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Warum wir komponieren

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Moritz Eggert zur Situation der Komponisten heute
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Der DKV ist ein Zusammenschluss von Komponistinnen und Komponisten aller Genres und Stilrichtungen, die der solidarische Gedanke einer Interessenvertretung für alle musikalisch Kreativen eint. In der immer komplexer werdenden Kulturlandschaft unserer Zeit ist mediale Präsenz zunehmend wichtig, daher wollen wir mit geeinter Stimme sprechen, wenn es um die Belange der Kreativen gegenüber der Politik oder der Öffentlichkeit geht. Um auf die spezifischen Situationen in den verschiedenen Bundesländern eingehen zu können, gibt es selbstständig agierende Landesverbände des DKV, in denen sich Kolleginnen und Kollegen intensiv mit den aktuellen Problemen selbstständiger schöpferischer Arbeit verständigen, Rat und Hilfeleistung erhalten und Anschluss finden können.

Um spezielle Fachinteressen zu vertreten, gibt es innerhalb des Verbandes die Fachgruppen DEFKOM (Filmkomponisten und Komponistinnen), VERSO (Singer- und Song­writer:innen) und FEM (Fachgruppe E-Musik) sowie seit kurzem auch eine Arbeitsgruppe „Generation Zukunft“, die sich um die Belange der jüngsten Generation kümmert. Auf nationaler und internationaler Ebene engagieren wir uns zum Beispiel im Aufsichtsrat und anderen Gremien bei der GEMA, dem Kulturrat, dem Deutschen Musikrat, der KSK, der Initiative Urheberrecht und der ECSA mittels unserer zuständigen Delegierten. Ab dieser Ausgabe werden wir in der nmz aktuelle Themen aufgreifen und über Aktivitäten des Verbandes informieren. Den Beginn machen Auszüge aus dem Dezember-Newsletter des DKV – eine Bestandsaufnahme des Komponierens in Corona-Zeiten mit Gedanken darüber, woher man im Moment Motivation schöpfen kann:

Gehört werden

Der tiefe Schock der vergangenen Zeit liegt vor allem darin begründet, dass vieles, an das wir uns schon gewöhnt hatten, plötzlich nicht mehr gewiss ist. Warum komponieren wir? Schauen wir uns doch mal die möglichen Antworten an.
1) Ich komponiere, weil ich will, dass meine Musik von vielen Menschen wahrgenommen wird
Wenn wir ehrlich sind, wünschen wir uns das alle. Niemand von uns will nur Schreibtischtaten begehen. Wir komponieren, weil wir das, was wir komponieren, auch als hörenswert betrachten. Wir wollen in dem Genre, in dem wir arbeiten, die Anerkennung erfahren, die uns ermöglicht, von Aufträgen oder Auftritten leben zu können. Das Problem: Im Moment haben die Menschen andere Sorgen. Jede Kunst braucht Aufmerksamkeit (sonst findet sie nicht statt), und diese Aufmerksamkeit gilt im Moment anderen Dingen. Corona war in gewisser Weise ein „großer Gleichmacher“ unserer Zunft, aber manche können es sich eher leis­ten, magere Zeiten „auszusitzen“ als andere.

Für wen die Motivation des äußeren Erfolges die wichtigste ist, wird in diesen Zeiten nicht viel zu lachen haben und kann in eine dauerhafte Depression verfallen.
2) Ich komponiere, weil es mir Spaß macht
Im Grunde ist das eine sehr gute Motivation. Nur die verhärmtesten Puritaner werden behaupten wollen, dass kreative Arbeit ein freudlos abzuleistender Frondienst sein solle. Natürlich soll das Komponieren Spaß machen, und wenn es das nicht täte, wäre mancher Corona-Tag für uns unerträglich gewesen. Jetzt stellt sich aber die Frage: reicht es, einfach nur Spaß haben zu wollen? Wir alle wissen, dass kreative Arbeit nicht selten aus Schweiß und Tränen besteht. Nicht immer ist man im perfekten „Flow“, manchmal belasten Deadlines und Selbstzweifel die Arbeit. Man muss auch komponieren können, wenn es überhaupt keinen Spaß macht. Aber selbst dann arbeitet man für einen Moment, in dem das Ergebnis Spaß macht: Wenn man erlebt, wie Musikerinnen und Musiker die eigene Musik spielen und Stolz und Freude empfindet; wenn man merkt, wie das Publikum in einem Konzert mitgeht; wenn man erlebt, wie ein Film durch den eigenen Musikbeitrag an Wirkung gewinnt. Das sind alles positive Erlebnisse, die einen manche harte Stunde auf dem Weg dahin überstehen lassen.

Das Problem: Mangels Aufführungen und freudigen Erlebnissen hat diese Motivation gelitten. Es ist etwas vollkommen anderes, eine Aufführung vor einem begeisterten Publikum zu erleben, als vor einem gedämpften, weniger zahlreichen oder ängstlichen. Wenn uns also angesichts dieser tristen Umstände auch der Spaß beim Komponieren verging, kann man uns das nicht übelnehmen. Verlass ist auf diese Motivation im Moment also nicht.
3) Ich komponiere, weil ich „muss“
Komponieren zu lernen ist – ähnlich wie ein Philosophiestudium – nicht unbedingt finanziell aussichtsreich, aber wer für diese Themen brennt, „kann nicht anders“, und das kann man genauso respektieren wie andere verrückte Herausforderungen, der sich Menschen stellen. Unerbittlich angetrieben zu sein von Neugier oder dem Wunsch, etwas Außergewöhnliches zu schaffen, sind gute Gründe, sich dem kreativen Beruf zu widmen.

Das Problem: ähnlich wie bei Punkt 1). Denn selbst wenn man vollkommen uneitel ist oder allein an der „Sache“ dran ist, wünscht man sich irgendwann, dass das jemand auch mitbekommt. Der Triathlet, der gerade die Welt umrundet hat, möchte nicht einsam und unbeachtet am Münchener Odeonsplatz ankommen, die Komponistin, die gerade neueste Klangwelten erforscht hat, will nicht, dass diese auf einer Festplatte versauern und niemand je davon erfährt. Das „Müssen“ muss auch in die Welt, es will sich ausdrücken, hinterfragt werden, in eine Kommunikation eintreten. Aber dafür sind gerade was Kunst angeht, momentan die schlechtesten Voraussetzungen.

Wie man an die Zukunft glaubt

All das macht also nicht sonderlich Mut. Alle genannten Motivationen sind in normalen Zeiten vollkommen ausreichend, zerschellen aber an den Realitäten von katastrophalen Weltereignissen. Sich mit aller Kraft dagegen zu behaupten, kann aber ab irgendeinem Punkt nur frustrierend sein.
Bleibt also nur eine vierte Motivation, die uns weiterhelfen könnte.
4) Ich komponiere, weil ich an eine Zukunft glaube
„Zukunft“ ist ein großes Wort. Versuchen wir doch zu ergründen, was es wirklich bedeutet. Es bedeutet, dass ein Teil von dem, an dem wir uns gerade abarbeiten, Bestand hat. Dass irgendetwas weitergeht. Ein neugeborenes Kind ist – selbstverständlich – Zukunft. Aber auch eine Idee ist Zukunft. Wir Menschen insgesamt sind Zukunft.

Alles, was wir uns vorstellen können, ist möglich, im Guten wie im Schlechten. Aber damit es überhaupt irgendeine Zukunft gibt, müssen wir uns etwas vorstellen können. Und dabei spielt die Imagination – und damit natürlich die Kunst – eine wichtige Rolle. In der Forschung können wir etwas entdecken, aber wir können nur das entdecken, was es schon gibt. Nur in der Kunst können wir Dinge entdecken, die es noch nicht gibt. Wir können sogar die Dinge selbst erfinden.

Und dafür ist der „wilde Raum“ unserer Imagination gedacht – alles zu verhandeln, alle Möglichkeiten durchzuspielen, alle Ideen zu verfolgen. Es ist vollkommen unwichtig, welche Ideen sich „durchsetzen“, welche „besser“ oder „schlechter“ sind, genausowenig wie man sagen muss, welcher Wassertropfen jetzt der entscheidende für die Bewässerung einer Pflanze war. In diesem Strom der Möglichkeiten ist jeder Tropfen gleich entscheidend, solange es genügend Tropfen gibt. Das Außergewöhnliche braucht das Durchschnittliche, um sich davon abzusetzen, genauso wie das Durchschnittliche das Außergewöhnliche braucht, um nach Höherem zu streben.

Für uns als Komponisten heißt das also, dass es – außer für unser Bankkonto – letztlich nicht wichtig ist, wie berühmt oder erfolgreich wir sind, sondern allein, dass wir unsere Stimme erheben. Dass wir komponieren. Dass wir Musik erfinden, dass wir Möglichkeiten ausloten, dass wir unsere Fantasie erblühen lassen. Weil wir damit dafür sorgen, dass auch in Zukunft Menschen genau dies tun und daran Freude haben können, Hörende wie Schöpfende. Dieser Prozess muss immer lebendig bleiben, es muss immer wieder Neues entstehen, ansonsten erstarrt alles in Nostalgie und geistigem Stillstand. Immer nur zurückzuschauen – wie es ein Großteil der Programme unserer Opernhäuser und klassischen Konzertsäle tut – verhindert irgendwann Zukunft. Das sich immer wieder neu definierende Lebendige muss einen Platz haben, das ist in unser aller Interesse als lebendige Komponierende.

Ich wünsche uns allen, dass dies uns 2022 motiviert, weiterzumachen und schöne Dinge in diese Welt zu bringen. Musik, die Freude macht, die anregt, die begeistert oder erstaunt, oder uns vielleicht einfach nur ein bisschen tröstet.
Moritz Eggert, Präsident des Deutschen Komponist*innenverbandes

 

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