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Das singende Jahr und „singende Jahre“

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Anmerkungen zu drei Jubilaren des AMJ: Gottfried Wolters, Willi Träder und Herbert Langhans
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Gottfried Wolters, der charismatische Chorleiter und Gründer des Norddeutschen Singkreises, Mitbegründer der Europäischen Föderation junger Chöre und unvergesslicher Singleiter der ersten sieben „Europa Cantat-Feste“: Er war Herausgeber und unermüdlicher Sucher nach Chorlitertaur im Geiste eines humanistischen Europagedankens, die Menschen im gemeinsamen Singen zusammenführt und den Fachmusiker sowie den Laien gleichermaßen auf den Weg anspruchsvollsten Chorgesanges bringt. Dabei ging es ihm um Identifikation mit jedem Detail der musikalischen Aussage in der kleinen und großen Form, im Lied wie in der Motette und im Bach’schen Oratorium. Wolters dürfte in den Aufbaujahren nach dem 2. Weltkrieg der erste gewesen sein, der die großen Bach-Passionen unter Beteiligung des Publikums als Mitsängerinnen und- sänger der Choräle zu einer singend-kommunikativen Aufführung brachte.

Seine musikwissenschaftlich ebenso fundierte Kompetenz wie künstlerisch geradezu besessene Überzeugungsarbeit kennen viele AMJ-Mitglieder der älteren Generation aus eigener Anschauung und jüngere zumindest vom Hörensagen. Mit der Liedblattreihe „Das singende Jahr“ hat er einen – durchaus an Fritz Jödes Praxis des Offenen Singens anknüpfende – musikpädagogischen Basisimpuls gegeben, der trotz heftiger ideologischer Diskussionen über das Singen von Volksliedern Ende der 60er- bis weit in die 70er-Jahre hinein weiterwirkte. Heute findet sich eine geradezu euphorische Singbegeisterung in Schulen und Musikschulen wieder, die an einen Fluss erinnert, der, eine längere Strecke unterirdisch verlaufend, auf einmal kräftig und allen sichtbar erneut hervorbricht. Gottfried Wolters hätte es mit großer Genugtuung beobachtet, wie Singen und bausteinhaftes Verbreiten von Liedgut gerade bei Kindern nachhaltige Grundlagen zum erweiterten Umgang mit Musik legt und durch Projekte wie „Jedem Kind seine Stimme“ und anderen vergleichbaren Initiativen der Gedanke des „Singenden Jahres“ wieder aufgegriffen wird. Bereichert durch neue Liedschöpfungen und eine größere Auffächerung in die zahlreichen stilistischen Ausprägungen der Musikszene der letzten 50 Jahre und das umfassende Wissen um Funktionsweise und Pflege der Stimme in Kindergarten- und Grundschulalter.

Menschen zum Singen zu bringen hat Wolters immer als eine soziale Aufgabe gesehen, als den „gesunden Kontrapunkt“ zur künstlerischen Arbeit, wobei unter seinen Händen auch das schlichte einstimmige Lied oder der Kanon in künstlerische Dimensionen emporgehoben wurde.

Auch Willi Träder, der zehn Jahre jüngere, in anderer Art und in anderem Umfeld tätig, hat in gleicher Weise parallel die aufbauenden Jahre des AMJ und der anspruchsvollen Chorarbeit mit heterogenen Singgruppen aus Fachmusikern und Laien geprägt. Auch er, ein durch Fritz Jödes Singstundenpraxis beflügelter Singleiter mit animierender Ausstrahlung auf große Menschengruppen, hat in kontinuierlicher und nachhaltiger Basisarbeit mit seinem in Berlin gegründeten Rupenhorner Singkreis und dem an seiner langjährigen beruflichen Wirkungsstätte in Hannover beheimateten „Niedersächsischen Singkreis“ künstlerischen Anspruch und pädagogisch motivierte Breitenarbeit auf faszinierende Weise zusammengeführt. Er war es auch, in dem die Musikschulen in ihrer Gründungsphase nach dem 2. Weltkrieg und bis zu seinem frühen Tode in der Sing- und Chorarbeit einen stetigen Anwalt und unermüdlichen Inaugurator gefunden hatten, der, zusätzlich bei seiner Tätigkeit als Professor an der Musikhochschule Hannover, die-se Impulse auch in Studiengänge und Ausbildungsstrukturen substantiell einbringen konnte.

Als dritte bewegende im wahrsten Sinne des Wortes treibende Kraft ist Herbert Langhans zu nennen. Aus der prägenden Schule von Fritz Jöde und Gottfried Wolters kommend wurde er zu einem frühen Vertreter dessen, was sich heute als Elementare Musikpädagogik an den Hochschulen des Landes festgefügt als Hauptfachstudiengang etabliert hat. Durch die Beschäftigung mit dem elementaren Instrumentarium nach den didaktisch-methodischen Prinzipen des von Carl Orff entwickelten Schulwerks und des Folklore-Tanzes sowie der Bewegungs- und Tanzimprovisation wurde Langhans quasi zum Verbreiter all dessen, was sich auf dem Feld der basalen musikalischen Unterweisung bei Kindern und Erwachsenen in den 50er-Jahren entwickelte.

Bei ihm wurde der musizierende Mensch als Einheit von Stimme, Instrument und körperlicher Bewegung gesehen, eben als sich künstlerisch ausdrückende Persönlichkeit in Spiel, Musik, Tanz. So auch der Name der Abteilung, die er als Professor über viele Jahrzehnte an der Sporthochschule Köln aufbaute und betreute. Hier, in der Nähe des Westdeutschen Rundfunks, war es nur ein kleiner Schritt zur Nutzung des Mediums Radio, um, in Offenen Singstunden, bei Schulfunksendungen und anderen pädagogisch orientierten Programmen wesentliche Akzente bei der Vermittlung elementarer Musikpraxis zu setzen.

Die Tradition, aus der er kam, nie verleugnend, ist er bis heute dem Neuen aufgeschlossen und nimmt regen Anteil an allen Entwicklungen, die sich um ihn herum vollziehen.

So feierte er auch seinen 90. Geburtstag im Kreise seiner großen Familie, vielen alten und jungen Freunden aus gemeinsamen Singveranstaltungen und zahlreichen Liedern und Chorsätzen aus mehr als einem halben Jahrhundert in sängerischer Tradition des Arbeitskreises Musik in der Jugend.

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