WESPE – seit sieben Jahren folgt auf den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ ein kleines Musikfestival, exklusiv für Bundespreisträgerinnen und -preisträger. Die kleine Schwester des etablierten großen Wettbewerbs neigt zum Experimentieren, begibt sich auf die weniger ausgetretenen Pfade und setzt auf diese Weise bei den Musikern ganz neue Energien frei. Während die Mehrheit der WESPE-Kategorien die jungen Leute dazu ermuntert, Schätze der schier unüberblickbar reichhaltigen Musikliteratur zu heben und zu interpretieren, gibt es eine Kategorie, die sich an die Schaffenskraft der Musiker richtet und zum Komponieren auffordert: „Beste Interpretation eines eigenen Werks“.
Sie verzeichnete in diesem Jahr einen besonders hohen Zulauf. Die Organisatoren haben mit der Einrichtung dieser Kategorie ganz offensichtlich einen Nerv getroffen und setzen so bei den Teilnehmern ungeahnte kreative Potenziale frei. Im Rahmen ihrer Wertungsspiele stellten die Komponisten ihre eigens für WESPE komponierten Werke dann auch als Interpreten vor und formulierten im Programmheft des Wettbewerbs Programmnotizen:
„Ich hatte immer schon Spaß am Komponieren, weil man die Möglichkeit hat, ganz eigene musikalische Ideen niederzuschreiben. Die Idee des Stückes war, vorproduzierte Zuspielklänge und ein mit dem Fagott live eingespieltes Delay mit meinem Livespiel zu verbinden.“ (Julian Partzsch aus Lichtenau/Herbram über „Morae für Fagott, Zuspielklänge und Delay“)
„Bei diesem Stück muss man Tenorsaxophon und Klavier gleichzeitig spielen. Es kommen viele klassische Elemente vor, aber auch Neuheiten, die sich vom klassischen Genre unterscheiden. Ich habe mich einfach hingesetzt und angefangen zu komponieren.“ (Georg Razumovskij aus Köln über „Pianophon“)
„In unserer Komposition ‚Vom Winde verdreht‘ geht es um Veränderungen und Verdrehungen von Tönen und Geräuschen, die durch den Wind in Form von Ventilatoren, Luftpumpen, Föhnen erzeugt werden.“ (Die Flötistinnen Catharina Demske, Anna Pinn und Paula Pinn aus Berlin)
„Neue Töne klingen fremd. Vielleicht mag man sie nicht und ist verstört. Ich will die Ähnlichkeit der beiden Instrumente Fagott und Kontrafagott zeigen und dass im Wechsel die Melodien und Klänge des einen aus dem anderen hervorgehen.“ (Thomia Ehrhardt aus Berlin über „Fremdheit stört“)
„Gewiss hat man einige Assoziationen, wenn man an ein ,Inferno‘ denkt. Das wütende, lodernde Feuer, das sich hemmungslos seinen Weg sucht, wird von mystischen, nicht klar vernehmbaren Stimmen, den verlorenen Seelen, kontrolliert. Zum Ende hin gerät es außer Kontrolle und erlischt in einem hellen Wahn von Licht.“ (Kevin Konstantin Mantu, Klavier, aus Hannover über „Poème: ,Inferno‘, op. 8“)
„Ich wollte ein Stück komponieren, das fast wie eine Improvisation klingt, in dem Melodien und rhythmische Elemente ineinander fließen. In dieser Flötenwelt ist alles erlaubt, vom naiven, geheimnisvollen, überraschenden Vortrag, mal japanisch angehaucht, mal improvisierend, mal jazzig, mal romantisch, mal perkussiv wie ein Schlagwerk, bis hin zum Beatboxen.“ (Katharina Martini aus Dreieich über „Krasch-Boom Kräsch“)
„Die Rhythmen des Werkes sind Impulse und Klanggestalten einer Skulptur, die sich durch die Räume bewegt, in denen sich die vor langer Zeit fixen Perpetua mobilia ihrer Impulse um sich selbst drehen und in der vorbeiziehenden Skulptur nachhallen.“ (Franz Ferdinand August Rieks, Klavier, aus Mainz über „Rhythmen entlang des Endes der Räume“, op. 48)
„Das Grundkonzept ist entstanden, als ich über den Mythos der Unterwasserstadt Atlantis nachgedacht habe. Mit der Musik versuche ich, mithilfe von verschiedenen Klängen und einem Tonband, einen Tauchgang auf den Meeresgrund zu den Ruinen von Atlantis darzustellen.“ (Sophia Schambeck, Blockflöte, aus München über „AtPHOlantis“)
„,Instantes da vida‘“ umfasst vier Stücke, die Aspekte des Lebens musikalisch verwirklichen. Der Wechsel zwischen Dur und Moll steht für das Auf und Ab im Leben.“ (Alexander Martirosian, Klavier, aus Schwieberdingen über „Instantes da vida“)
„Unser Stück besteht aus sechs verschiedenen Motiven. Jeder von uns hat ein Motiv geschrieben. Mit diesen Motiven „spielen“ wir, indem wir sie kombinieren, auseinandernehmen, variieren und übereinander aufbauen. Das Stück hat viele improvisatorische Stellen, aber wir haben trotzdem eine klare Struktur festgelegt, so dass jedes ,Spiel‘ erkennbar ist.“ (Nadia Bouamra Martinez, Mezzosopran, Alessandra Riudalbas Wickers, Blockflöte, Pol Coronado Daza, Violine, Maria Jose Villamayor, Violoncello, Sergi Boqué, Klavier und Ana Mateos Calbet, Klavier, von der Deutschen Schule in Barcelona)
Mut zum Experiment
Variantenreich wie die Musik dieser Kategorie waren auch die Eindrücke der Jurymitglieder Ksenija Lukic, Dörte Nienstedt, Piotr Oczkowski, Thomas Oertel, Tim Stolzenburg und Jörg Thomé.
„Kompliment an alle, die sich der Herausforderung Interpretation eines eigenen Werkes gestellt haben“, so Dörte Nienstedt in ihrer persönlichen Bilanz. „Wir hörten eine erfrischende Vielfalt mit Mut zum Experiment, ein auch humorvolles in-Szene-setzen der spieltechnischen Möglichkeiten des eigenen Instruments, Einbeziehung von Live-Elektronik und Zuspiel, auch Eigenkompositionen mit Bezügen zum Populärbereich.“
Dass neue Werke nicht im luftleeren Raum entstehen, sondern von anderen Kompositionen inspiriert werden und Bezüge zum „typischen“ Klang ihrer Zeit haben, gilt schon für die großen Werke der Musikliteratur. So war auch die WESPE-Jury neugierig, wo Anklänge zu entdecken waren. Als erfahrene Profis, im Kopf das Repertoire ungezählter selbst gespielter oder besuchter Konzerte, entdeckten sie zuweilen Anleihen bewunderter Vorbilder. „Sie sind definitiv zu erkennen“, meinte Piotr Oczkowski. „In drei Fällen war es sogar sehr offensichtlich, dass man sich an Werke und Ideen von Stücken der Klassischen Moderne angelehnt hat. In anderen Fällen waren Verbindungen zu bekannten Komponisten und deren Stilrichtungen gut hörbar. Ich persönlich finde das aber durchaus nicht negativ.“
Thomas Oertel bekräftigte: „Es ist bei diesen jungen Komponisten ein Suchen nach einem eigenen Stil. Hin und wieder löst das beim Zuhörer mal ein Schmunzeln oder Erstaunen aus.“
Der Beweggrund für das Komponieren, es einem verehrten Komponisten gleichzutun oder ihn nachzuahmen, galt in diesem Gremium als akzeptiert.
Ein wichtiger Impuls, sich in dieser Kategorie zu beteiligen, war, so die Überzeugung von Ksenija Lukic, die Lust am Experimentieren mit dem eigenen Instrument im Rahmen der technischen Kenntnisse und Möglichkeiten. „Gefühle musikalisch umzusetzen war stark ausgeprägt, Mut, Ausdruckswille und Spielfreude haben mich beeindruckt.“
Dem schloss sich Piotr Oczkowski an: „Ich bewundere den Mut, sich auch mit Mitteln auszudrücken, die nicht dem ,klassischen‘ Musikbetrieb entsprechen, da legt sich beispielsweise jemand auf den Boden, singt, spricht und tanzt während des Vortrags.“
„Ich finde schon den Umstand überaus bemerkenswert, dass Jugendliche den Antrieb und die Konzentration finden, ein bis zu zehnminütiges Werk niederzuschreiben“, ergänzte Tim Stolzenburg. „Beeindruckt war ich durchweg von der Ernsthaftigkeit, mit der die Jugendlichen ihre Werke gearbeitet und aufgeführt haben.“
Die Ernsthaftigkeit des Vortrags, die virtuose Beherrschung des Instruments, der unbedingte Wille sich musikalisch angemessen auszudrücken waren es, die den Jurymitgliedern Respekt abrangen.
Werk versus Interpretation
Knifflig für die Jury war es sicherlich, zu einer Beurteilung der Interpretation zu kommen, die nicht auch die Qualität des Werks vor Augen hatte. Wie ging die Jury damit um?
Tim Stolzenburg machte gar kein Hehl aus seiner Haltung: „Wenn ein Werk überrascht, komplex strukturiert ist und zudem der Komponist eine sehr hohe instrumentale Könnerschaft bei der Aufführung seines eigenen Werkes unter Beweis stellt, sind diese Aspekte für mich untrennbar miteinander verbunden.“
Und auch Dörte Nienstedt gestand: „Das war manchmal ein nicht ganz einfaches Unterfangen. In vielen Beiträgen schien die Musik maßgeschneidert auf den eigenen Leib, spieltechnische und darstellerische Stärken wurden genutzt und in die Komposition und Interpretation einbezogen. Manchmal war dies packend und gelungen, zuweilen hätte ich mir dabei etwas mehr Mut zum Risiko und zum virtuosen Spiel gewünscht.“
„Es war nicht einfach“, so formulierte es auch Piotr Oczkowski. „Die Ästhetik eines Werkes fließt auch in die Qualität der Interpretation. Das gleiche gilt für Struktur und kompositorische Mittel. Allerdings wurden diese Parameter in der Beurteilung innerhalb einer mehrköpfigen Jury ausgiebig diskutiert, wodurch wir, denke ich, immer zu einer guten Trennung zwischen Werk und Interpretation gelangen konnten. Der Juryvorsitzende Thomas Oertel bilanzierte: „Werk und Darbietung sind eng miteinander verwoben. Zu bewerten ist aber nach der Ausschreibung ja nur die Interpretation. Diese beiden Elemente auseinanderzuhalten, ist deshalb nicht leicht. Die Jury hört das Werk zum ersten Mal und hat, was die Interpretation betrifft, keinerlei Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Interpreten.“
Und es kommt noch ein Parameter hinzu, nämlich die Persönlichkeit, die man nicht von Werk und Interpretation trennen kann. So sind es im Endeffekt diese drei Dinge, die auf die Jury innerhalb weniger Vortragsminuten einwirken. Rückblickend würde ich behaupten, die besten Preisträger waren die, bei denen diese drei Elemente zu einer Einheit verschmolzen.“