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Ein choreographierende Chor in Schwarz und Blau.

Der Kinder- und Jugendchor der Oper Leipzig bei seiner Abschlussperformance mit der Leiterin Sophie Bauer. Foto: Nils Ole Peters

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Innovativ und mutig

Untertitel
Das 20. Symposium für Kinder- und Jugendstimme vom 23. bis 25. Februar 2024 in Leipzig
Vorspann / Teaser

Wie immer war das Programm herausfordernd dicht inhaltlich geplant. Wer jedoch mit guter Kondition und Konzentration durchhielt wurde durch eine Vielfalt an gut aufbereiteten Informationen und durch praktische Erfahrungen belohnt. Es gehört seit Jahren zur bewährten Struktur des Symposiums, ganz vielfältig aktuelle stimmbildnerische Herangehensweisen und Singweisen zu thematisieren. Es sprengte den Rahmen dieses Berichts, jede einzelne Veranstaltung zu benennen, auch wenn es sich durchaus lohnen würde! Darum wird hier zum Gesamtprogramm verwiesen.

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Einige Themen und Inhalte seien aber herausgestellt: Die Musikstadt Leipzig bürgt mit ihrer reichen Musikkultur für ein professionelles musikalisches Rahmenprogramm und so sorgte als erstes der GewandhausJugendchor für einen stimmungsvollen Musikalischen Auftakt mit Stücken von John Rutter über Bob Chilcott bis hin zu Morten Lauridsen. Doch auch eine international besetzte Salsa Band aus Leipzig hatte der Kongress mit „Vientos del Caribe“ zu bieten, die – dem Genre entsprechend – zu einem Konzert mit Tanzen einlud!
Mit einer Performance von Yesun-Erdene Bat war ein Blick über den Tellerrand auf den mongolischen Khöömii-Gesang möglich.
Vier der achtzigminütigen Workshops konnten rotierend von allen Teilnehmenden besucht werden, was die Gelegenheit zu mehr Interaktion mit dem Publikum als im Plenum gab. Zwei davon waren Workshops, die beiden anderen verblieben – bei hoher Qualität – im Vortragsmodus. Themen waren...

  • das Wachsen der Ich-Identität vom Säugling zum Erwachsenen.
  • „The Intelligent Choir“, eine maßgeblich von Jim Daus Hjernøe entwickelte Methode standardisierter Bewegungen, ermöglichte es, mit Gruppen chorale Stimmsounds zu improvisieren, angeleitet durch Gesten des so genannten Vocal Painting. Das klare System mit circa achtzig Gesten, denen bestimmte Handlungsmöglichkeiten zugeordnet sind, lässt sich gut übertragen. Das Prinzip, Vokalklänge auf bestimmte Zeichen hin zu produzieren, kann man aber auch mit eigenen Ideen versehen.
  • ein Einblick in die stimmtherapeutische Arbeit mit trans*, inter* und non-binären Menschen und deren Geschlechtsidentität.
  • „Popchor – wie geht das?“ bot einen authentischen Überblick über den Aufbau eines solchen Ensembles mit Jugendlichen (https://be-one-vocalists.de) und über die speziellen Singtechniken.

In einem weiteren Plenumsworkshop mit Mitgliedern des Knabenchors Hannover und Nils Ole Peters erlebte man, wie sensibel und genau die Wahrnehmung sein muss um Stimmentwicklung und Stimmwechsel bei Knaben richtig einzuschätzen.
Für das musikalische Erwachen des Plenums am Samstagmorgen sorgte Silke Hähnel-Hasselbach mit ihren Zutaten aus dem Methodenkoffer. Für die Zukunft wäre auch einmal ein Workshop mit ihr sehr wünschenswert! 

Über allem aber stand in diesem Jahr das in vielen Aspekten innovative Themenfeld „PERSON -– IDENTITÄT – GEMEINSCHAFT“. Innovativ, weil sich die Fragen zur Identitätsbildung – insbesondere in der Pubertät – und zur Wirkung von Gemeinschaft in Gruppen für die Zielgruppe Kinder und Jugendliche durch die Veränderung von Gesellschaft immer wieder neu stellen, sei es durch wissenschaftliche Erkenntnisse oder die Sicht auf Mensch und Persönlichkeit. 

Großen Zuspruch fanden daher die Thesen von Eva Spaeth zu psychosozialen Aspekten der Gruppendynamik: Wer bin ich hier in diesem Chor? Es brauche in diesem komplexen Beziehungssystem Chor beim Dirigieren und Singen die angemessene Selbstliebe und ständige Beziehungsarbeit für das Gelingen des Dirigierens und Leitens. Was damit gemeint sein könnte, war gleich darauf im eindrucksvoll zugewandten Beitrag von Yoshihisa Matthias Kinoshita zu erleben. Zur oft gestellten Frage: „Wann singen Kinder in der Probe angstfrei alleine vor?“ zeigte er schlüssig auf, dass vor allem eine gute Beziehungsarbeit die Grundlage für die Entfaltung des Individuums sei. Mindestens genauso viel Zustimmung jedoch bekam der Philosoph Wilhelm Schmid, der den Begriff der „Selbstliebe“ klar in Frage stellte und  die „Selbstfreundschaft“ für den Umgang mit sich selbst und anderen an dessen Stelle setzte. Er bezog sich dabei auf sein gleichnamiges Buch (2018) zum aufmerksamen Umgang mit sich selbst, das ganz konkrete Handlungsoptionen herausarbeitet, ohne ein „Ratgeber“ zu sein.  Anscheinend war das wohl kein Widerspruch für das Publikum.

Ebenso innovativ und auch mutig war die intensive Beschäftigung mit dem Thema „Stimme und Geschlechts­identiät“. Mirko Döhnert gab einen Einblick in Transgender aus wissenschaftlicher und medizinischer Sicht. Wie dringend notwendig solche Veranstaltungen sind, zeigte sich sowohl in Gesprächen und Workshops, als auch in einer plenaren Podiumsdiskussion auf die der Kongress am Ende zulief. Viele haben in ihrem Alltag Kontakt mit trans*, inter* oder non binären Menschen.  Zur stimmlichen Befindlichkeit oder Anatomie gibt es jedoch nur wenig Erfahrungen. Sehr offen berichteten die Protagonist:innen Erhellendes über die Wege zu ihrer heutigen Identität, artikulierten Probleme und Wünsche. Klangbeispiele der individuellen Stimmen flankierten dies. Offenheit und Sensibilität auf dem Podium, eine souveräne Moderation und ein Plenum von vierhundert Menschen, aus deren Mitte Fragen in einer achtsamen und intimen Atmosphäre gestellt wurden. Das gelingt – so berührend – selten, eine Sternstunde dieses Symposiums! Es besteht zeitnah ein enormer Forschungsbedarf. Der Kinder- und Jugendchor der Oper Leipzig beendete das Symposium spektakulär vielfältig und mit einem szenischen „Rausschmeißer“! 

Wir dürfen gespannt sein auf das 21. Leipziger Symposium zur Kinder- und Jugendstimme mit dem Thema „Zukunftswelten“ vom 21. bis 23. Februar 2025. (https://www.uniklinikum-leipzig.de/einrichtungen/kinderstimme)
 

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