen, dann die Rübe zerquetscht, dann zwei Rippen geknackt, und dann musste er unterschreiben, dass er gut behandelt worden ist.“

„Ehrensache“ Inhaftierung

Bei der Swing-Jugend jedoch galten vier Wochen Inhaftierung als „Ehrensache“. Trotz drastischer Strafen wie Jugendarrest, Wehrertüchtigungslager, Schulverweis, Fürsorgeerziehung oder gar Frontbewährung lebte der Eigensinn der Swing-Fans weiter. Im Januar 1942 verlor selbst der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, die Geduld mit dem Hamburger Swing-Widerstand und ordnete an: „Alle Rädelsführer [...] sind in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dort muss die Jugend zunächst einmal Prügel bekommen und dann in schärfster Form exerziert und zur Arbeit angehalten werden. Der Aufenthalt im Konzentrationslager für diese Jugend muss ein längerer, 2-3 Jahre sein.“ Daraufhin wurden rund 50 Jugendliche in die Jugend-KZs Moringen beziehungsweise Uckermark deportiert, die Älteren auch in reguläre KZs wie Ravensbrück und Neuengamme. Noch in den KZs sangen sie „Jeepers Creepers“, „Flat Foot Floogie“ und „A-Tisket A-Tasket“. Wer jedoch politisch auffiel oder nach Nazi-Kategorien „Halbjude“ war, musste mit dem Schlimmsten rechnen.

Ende 1942 war das Thema Swing-Jugend offiziell „erledigt“. Anfang 1943 wurde in Hamburg eine neue Swing-Clique gemeldet. Die Verhaftungen gingen weiter bis 1944. „Diese Momente, in denen man den Swing erlebte, da lebte man gar nicht in der Nazizeit.“ (Otto Bender).

Swing im Dienst der NS-Propaganda

Im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten des NS-Dokumentationszentrums in München findet am Samstag, 16. Mai 2015, 19.00 Uhr, ein Swing-Konzert statt, das sich mit der NS-Propaganda-Band „Charlie and his Orchestra“ auseinandersetzt. Die Veranstaltung im Großen Konzertsaal der Hochschule veranschaulicht in einer Bild-, Text- und Musikfolge, was sich das Propagandaministerium vom Einsatz des Orchesters versprach. Die Veranstaltung wird musikalisch von Studierenden des Jazz Instituts der Musikhochschule München unter der Leitung von Claus Reichstaller gestaltet.

www.ns-dokumentationszentrum-muenchen.de/zentrum

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