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Kinder- und Jugendchorleitung aktuell

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Es ist extrem wichtig, die Begeisterung während der Proben hochzuhalten
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Im April 2022 fand zum ersten Mal die „AMJ Spring Class“ statt, ein Fortbildungsangebot spezifisch zum Thema Kinder- und Jugendchorleitung. Hannes Piening sprach dort mit zwei der drei DozentInnen, Barbara Buncic und Michael Reif, beide selbst als Chorleiter und Lehrer aktiv, über Entwicklungen und Perspektiven im Kinder- und Jugendchorbereich.

Arbeitskreis Musik in der Jugend: Haben sich eurer Meinung nach die Inhalte im schulischen und außerschulischen Musikunterricht in den letzten Jahren verändert beziehungsweise verschoben? Falls ja, in welcher Weise?
Barbara Buncic: Die größte Veränderung ist sicherlich durch die Corona-bedingten Einschränkungen gekommen, sodass das praktische Musizieren, insbesondere das Singen, sehr zurückgegangen ist. Wir haben es mit einer Generation von Kindern und Jugendlichen zu tun, der eine Menge Erfahrung fehlt, und die stimmlich ganz woanders abgeholt werden muss als bisher. Andererseits ist die Schule ja der einzige Ort, an dem die Kinder in großer Zahl sowieso schon da sind – man muss sie nur wieder zum Musizieren bringen! Aber das ist manchmal leichter gesagt als getan. Was den regulären Musikunterricht angeht, empfinde ich, dass der klassische Musikbereich immer weniger Gewicht erhält und den Schüler*innen fremd wird. Da spielen sicherlich auch Hörgewohnheiten zu Hause eine Rolle. Auch bei mir schlagen zwei Herzen in meiner Brust, da ich mit meiner klassischen Ausbildung die Verantwortung sehe, dieses Kulturgut weiterzutragen, aber gleichzeitig ein riesiger Fan von Rock und Pop bin. Ich versuche, beide Dimensionen in den Musikunterricht und in die Chorarbeit einfließen zu lassen. Für mich gehört beides zusammen.
Michael Reif: Ja, es wird immer weniger klassisch musiziert. Viele Chöre pflegen ein reines Pop-Repertoire, und eine ganze Tradition droht zu verschwinden: Volkslieder, Kanons und Lieder. Im schulischen Bereich sind Musiktheorie und das theoretische Beschäftigen mit Musik viel stärker geworden, obwohl alle Inhalte praxis­orientiert bearbeitet werden. Künstlerische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen muss gestärkt werden, auch der Anfang.
AMJ: Wie können Chöre und Vereine von der Gründung von Kinder- und Jugendchören profitieren? Was sollte dort zur Nachwuchsförderung getan werden?
Reif: Nachwuchsarbeit in Chören und Vereinen muss sein! Ohne direkt zu fragen „Und wann kommen die in den Erwachsenenchor?“, muss hier eine Kultur erhaltende Arbeit getan werden, die den nachfolgenden Generationen unsere Liebe zur Chormusik zeigt, ihnen die Möglichkeit gibt, Musik und Singen als wunderbare Betätigung und Ausdrucksmöglichkeit der Stimme, ja des Menschen kennenzulernen.
Buncic: In einer von Unsicherheit und Krisen geprägten Zeit bieten Chöre die Möglichkeit, sich etwas Gutes zu tun und Gemeinschaft zu erleben. Musizieren war und ist für Menschen immer sinnstiftend und bereichernd! Das könnte viel stärker kommuniziert werden, auch den Eltern gegenüber. Ich denke auch, dass die Vorbildfunktion der Elterngeneration da eine große Rolle spielt: Wenn die Erwachsenen singen, in Konzerte gehen und ihre Kinder zum Singen motivieren, fällt eine nachhaltige Kinder- und Jugendchorarbeit leichter. Dass die Chorlandschaft dringend Nachwuchs braucht, um auch im Erwachsenenbereich zu funktionieren, ist offensichtlich. Auch stilistisch ist eine Öffnung der Chöre wichtig, um zukunftsfähig zu bleiben. Kooperationen zum Beispiel mit (Musik-)Schulen bieten sich bei rückläufigen Zahlen in den freien Chören an und führen mitunter zu hervorragenden Projekten! So oder so sind Flexibilität und Veränderung in der Chorszene gefragt, ein unreflektiertes „Weiter so“ erscheint mir nicht mehr zeitgemäß.
AMJ: 2022 habt ihr das erste Mal die „AMJ Spring Class“ durchgeführt. Was war eure persönliche Motivation? Was unterscheidet die Arbeit mit einem Kinder- oder Jugendchor von der mit erwachsenen Sänger*innen?
Reif: Nach Corona hat es gerade im Kinder- und Jugendchorbereich einen massiven Einbruch gegeben. Manche Chöre haben fast zwei Jahre kaum oder nur sporadisch geprobt. Hier muss eine dezidierte Förderung einsetzen, da auch die Sozialkompetenzen der Kinder oft unterentwickelt sind. Die kontinuierliche Arbeit hat einen speziellen Stellenwert, die Motivation und die Arbeit mit den Kindern muss der jeweiligen Altersstufe immer wieder angepasst werden.
Buncic: Das Zusammenwirken der drei Dozent*innen mit (angehenden) Chorleiter*innen und einem Workshop-Chor klang für mich in der Vorbereitung sehr reizvoll und bereichernd für alle Beteiligten. Gleichzeitig hatte ich den Wunsch, mich mit den Teilnehmer*innen auszutauschen und ihnen in der recht kurzen Zeit konkrete Werkzeuge an die Hand zu geben, was insbesondere die Chorarbeit an Schulen ohne spezielles Musikprofil angeht. Meinen Studierenden gebe ich immer mit, dass sie bei der Chorarbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht ihre musikalischen Ansprüche herunterfahren sollen, nur weil die Sänger*innen jünger sind! Die Unterschiede liegen meiner Meinung nach vor allem im gemeinsamen Weg zu einer gelungenen Interpretation. Es ist extrem wichtig, die Begeisterung während der Proben hochzuhalten und stark auf die Jugendlichen und das, was sie musikalisch anbieten, einzugehen. Dann spüren sie ihre eigene Verantwortung für den Chor.

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