Wer an diesem 23. September zum ersten Mal beim Erlanger Chorwochenende mitsang, der mag sich verwundert umgeschaut haben: Die Teilnehmer hatten kaum ihre Plätze eingenommen, der junge Korrepetitor lediglich ein paar einleitende Akkorde gespielt, da erklang es aus über 100 Kehlen wie ein Erkennungszeichen, eine heimliche Hymne, ohne dass überhaupt jemand ein Heft aufgeschlagen hatte.
… wia a Berg ohne Wassar, wia a Baam ohne Blüah ...
Nun, Erwin Ortner, Professor für Chorleitung und Gründer des Arnold Schoenberg Chores aus Wien, war bereits zum 20. Mal zum Chorwochenende nach Erlangen gekommen, und mit dem einfachen Volksliedsatz stellte sich sofort die Vertrautheit ein, die in vielen Jahren gewachsen war. 200 Mal – diese stattliche Zahl galt es zu feiern, und den Anwesenden war auch von Beginn an so recht zum Feiern zumute. Dieses Mal hatten sie selber das Programm vorgeschlagen, jeder Teilnehmer durfte bei der Anmeldung drei Wünsche äußern, dazu noch Bonustitel wie eben „Bist du net ba mir …“ Aus den Vorschlägen hatte Erwin Ortner dann zwei dicke Hefte zusammengestellt, „Schätze der Chormusik“: Schwergewichte wie Bach und Brahms, Schubert und Schütz, Mozart und Mendelssohn, Reger und Rheinberger, Distler und Debussy. Es verstand sich von selbst, dass der Bedeutung des Anlasses angemessen das Wochenende um einen Tag verlängert werden musste, es begann also schon am Donnerstagabend.
Nun fanget an ein guts Liedlein zu singen …
Die zwei dicken Hefte wurden erarbeitet, vieles war so bekannt, dass es lediglich zum Genuss gesungen wurde und keiner längeren Auseinandersetzung bedurfte. Vieles wurde intensiv studiert, sprachliche und inhaltliche Aspekte standen hier oft im Vordergrund, oder aber auch mal nur schlicht die Empfehlung des Chorleiters an den Sopran „im Zweifelsfall einfach ein wenig höher und ein wenig eher zu singen …“ Einig war man sich in einer Pause auf den Gängen des Freizeitzentrums, mit der Arbeit an „Komm, Jesu komm“ von J.S. Bach eine Sternstunde der Chorarbeit erlebt zu haben.
Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit
Unter diesem Kant-Zitat stand das Jubiläumswochenende von Anfang an. Der Chorsänger an sich ist ja eigentlich ein Wesen, gewohnt, sich in Interpretation und Ausdruck ganz an seinem Dirigenten zu orientieren, das wird in der Regel auch so gefordert. Nicht so bei Erwin Ortner. Dieser verlangt von seiner über 100-köpfigen Truppe, gemeinsame Lösungen zu finden zur Thematik, wie lange ein Ton zu dauern habe, wo dynamische Steigerungen angebracht seien und nennt es schlicht „Feigheit“, ein wiederholtes Motiv nacheinander in der gleichen Weise zu interpretieren. Faszinierend, wie sich dieser Anspruch, sich seines „eigenen Verstandes zu bedienen“, auswirkt auf die Fähigkeit der Sängerinnen und Sänger, die anderen wahrzunehmen und sich als Klangkörper zu verstehen.
Ruh’n sie?
Nein, sie ruhten nicht, abends wurde geschmaust und getanzt, wie es gute Sitte ist bei den Erlanger Chorwochenenden. Dieses Mal gab es dazu einen interessanten Rückblick auf die nun fast 50-jährige Tradition der Veranstaltung. Heinz Weyer erzählte von den Anfängen 1963, als er mit der Idee, in Erlangen im neu gebauten Jugendzentrum Frankenhof ein Singwochenende zu etablieren, beim AMJ auf Resonanz gestoßen war, erzählte von den ersten Referenten wie Herbert Langhans, Willi Träder, und dann Gottfried Wolters, der insgesamt 21 Mal nach Erlangen kam. Eine Teilnehmergruppe hatte zu diesen Erinnerungen eine Fotoausstellung aufgebaut, die mit viel Vergnügen, aber auch Wehmut betrachtet wurde, viele der Abgebildeten leben heute nicht mehr. Das Konzept wurde inzwischen fortentwickelt; nach wie vor engagieren die aktuellen Organisatoren – Juliane Weiher-Reuber, Wulf Niemann und Hans-Werner Ittmann – für vier bis fünf Wochenenden im Jahr verschiedene Chorleiter mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Es gab schon Veranstaltungen mit einem Jazz-Trio als Begleitung, Referenten wie z.B. Stefan Kalmer, Uli Führe und Markus Detterbeck sprechen eher die jüngeren Teilnehmer an, während Erwin Ortner, Kurt Suttner, Rosemarie Pritzkat vorwiegend „klassische“ Chormusik im Gepäck haben.
Ach, Scheiden macht uns die Äuglein nass …
Zur offenen Probe am Sonntagmittag erschien eine ansehnliche Zahl von Zuhörern, die am wie immer bewegenden Abschiedsritual teilnahmen. Einige der vielen Highlights der vergangenen Tage kamen noch einmal zum Erklingen. Trotz Verlängerung war dieses Wochenende nach Meinung vieler ganz besonders schnell vergangen.
Lösche die Lampe getrost, hülle in Frieden dich ein!
Erlanger Chorwochenden 2011
11.–13.3., 13.–15.5., 23.–25.9, 2.–4.12