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Wofür kämpfen wir? Und gegen wen?

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Über den Wert der Kultur und des Musizierens
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Mein Stammfriseur ist Albaner, erst seit einigen Jahren in unserem Land und ganz sicherlich nicht jemand, der regelmäßig ins Theater oder in die Oper geht. Er ist auch kein typischer „Kulturkonsument“, liest weder FAZ noch SZ und hat ganz sicher noch nie von Alexander Kluge gehört. Trotzdem oder vielleicht sogar deswegen kann ich mich mit ihm immer wunderbar unterhalten.

Vor vier Jahren wurde er Vater eines kleinen Sohns. Bei meinem letzten Termin überraschte er mich mit einer Frage: ob ich fände, dass es zu früh wäre, wenn sein Sohn jetzt ein Instrument wie zum Beispiel Geige lernen würde? Ich verneinte und sagte ihm, dass es sicherlich eine gute Musikschule in seiner Nähe geben müsste und dass das sein Sohn doch einfach mal probieren sollte. Ich fragte ihn, wie er auf die Idee gekommen sei. Seine Antwort war so einfach wie überzeugend: er fände es als Vater wichtig, dass sein Kind sich mit etwas Sinnvollem beschäftigt.

Ich erzähle diese Geschichte, weil mich seine Antwort beschämte. Als Präsident des Komponist:innen­verbandes, als Komponist, als Blogger bin ich ständig in der für unsere Branche üblichen Rechtfertigungshaltung gefangen. Ständig muss ich Menschen den „Sinn“ von Musik erklären. „Bitte erhaltet Orchester XY“ „Bitte erhaltet die Kultursender“, „Bitte erhaltet dieses Festival“ ist mein tägliches Mantra. Ständig unterzeichne ich Petitionen oder unterstütze Kampagnen, die den Menschen den Wert von Kultur nahebringen sollen. Ich verteidige Kultur gegen kommerzielles Nutzdenken, gegen Kürzungen, gegen Ignoranz und Spießigkeit. Ich preise junge Komponierende und fordere, dass man ihnen mehr Raum zur Entfaltung gibt. Ich wünsche mir aktuelleres Repertoire in den Opernhäusern das unsere Gesellschaft besser abbilden kann als mühsam per Interpretation auf Aktualität hingebogene Geschichten aus dem 19. Jahrhundert. Ich freue mich über qualitativ hochwertige Filmmusik und inspirierte Songs von lebenden Kolleginnen und Kollegen und möchte, dass diese präsenter in der Öffentlichkeit sind. Ich diskutiere mit Politiker:innen und fordere mehr Unterstützung für freie Kunstschaffende in diesen schwierigen Zeiten.

Und die Personen, mit denen ich diskutiere, sind komischerweise genau die, die eigentlich von ihrer Herkunft her sehr genau wissen, was Musik und Kultur wert sind. Warum muss ich es ihnen also erklären? Die Tom Buhrows unserer Zeit waren sicher nicht auf einer Hauptschule oder mussten früh in die Lehre, kommen aus „gebildetem Hause“ und haben Universitäten und vom Staat geförderte Bildungsstätten besucht. Die Politiker:innen, die angeblich den „Willen des Volkes“ erfüllen, und sich zum Beispiel populis­tisch die Abschaffung der Rundfunkgebühren auf die Fahnen schreiben, sind nur in den seltensten Fällen in einfachen und kulturfernen Umständen aufgewachsen, haben zu Schulzeiten ganz sicher Kunst- und Musikunterricht bekommen, Schulfunk gehört und Theateraufführungen und Museen besucht, die von öffentlicher Hand finanziert werden.

Genau diese Menschen sind aber plötzlich die größte Gefahr für die Kultur und die Bildung in unserem Land, obwohl sie genau von dieser Kultur und Bildung in ihrem eigenen Lebensweg profitierten. Und genau das ist das Beschämende an der Antwort meines Friseurs.

Denn natürlich hat er Recht: selbstverständlich ist die Beschäftigung mit einem Instrument eine „sinnvolle“ Beschäftigung für seinen Sohn. Und er würde nie auf die Idee kommen, das in Frage zu stellen. Zu dieser Erkenntnis musste ihn niemand zwingen, sie ist nicht das Resultat irgendeiner Kulturagenda, er wurde nicht zu Kultur „erzogen“ und bekam auch ganz sicher nicht im Rahmen irgendeiner Förderinitiative als Kind ein Instrument in die Hand gedrückt. Was er aber ausspricht, ist gesunder Menschenverstand in seiner reinsten Form, wie ihn nur ein Mensch äußern kann, der die ganzen larmoyanten Kulturdiskussionen (die unser Feuilleton in nicht geringer Zahl füllen) nicht im Geringsten verfolgt. Musizieren und Singen ist „sinnvoll“. Das muss man ihm nicht erklären, er weiß es schon.

Das ist das Bestürzende an der ganzen momentanen Diskussion über Sinn und Unsinn von Kultur: Es scheint, dass wir zu unseren eigenen Feinden geworden sind, eifersüchtig Pfründe gegen uns selbst verteidigen oder über die richtigen Rechtfertigungen von Kultur hadern. Während die Menschen, die diese Diskussionen nicht verfolgen und auch nicht kennen, gar nicht überzeugt werden müssen.

Dennoch geht diese Diskussion auch meinen Friseur und seinen Sohn an. Denn wenn wir, die sogenannte „Kulturelite“, die wir als Intendant:innen und Macher:innen an den Hebeln der Macht sitzen oder mit unserer schöpferischen Arbeit irgendwie überleben, wenn also wir unsere Arbeit nicht mehr gut machen, wird es vielleicht die Musikschule irgendwann nicht mehr geben, zu der Farouk seinen Sohn schicken will. Denn dass es diese Musikschule gibt, dass sein Sohn diesen Geigenunterricht bekommen kann, hat auch damit zu tun, dass es Orchester, Opernhäuser und Konzerthäuser gibt. Alles hängt zusammen. Kultur ist nicht nur Elbphilharmonie und Berliner Philharmoniker. Kultur ist auch der Gitarrenlehrer, der in einer kleinen Musikschule auf dem Land unterrichtet. Kultur ist die Musiklehrerin, die trotz schwindendem Rückhalt für ihren Beruf einfach weitermacht und Schulklasse nach Schulklasse für Sacre von Stravinsky begeistert.
Wir müssen uns das alles immer wieder klarmachen, um zu verstehen, wofür wir kämpfen. Und gegen wen. Nicht gegen das angebliche „Desinteresse des Volkes“ (was immer bull­shit ist), sondern gegen unsere eigene Trägheit, gegen Verteilungskämpfe, fehlende Solidarität, Machtmissbrauch und Selbstbereicherung, gegen Korruption, undurchsichtige Finanzierung inklusive Geldwäsche durch russische Oligarchen und gegen sexuelle Belästigung oder Diskriminierung. Und gegen die Feinde der Demokratie, die in unserer und mit unserer Kultur groß wurden und jetzt ihre Abschaffung fordern, weil sie sehr wohl wissen, dass eine freie und vielfältige Kultur der wichtigste Garant für eine funktionierende Demokratie ist.

Aber lasst uns nicht verzweifeln am Jahresende, wenn wir ungewiss in eine von Kriegen und Inflation geprägte Zukunft schauen. Denn wir können sehr wohl etwas tun: Überall dort, wo wir selbst unsere größten Feinde sind, wo wir uns in endlosen Sinndiskussionen und Rechtfertigungsorgien zerfleischen, können wir sofort ansetzen und etwas ändern. Meinetwegen an einem „runden Tisch“.

Die kommenden Jahre werden sicherlich nicht einfach. Machen wir jetzt und hier das Beste daraus.

 

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