„Neben dem musikalischen Wettbewerb geht es bei ,Jugend musiziert‘ um die Begegnung musikbegeisterter Jugendlicher und um die Bewältigung einer besonderen künstlerischen Herausforderung. Die konzentrierte Arbeit mit dem Musikinstrument oder der Singstimme, die Auseinandersetzung mit Werken verschiedener Musikepochen oder das gemeinsame Erlebnis beim Musizieren im Ensemble bereichern alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer und fördern ihre Entwicklung.“ (Aus der Ausschreibung der Wettbewerbe „Jugend musiziert“)
Erst waren es ein paar hundert, inzwischen treten alljährlich zehntausende Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 26 Jahren bei „Jugend musiziert“ an, in einer Vielzahl von instrumentalen und vokalen Kategorien, in Solo- wie Ensemblewertungen, das Ganze im dreistufigen System von Regional-, Landes- und Bundeswettbewerb. Dabei verjüngt sich die Pyramide von der Gesamtzahl der Teilnehmer auf Regionalbasis nach ganz oben hin, zum Bundeswettbewerb, im Verhältnis von etwa 10:1. Die Jüngsten sind freilich nur in der ersten Runde dabei und für die Altersgruppe II endet der Wettstreit beim Landeswettbewerb. Im Übrigen aber gilt, wie jeder weiß, dass auf der ersten und zweiten Stufe die Bewertung des Vorspiels mit 23 bis 25 Punkten einen Ersten Preis und damit die Teilnehme an der nächsthöheren Runde bedeutet. Der magische Begriff lautet daher „Weiterleitung!“ Hört man sich in der „Bundes-Jug-mus-Republik“ um, dann sind fast alle Wettbewerber – nebst Eltern und Lehrern, die nicht selten in erster Linie – fixiert auf dieses Prädikat. Wird es nicht erreicht, so ist für viele der Wettbewerb verloren. Und das ist nicht gut so!
Von etwa 20.000 musizierenden Kindern und Jugendlichen am Start in annähernd 150 Regionalwettbewerben sind auch in diesem Jahr nicht ganz 30 Prozent mit Ersten Preisen sowie Weiterleitung zum Landeswettbewerb ausgezeichnet worden. Demnach hätten wir es mit mehr als 70 Prozent Nieten zu tun? Und von den Landeswettbewerben sind wieder zwei Drittel, das sind fast 4.000 Teilnehmer, ohne Qualifizierung für die Oberstufe zurückgekehrt – sämtlich enttäuscht, mit dem Schicksal oder der Jury hadernd? Beim Bundeswettbewerb, wo es kein Weiterleitungsprädikat gibt, empfinden schließlich nicht wenige eine Bewertung unterhalb des Ersten Preises, erst recht unterhalb der Preisgrenze von 20 Punkten, als Niederlage oder aber Fehlurteil – womöglich zu Recht?
Nein, mit Verlaub, da muss ein Missverständnis vorliegen, das sich mit der Zeit und der quantitativen Entwicklung bei „Jugend musiziert“ verbreitet hat: Dass de facto häufig vor allem die Ersten Preise mit Weiterleitung zählen, dürfte nicht im Sinne der Erfinder und der die Wettbewerbe durchführenden Fachverbände sein. Bei der Ausschreibung scheint jedenfalls der Potentialis angebracht: Es sollte eigentlich um „Begegnung und Bewältigung einer Herausforderung“ gehen, um „Auseinandersetzung mit Musikwerken“ und um „das gemeinsame Musiziererlebnis im Ensemble“ und damit in verschiedenen Dimensionen um die – vielleicht erste – künstlerische Erfahrung von Musik.
Selbstverständlich war von Anfang an allen bewusst, dass es bei einem Wettbewerb stets um hierarchische Bewertung und Platzierung geht, was im musisch-künstlerischen Bereich zweifellos auch Probleme aufwirft, beispielsweise die Frage nach den Bewertungskriterien musikalischer Präsentationen und deren Gewichtung bei Kindern und Jugendlichen. In den Gremien der Wettbewerbsträger bemühte man sich deshalb auch immer wieder um Relativierung des puren Wettbewerbscharakters, lange schon bevor Bohlen und Konsorten im Pop-Bereich die Idee derartiger Wettbewerbe mit „Deutschland sucht den Superstar“ ad absurdum führten.
So wurde von Beginn an auf singuläre Auszeichnungen mit je einem 1., 2. und 3. Preis verzichtet und über das Punktesystem den Jurys die Zuerkennung von Preisen in offener Anzahl nach dem Rang der Leistungen überlassen. Darüber hinaus gibt es neben den Solowertungen eben auch Ensemblewertungen in allen möglichen Kombinationen, werden in den Solo-Kategorien jugendliche Begleitpartner separat gewertet und mit Preisen bedacht, werden vor allem seit Langem schon auf Bundes-, Landes-, teilweise auch Regionalebene vielfältige Fördermaßnahmen angeboten – vorwiegend Ensembles aller Arten, vom Bundesjugendorchester bis zum „Workshop ALTE MUSIK“, von der Landes-Schüler-Big-Band bis zu Gitarren-, Akkordeon- und Blasorchestern, vom Kammermusikkurs bis zum Gospelchor.
Mannigfaltig also sind die Anreize zur Beteiligung an diesem vielgliedrigen Wettbewerbs-System. Dass die Wettbewerbe dabei nicht nur der Ermittlung früher Hochleistungen dienen, sondern mehr noch als Leistungsanreiz mit Breitenwirkung zu verstehen sind, als Instrument zur künstlerischen Initialzündung, zu musikalischer Forderung und Förderung, wird, wie es scheint, häufig nicht erkannt von denen, die es betrifft, nämlich den potentiellen Teilnehmern, ihren Eltern und Lehrern, bisweilen leider auch nicht von den Juroren, und es wird von den Veranstaltern wohl auch nicht immer hinreichend vermittelt.
Diese Vermittlung wäre, noch konsequenter praktiziert als bisher, auch eine Funktion der Beratungsgespräche der Jurys mit den Teilnehmern, die in der Regel auf allen drei Wettbewerbsstufen zwischen Wertungsspiel und Ergebnisbekanntgabe angeboten werden und „Jugend musiziert“ in besonderer Weise aus der Vielzahl musikalischer wie anderer Jugendwettbewerbe herausheben. Bei diesen Gesprächen sind – fast mehr noch als bei der Punktevergabe – Fachkompetenz wie pädagogisches Geschick und Erfahrung maximal gefordert. Freilich müsste dafür in vielen Fällen noch mehr Zeit eingeräumt werden, denn die Beratungsgespräche sind, richtig verstanden und geführt, ein Herzstück von „Jugend musiziert“. In der annähernd 60-seitigen Ausschreibungsbroschüre werden sie allerdings nicht einmal erwähnt!
Um auf das bereits angesprochene Missverständnis zurückzukommen: „Jugend musiziert“ soll also keine Lotterie sein, bei der es einige Hauptgewinne gibt und viele Nieten mit der Aufschrift „Leider nicht weitergeleitet“, sondern vielmehr ein mehrstufiges musikalisches Kinder- und Jugendtreffen, bei dem sich die Teilnahme immer lohnt, weil sehr wohl eine Weiterleitung winkt, nämlich die in eine höhere Sphäre musikalischer Leistungs- und Erlebnisfähigkeit. Tatsächlich finden viele der stets öffentlichen, also jedermann zugänglichen Wettbewerbsdurchgänge, bei denen schöne, interessante, nicht selten spannende, musikalisch beglückende Leistungen junger und noch jüngerer Musiker zu erleben sind, lediglich vor der Jury und einigen wenigen sich im Saal verlierenden Zuhörern statt. Da ist häufig zu beobachten, dass pünktlich zur Ansage des nächsten Wertungsspiels zeitgleich mit den Teilnehmern auch deren kleiner Tross – ein paar Angehörige, die Lehrerin, der Freund – den Raum betreten, um ihn unmittelbar nach dem Vorspiel gemeinsam wieder zu verlassen. Musikalische Neugier, Interesse an der Begegnung mit anderen, konkurrierenden Teilnehmern, an deren Musik, vielleicht an dem, was in der nächsthöheren Altersgruppe oder gar in ferneren Instrumental- und Vokalkategorien geboten wird, hält sich da in äußerst engen Grenzen. Das müsste sich ändern, und es sollte sich ändern lassen. Auf allen Ebenen wären mehr Anteilnahme, größeres Interesse der musikalisch interessierten Öffentlichkeit zu wünschen, etwa von Seiten der allgemeinbildenden Schulen, erst recht der Musikschulen, und zwar über die Wettbewerbsteilnehmer hinaus, auch unter verstärkter Mitwirkung der Medien.
„Jugend musiziert“ ein beinahe endloses Festival – das wär’s doch: Beim Bundeswettbewerb werden die Wertungsspiele zu Marathon-Pfingstkonzerten. Punkte, Preise und Beratungsgespräche gibt es natürlich obendrein. Und alle werden weitergeleitet – zu den festlichen Abschlusskonzerten, zu weiteren Vorspielen zu Hause und natürlich zum Anlauf im Herbst für die nächste Runde.