Hauptrubrik
Banner Full-Size

Chancen und Gefahren für die junge Stimme

Untertitel
5. Leipziger Symposium Kinder- und Jugendstimme: Medizin, Musik und Pädagogik
Publikationsdatum
Body

J.S. Bach wird sich nicht in seinem Grab in der Thomaskirche herumgedreht haben, als im Februar in der Leipziger Musikhochschule 450 Fachleute aus Musik, Medizin und Pädagogik den „heimlichen Groove“ in seinem Magnificat entdeckten. Im Gegenteil, er dürfte sich gefreut haben, dass es auch in der Postmoderne Sänger jeden Alters gibt, die den emotionalen Gehalt seiner Musik (hier: Marias Hochstimmung) zeitgemäß und in angemessener künstlerischer Form transportieren: mit Groove und Glücksgefühl.

Der tosende Applaus des 450-köpfigen Chores galt Prof. Schönherr vom Fachbereich „Schulische Musizierpraxis und ihre Didaktik“ an der MH Hamburg für sein mitreißendes musikdidaktisches Meisterstück. Es war zugleich Finale des 5. Leipziger Symposiums „Kinder- und Jugendstimme“. Diese Veranstaltung unter dem diesjährigen Thema „Stimmkulturen“ öffnete Augen, Ohren, Herzen und Verstand für den behutsamen Umgang mit der Stimme unter den Herausforderungen unserer Zeit. Einer Zeit, in der Kinder und Jugendliche zunehmend den Wunsch haben, außer klassischer Chorliteratur auch andere Musikstile zu singen. Globalisierung und Medienpräsenz beschleunigen ihr Interesse an Musikkulturen wie Musical, Film, Pop, Rock oder Gospel.

Dass diese Art von Singen besondere Anforderungen an die junge Stimme stellt und Chancen ebenso birgt wie Gefahren, darin waren sich die Experten einig. Aus ganz Deutschland waren sie nach Leipzig geströmt, um ihr Wissen in Theorie und Praxis zu erweitern. Unter der Federführung des ehemaligen Thomaners Dr. Michael Fuchs, Leiter der Abteilung für Stimm-, Sprach- und Hörstörungen, hatten die Kooperationspartner HNO-Uniklinik Leipzig, AMJ, MH Leipzig und Bundesverband Deutscher Gesangspädagogen wieder ein Forum mit interdisziplinärem Austausch und raumgreifender Langzeitwirkung auf die Beine gestellt.

Zwei Tage lang hielten Fachvorträge und Workshops zu aktuellen Erkenntnissen aus Human- und Musikethnologie, Stimmphysiologie, Therapie und Pädagogik die Teilnehmer in Atem. Dem ganzheitlichen Ansatz trugen die Workshop-„Versuchskaninchen“ vom Schulchor Markkleeberg, die „Sächsischen Variationen“ des musikalisch ambitionierten Kabarettisten Tom Pauls, die Präsentation fachbezogener Industrieunternehmen und gesellige Zusammenkünfte am Büffet Rechnung. Besonders begeisterten Auftritte des vitalen Dresdner Jazzchores „VoiceIt“ (2. Sieger beim Chorwettbewerb 2006) und des ebenso blutjungen wie brillanten A-cappella-Ensembles „Chickpeas“ (Kichererbsen). Ethnologische Streiflichter widmeten sich dem Reiz alter Musik für junge Stimmen, der männlichen Falsettstimme, den Besonderheiten des Kastratengesangs, afrikanischer und indischer Stimmtradition oder dem ganz eigenen Stimmklang im Pop-, Jazz- und Rockgesang. Dass einer gut geschulten Stimme auch starke Beanspruchungen nicht schadet, kam ebenso zur Sprache wie typische Erkrankungen des Stimmapparates und deren Behandlung.

Dem Stimmklang und den Ansatzräumen bei jungen Sängern widmete sich der Physiker, Musikwissenschaftler und Sänger Prof. Johann Sundberg aus Stockholm. Eindrucksvoll machte sein Hauptreferat die Zusammenhänge zwischen „Hard- und Software“ beim Singen transparent. Dass Chorkinder außer dem Singenlernen auch auf sozialer, emotionaler, körperlicher und geistiger Ebene profitieren, dürfe nicht davon ablenken, dass das Singen keiner anderen Begründung bedarf, war das Fazit einer weiteren Studie: Das Singen ist vor allem menschliches Urbedürfnis.

Eindringlich wurde frei nach dem Motto „lieber gar nicht singen als falsch“ auf die Sorgfalt im Umgang mit der heranwachsenden Stimme hingewiesen. Um sie nicht unwiederbringlich ein Leben lang in der „Bruststimmfalle“ zu fangen, müsse von Beginn an auf klangschönes, tragfähiges und effizientes Singen in höheren Lagen, richtige Atmung, saubere Intonation und präzise Artikulation geachtet werden. Praktische Beispiele aus der Musicalszene, spannende Stimmspiele für klangvolles und selbstbewusstes Singen in der Gruppe, die farbenprächtige Übersetzung von Text in Klang, aber auch stimmdiagnostische und -therapeutische Betrachtungen rundeten eine Veranstaltung ab, die sich in kürzester Zeit eine bundesweit führende Position erwarb.

Print-Rubriken