„Sopran 2: d-cis ist ein Halbtonschritt!“ – Mit nicht nachlassender Geduld und Freundlichkeit arbeitet Carlo Pavese aus Italien an einem doppelchörigen Chorwerk für gleiche Stimmen, das eigens für diese Jugendkammerchor-Begegnung komponiert wurde. In seinem Workshop haben sich drei Mädchenchöre aus Belgien, Polen und Tschechien zusammen getan, um neue Werke italienischer Komponisten und Chorimprovisationen zu erarbeiten.
Die tonal komponierten Werke haben unterschiedliche Schwierigkeitsgrade und sind von den chorerfahrenen Teilnehmerinnen gut einzustudieren. Den Workshopleitern stehen insgesamt etwa 20 Stunden Probenzeit zur Verfügung, und die müssen intensiv genutzt werden. Ist der Weg auch manchmal mühsam, so wird das Ziel, alle neu einstudierten Werke im Abschlusskonzert in der St. Petri-Kirche von Wolgast zu singen, nicht aus den Augen verloren. Und da dieses Konzert von vielen Zuhörern besucht wird, sind die Erwartungen an alle Beteiligten hoch. Neugierig ist man jedoch auch auf die Ergebnisse der beiden anderen Workshops.
Einen weiteren Workshop für gleiche Stimmen leitet Sanna Valvanne aus Finnland. Sie ist weltweit dafür bekannt, Chöre „in Bewegung zu bringen“, und das macht sie auch auf Usedom. Sie hat skandinavische und afrikanische Musik ausgewählt, die sie einstudiert und gleichzeitig choreographiert. In ihrem Workshop singen Chöre aus der Slowakei und Ungarn.
Drei gemischte Jugendchöre aus Deutschland, Spanien und Tschechien haben sich unter die Leitung von Thekla Jonathal aus Hamburg begeben und widmen sich dem Thema „Tiere und Natur“. Hier werden Werke von Claudio Monteverdi bis John Rutter einstudiert und für viele ist die Begegnung mit einem komplexen Monteverdi-Madrigal schon eine besondere Herausforderung. Dass sich das Endergebnis jedoch durchaus hören lassen konnte, beweist die hohe chorleiterische Kompetenz der Dirigentin – das gilt ohne Einschränkung aber auch für die beiden anderen Workshopleiter!
Neben den täglichen dreistündigen Proben sangen die Chöre auch in Gottesdiensten der Usedomer Kirchen und wirkten jeweils in abendlichen Doppelkonzerten mit. Damit strahlte dieses Festival auf die gesamte Insel aus. Das abwechslungsreiche musikalische Angebot wurde von vielen Usedomern und Urlaubern gern angenommen – die Kirchen waren meistens bis auf den letzten Platz besetzt. Der AMJ rief diese Jugendkammerchor-Begegnung vor zwölf Jahren ins Leben und führt sie seither alle zwei Jahre durch. Dieses musikpädagogische Konzept überzeugte auch Frau Bundesministerin Ursula von der Leyen, die die Schirmherrschaft für diese internationale Chorbegegnung übernahm. Aber auch das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern und die Kirchen und Gemeinden Usedoms unterstützten diese Chorwoche beträchtlich.
Das aus vier Personen bestehende Organisationsteam vor Ort konnte auf alle Veränderungen des ursprünglich vorgesehenen Zeitplanes reagieren. Busfahrer teilten viel zu kurzfristig mit, dass sie JETZT eine Ruhezeit von 24 Stunden einhalten müssen und ihr Chor eigentlich zu einem Konzert an das andere Ende der Insel gefahren werden sollte. Aber auch dies ist europäische Chorbegegnung: die Chöre wurden neu auf die Busse verteilt, so dass deutsche und spanische Sänger gemeinsam im ungarischen Bus fuhren.
Erwartungsgemäß geriet das Abschlusskonzert am 9. August in Wolgast zu einem großen musikalischen Ereignis: Die Zuhörer, die die Chorbegegnung schon aus den vergangenen Jahren kannten, wussten, dass man schon frühzeitig vor der Kirchentür warten muss, um einen der begehrten Sitzplätze zu bekommen. So war dann auch die große St. Petri-Kirche bis auf den letzten Platz besetzt. Und dann begann das zweieinhalbstündige Konzert. Innerhalb des Konzertes sang jeder Chor ein Stück aus seinem eigenen Repertoire. Umrahmt wurden diese Darbietungen von den Probenergebnissen aus den Workshops. Als Höhepunkt wurden von vielen Zuhörern die drei Stücke empfunden, die alle 240 Choristen gemeinsam unter der Leitung der drei Workshopdirigenten sangen. Hier wurden die Zuhörer Zeuge, wie man den Kirchenraum in Schwingung versetzen kann. Aus allen Ecken erklang unter Carlo Paveses Leitung der Hymnus „Veni creator spiritus“ in der Form einer Chorimprovisation, die der Dirigent für diesen Anlass entwickelt hatte. Dabei mussten die Chorsänger auch durch die Kirche gehen, so dass der Klang durch den sakralen Raum getragen wurde – und der Zuhörer saß inmitten dieser Klangwolke. Thekla Jonathal zeigte mit „A Clare Benediction“ von John Rutter, dass es möglich ist, so viele Chorsänger zu einem geschlossenen und doch beweglichen Klangkörper zu formen. Sanna Valvanne beschloss das Konzert mit „Watoto“, einem traditionellen Gruß aus Tansania, der rhythmisch lebendig und mit viel Körpereinsatz der Sänger die Zuhörer begeisterte. Applaus ohne Ende!
Die anschließende Abschlussfeier der Chöre und ihrer Leiter auf dem Gelände des Jugendhotels „Strandgut“ in Trassenheide dauerte bis in den frühen Morgen an. Hier wurden die Workshopleiter noch mit vielen Liedern und kleinen Überraschungen bedacht – und niemand mochte an die bevorstehende Abfahrt der Chöre denken. Nur ein Chor „durfte“ noch etwas länger auf Usedom verweilen – gezwungenermaßen, denn der Bus eines tschechischen Chores blieb mit Motorschaden liegen. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis der Ersatzbus eintraf und auch dieser Chor seine Heimreise antreten konnte.