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„Am schönsten waren die Gespräche mit den Musikstudenten“ – Katrin Illian und Nils Florian Saatkamp (rechts) in  Tunis. Foto: Katrin Illian
„Am schönsten waren die Gespräche mit den Musikstudenten“ – Katrin Illian und Nils Florian Saatkamp (rechts) in Tunis. Foto: Katrin Illian
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Die Wahrnehmung bleibt geschärft

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Die Bundespreisträgerinnen und -preisträger auf Auslandsreisen
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Wir sind bereits mitten drin – in der gesamten Bundesrepublik haben die Regionalwettbewerbe begonnen, seit Mitte Januar treffen sich Wochenende für Wochenende tausende von jungen Leuten zu diesem musikalischen Großereignis. Bis zum Bundeswettbewerb Ende Mai in Essen werden mehr als 20.000 Jugendliche an den 140 Regional- und 19 Landeswettbewerben teilgenommen haben.

Während die Welt Barack Obama zujubelt und von Finanzkrisen erschüttert wird, steht für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei „Jugend musiziert“ mit Beginn ihres Wertungsspiels vor den Jurygremien die Welt für ein paar Minuten still, und nur jene Musik ist zu hören, die in höchster Konzentration, nach wochenlangen Vorbereitungen präsentiert wird.

Hier soll nicht der Flucht vor den „wirklich wichtigen“ Themen das Wort geredet werden, bei „Jugend musiziert“ wird, ganz im Gegenteil, der Fokus auf das Wesentliche gerichtet. Denn die Welt ist die Summe ungezählter Facetten, und nur wer sie sieht, kann sich ein differenziertes Bild machen. So ist „Jugend musiziert“ eine Schule der Wahrnehmung: Von Zwischentönen, Nuancen, auch denen des musizierenden Partners.

Was zunächst nur für die musikalische Arbeit gelten mag, erstreckt sich nach und nach auch auf außermusikalische Bereiche des Lebens: Die Wahrnehmung bleibt geschärft und macht es möglich, neugierig und furchtlos unbekannten Ereignissen, Umgebungen und Menschen zu begegnen. Das zeigen die Reiseberichte von Preisträgern, die die Bundesgeschäftsstelle „Jugend musiziert“ regelmäßig erhält.

Nach dem Abschluss der Wettbewerbsphase winken den Bundespreisträgerinnen und -preisträgern zahlreiche Einladungen ins Ausland. In den allermeisten Fällen sind das Goethe-Institut, die Deutschen Schulen im Ausland oder die Europäische Union der Musikwettbewerbe für die Jugend (EMCY) die Initiatoren. „Jugend musiziert“-Preisträger wirken an Festivals im Ausland mit oder gestalten dort gar komplette Konzertabende. Manchmal sind sie erst fünfzehn, oft siebzehn oder neunzehn Jahre alt und reisen allein nach Helsinki, Ankara, Tunis, Tokyo oder Mexiko. Für die Bundesgeschäftsstelle steht zunächst der Zuwachs an Bühnenerfahrung im Vordergrund, das jedoch könnte man mit Konzerten innerhalb Deutschlands ebenso gut erreichen.

Brücken bauen

Bei den Konzertreisen ins Ausland geht es jedoch um mehr: Die Jugendlichen sind Botschafter, es geht um Offenheit für fremde Bräuche, die Begegnung mit anderen Menschen und die Auseinandersetzung mit deren Lebensumständen und Kultur. Hilfreich für den ersten Brückenschlag sind dabei die Musik und das eingesetzte Instrument, denn die Werke und Komponisten, die die Jugendlichen im Rahmen ihrer Konzerte spielen, sind auch in den Gastländern geläufig.

Der 16-jährige Akkordeonist Matthias Matzke aus dem schwäbischen Gingen reiste im Juni 2008 auf Einladung des Goethe-Instituts zum 2. Ankaraner Burgfestival: „Zu meiner Überraschung ist das Akkordeon in der Türkei gar nicht so unbekannt, wie ich gedacht hatte. Vor allem im Norden und Westen soll es recht viele Akkordeonspieler geben, wo die russische Musik und die des Balkans viel Einfluss auf den Musikstil haben, erzählte mir jemand nach meinem Vorspiel. Tatsächlich waren sogar einige Akkordeonisten bei meinem Konzert vertreten, mit denen ich dann hinterher auch noch reden konnte und glücklicherweise ausschließlich positives Feedback erhielt.“ Die Begegnung mit Konzertbesuchern gipfelte bei Matthias schließlich in einem Verkaufsgespräch: „Ich wurde von einem Zuhörer zusammen mit Frau und Sohn zum Tee eingeladen, was ich natürlich dankend entgegennahm. Dieser Mann erwies sich ebenfalls als Akkordeonspieler und bat mich, ihm doch ein gutes Akkordeon zu vermitteln, es muss nämlich ziemlich schwer sein, in der Türkei gute Akkordeons zu finden. Am liebsten hätte er mir gleich meines abgekauft, aber das ist selbstverständlich unverkäuflich!“

Den Brückenschlag zwischen dem Eigenen und dem Fremden erlebten auch die beiden Sopranistinnen Silvia Ebert (22) und Mareike Weiffenbach (20) aus Stuttgart auf ihrer Türkeireise, Mitte des vergangenen Jahres als positiv: „Wir wurden vom Direktor der Musikhochschule in Ankara und der Leiterin des Instituts für Gesang empfangen. Sie hatten ein Treffen mit sämtlichen Gesangsstudenten vor Ort arrangiert. Dieses Treffen war sowohl für uns als auch für die türkischen Studenten sehr informativ, denn wir konnten uns gegenseitig über das Musikstudium und den Stellenwert der Musik im jeweiligen Land ausfragen. Das wohl schönste Erlebnis auf dieser Reise war jedoch für uns der Moment, als die Gesangsstudenten, die wir morgens kennen gelernt hatten, nach dem Konzert auf die Bühne kamen und jeder einzelne uns für den schönen Abend gedankt hat. Eine solche Offenheit und Herzlichkeit hätten wir nie erwartet.“

Voneinander lernen

Wie gut der Austausch neuer Informationen und Eindrücke in beiderlei Richtungen funktioniert, vermittelt ein Ausschnitt aus dem Reisebericht des Saxophonisten Nils Florian Saatkamp aus Neuss und der Pianistin Kathrin Illian aus Erftstadt, die als Duo zum Tunis-Festival – Woche der internationalen Begegnung eingeladen worden waren:

„Am Abend sind wir nach Sidi Bou Said gefahren um uns ein Konzert anzuhören. Die Mischung von arabischer Musik in der ersten, und europäischer Musik in der zweiten Hälfte, hat uns sehr gefallen. Wir haben auch andere Musiker kennen gelernt, die ebenfalls zum Zuhören gekommen waren. Auch haben wir hier zum ersten Mal unsere Kontaktperson vom Goethe-Institut, Frau Abdelhamid, getroffen, die uns unser Mitwirken in einem weiteren Konzert und mit Begegnung mit anderen Musikstudenten am nächsten Morgen in der Musikhochschule mitteilte. Die Begegnung mit den Studenten der Musikhochschule war sehr interessant, da nach dem Vorspiel Fragen zu den europäischen Instrumenten vom Publikum gestellt wurden. Diese Instrumente wie Posaune und Akkordeon sind den Tunesiern nicht sehr vertraut gewesen, wie wir auch ihre Instrumente, Laute oder Zither nicht häufig hören.“

Silvia Ebert und Mareike Weiffenbach, die beiden Sopranistinnen auf Konzertreise in der Türkei berichten: „Am späten Vormittag hatten wir unser erstes Konzert im Staatskonservatorium Ankara mit einem bunten Programm aus Duetten und Soli, das von Händels ,Hercules‘ (,My Father! Methinks I see‘, Mareike) und Mozarts ,Le Nozze di Figaro‘ (,Che soave zefiretto‘) über Purcells ,Lost is my quiet‘, die Arie der Olympia aus ,Les contes d’Hoffmann‘ (Silvia), und ,El Desdichado‘ von Camille Saint-Saëns, bis hin zur Oper ,Vanessa‘ von Samuel Barber und dem ,Eifersuchtsduett‘ aus der Dreigroschenoper reichte.

Danach freuten wir uns ganz besonders darüber, dass wir die Möglichkeit hatten, in den Korepetitionsstunden einiger Gesangsstunden zu hospitieren. So konnten wir von der Musikausbildung in der Türkei einen Eindruck gewinnen und waren sehr angetan von dem, was wir zu hören bekamen.“

Als Interpreten im Rahmen des Europäischen Konzertes an der Deutschen Schule in Helsinki bilanzieren Anne Becker, Saxophon, und Martin Helfen, Klavier: „Als sehr angenehm empfanden wir während des Konzertes den engen Dialog mit dem Publikum. Das klassische Saxophon besitzt in Finnland noch keinen allzu großen Bekanntheitsgrad. So war es schön zu erleben, wie schnell dieses Instrument vom Publikum angenommen wurde. Auch in Gesprächen nach dem Konzert wurde uns dies immer wieder deutlich. Ähnliche Erfahrungen hatten wir am Mittag im Schwedischen Kulturzentrum machen können, in dem wir ein Konzert gaben.“

Wen die Bundesgeschäftsstelle „Jugend musiziert“ auf Auslandsreise schickt, der hat zumindest einmal den kompletten Ablauf des dreistufigen Wettbewerbs erlebt, im Falle der beiden Sopranistinnen war dies bereits mehrere Male der Fall. So konnten sie Vergleiche ziehen und Modifikationen erkennen: „Auffallend war ein hohes Maß an Kreativität und Initiative auf Seiten des Lehrerkollegiums. Man hatte Zusatzkategorien besonders im Bereich der Popularmusik geschaffen, um noch mehr Schüler für die Musik zu begeistern. Besonders bestaunten wir die aufwendige Dekoration mit unzähligen Violinschlüsseln, Ballons und Bannern – natürlich mit ,Jugend musiziert‘-Logo versehen. Der Effekt: eine ,Großveranstaltung‘, bei der die gesamte Schule mitfieberte.“

Kontakt halten

Musikalisch und menschlich gereift kehren die Jugendlichen von solchen Reisen zurück und die Bundesgeschäftsstelle „Jugend musiziert“ dankt allen Partnern für die Bereitstellung solch phantastischer Möglichkeiten!

„Von der Freundlichkeit der Türken, der ich eigentlich wirklich überall, von der Imbissbude angefangen, begegnete, war ich total begeistert. So dachte ich dann auch, als ich wieder heil in München angekommen war und meine Familie mich voll Freude abholte: Das war bestimmt nicht mein letzter Aufenthalt in der Türkei!“ (Matthias Matzke)

„Es hat sehr viel Spaß gemacht, sich über die verschiedenen Perspektiven vom Beruf in Abhängigkeit vom Instrument oder vom Land zu unterhalten. Leider mussten wir bald zurückfliegen. Aber mit Hilfe der heutigen Technik, wird es sicher kein Problem sein, Kontakt zu halten.“ (Nils Florian Saatkamp)

„So kehrten wir müde, aber glücklich und voll mit neuen, durchweg positiven Eindrücken von der Türkei, den Menschen dort und der universellen Sprache der Musik wieder nach Stuttgart und Weimar zurück.“ (Silvia Ebert/ Mareike Weiffenbach)

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