Die letzten Töne schweben quasi noch in der Luft, aber eines steht sofort fest: Es war ein prachtvolles, fröhliches und beeindruckendes Fest in Stuttgart! Dort fand nämlich der 49. Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ statt. Ein Fest mit 500 Stunden Musik, ein Fest der Begegnung, der gegenseitigen Bewunderung und Würdigung. Können so viele junge Leute acht Tage lang unter Wettbewerbsbedingungen musizieren und dennoch am Ende fröhlich auseinander gehen? Sie können und sie gehen noch dazu bereichert nach Hause.
Die Rahmenbedingungen von „Jugend musiziert“ mit ihren pädagogischen, kulturellen und organisatorischen Aspekten ermöglichen jedem einzelnen Teilnehmer Erkenntnisgewinn ebenso wie Stolz, hier mitgemacht zu haben und zur großen „Jugend musiziert“-Familie zu gehören.
Eine Bilanz, die übrigens nicht nur für das „Jugend musiziert“-Finale auf Bundesebene gezogen werden kann. „Jugend musiziert“ ist längst mit Hilfe engagierter „Botschafter“ – Musikpädagoginnen und -pädagogen – eine feste Größe in Europa:
34 Schulen in 19 europäischen Staaten beteiligen sich derzeit mit eigenen Regionalwettbewerben an „Jugend musiziert“. Die beteiligten Staaten sind in drei Sektionen zusammengefasst: „Spanien/Portugal“, „Östliches Mittelmeer“ und „Nord-/Osteuropa“. Jedes Jahr richtet pro Sektion je eine Deutsche Schule die Landeswettbewerbe für die Deutschen Schulen aus. Gastgeberin für die Landeswettbewerbe 2012 der Region Nord-/Osteuropa war die Deutsche Schule London, die Deutsche Schule in Rom richtete den Landeswettbewerb der „Region „Östlicher Mittelmeerraum“ aus und die Deutsche Schule Bilbao war Gastgeber für die Regionalpreisträger der Region Spanien/Portugal. „Festival der Begegnung“ gilt dort umso mehr. Von den Landeswettbewerben in Rom und Bilbao berichten Prof. Ulrich Rademacher und Prof. Dieter Kreidler, beide als Mitglieder des Projektbeirates „Jugend musiziert“ entsandte Wettbewerbsbeobachter.
„Reichtum durch kulturelle Vielfalt eindrucksvoll spürbar“
Wie schon der letzte der Region „Östliches Mittelmeer“ in Athen verlangte angesichts der Finanzkrise auch der diesjährige Wettbewerb den Organisatoren ein besonderes Maß an vorausschauender Planung, Überzeugungskraft beim Fundraising und Improvisationskunst ab. Dies ist dem Rom-Team um Lorenzo Rüdiger und Martin Weber brillant gelungen. Schon in den vergangenen Jahren waren Ressourcen angespart und belastbare Vereinbarungen getroffen worden, die jetzt ein tragfähiges Fundament boten.
Die Rahmenbedingungen stimmten: Beteiligung des Schulträgers und der Deutschen Botschaft, die Einbindung des Wettbewerbes in die Abläufe der Schule, Unterbringung von Teilnehmenden und Juroren, ein perfektes, gastfreundliches und Rom-spezifisches Rahmenprogramm, die Ausstattung der Räume für Wertungen, Juryberatungen und Einspielen sowie ein Zeitplan, der von großer Erfahrung zeugte. Für Abstimmungsprobleme sorgten einige Programme, die in wesentlichen Punkten nicht der Ausschreibung entsprachen. Hier war nun ein einfühlsames Abwägen zwischen konsequenter Anwendung des Reglements einerseits und Respekt vor der langen Vorbereitungszeit, der aufwändigen Reise nach Rom und dem Bemühen um die Würdigung teilweise exotischer Ausbildungsstrukturen andererseits gefragt. So wurden diese Beiträge zwar gewertet, aber nicht in der angemeldeten Kategorie. Ein Ensemble mit einer hervorragenden Leistung, das mit 23 Punkten ausgezeichnet wurde, konnte deswegen nicht zum Bundeswettbewerb weitergeleitet werden.
Als Grundlage für eine Bewertung wurde für die insgesamt fünf nicht ausschreibungskonformen Ensembles eine auf den Landeswettbewerb „Östliches Mittelmeer“ begrenzte Sonderwertung „offene Wertung Klavierkammermusik“ geschaffen, für die dann auch die entsprechenden Urkunden ausgestellt wurden.
Das Niveau entsprach den Standards von Landeswettbewerben, von 62 Wertungen wurden 12 zum Bundeswettbewerb weitergeleitet. Die Juryarbeit war durch Teilnehmerorientierung, Kompetenz und Toleranz geprägt. Die „Trippel“-Rolle der mitgereisten Schulmusiker als Betreuer, Lehrer und Juroren gelang den Kollegen wieder einmal erstaunlich gut.
Von allen drei Landeswettbewerben der deutschen Auslandsschulen in Europa ist der Wettbewerb der Deutschen Schulen im östlichen Mittelmeer derjenige, in dem der Reichtum durch kulturelle Vielfalt am eindrucksvollsten spürbar wird. Die Spuren traditioneller anatolischer oder arabischer Musik, die Sprachen Griechisch, Türkisch und Arabisch bei den Gesangsdarbietungen verleihen den Wertungen eine besondere Farbe. Wenn eine Muslimin mit Kopftuch inbrünstig im „Stabat Mater“ die Leiden der Mater dolorosa unter dem Kreuz nachempfindet oder auch den Lovesong eines amerikanischen Musicals präsentiert, wenn Jurymitglieder versuchen, sorgfältig Intonationsmängel von gekonnten und gefühlten Vierteltonschwankungen zu unterscheiden, findet ein lebendiger Austausch zwischen Kulturen statt. Dann rückt das Mittelmeer aus der europäischen Randlage für kurze Zeit wieder als „Mare Nostrum“ ins Zentrum unserer Kultur. Da wundert es nicht, wenn im Sinne der neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik (European Neighborhood Policy) der Landesausschuss in seiner Abschluss-
sitzung einen Antrag an den Projektbeirat formulierte, eine palästinensische und eine israelische Schule ebenfalls zuzulassen, um so eine Region zu beteiligen, die für die Entstehung unserer Kultur eminente Bedeutung hatte und in der der Schlüssel für die Zukunft von Frieden und Sicherheit nicht nur Europas liegen.
Der nächste Wettbewerb wird in Istanbul stattfinden. Angesichts der bei den deutschen Schulen üblichen Fluktuation der Lehrkräfte war es ermutigend, dass die erfahrenen Kolleginnen und Kollegen dem Istanbul-Team tatkräftige Unterstützung zugesagt haben.
Ulrich Rademacher
„Kostbare musikpolitische Ressource“
Die jährlichen Landeswettbewerbe „Jugend musiziert“ finden bekanntlich nicht nur in Deutschland statt, sondern werden durch engagierte Lehrkräfte an den Deutschen Schulen im Ausland auch in ganz Europa durchgeführt.
Für die Schulen „Spanien/Portugal“ wurde diesmal der Wettbewerb in Bilbao ausgerichtet. Ich hatte die Ehre, als Mitglied des Projektbeirates „Jugend musiziert“ den Juryvorsitz inne zu haben und fuhr mit großer Neugierde ins Baskenland.
Austragungsort und logistisches Zentrum des Landeswettbewerbes war die Deutsche Schule in Bilbao, die den rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den 11 Deutschen Schulen dieser Region die idealen Rahmenbedingungen bot.
Die umsichtige und professionelle Leitung durch den Schulleiter Wolfgang Gerhard und die Vorsitzende des Regionalausschusses Bilbao Petra Wieder übertrug sich auf die Gesamtatmosphäre des Wettbewerbs, wohltuend auf alle Juroren sowie Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Immer ansprechbar war Elsa Capella, Musiklehrerin an der Deutschen Schule Barcelona, die durch ihre langjährige Erfahrung den Wettbewerb vollständig – auch in der Regelauslegung der Ausschreibung – verinnerlicht hat.
Organisatorisch wurde dieser Wettbewerb – unter den besonderen Bedingungen – beispielhaft durchgeführt. Was meine ich mit „besonderen Bedingungen“? Nun, der Wettbewerb unterscheidet sich in vielen Bereichen von einem Landeswettbewerb in Deutschland:
Die Juroren sind als Schulmusiker durchweg „Allrounder“ und multifunktional eingesetzt. Zum einen sind sie Juroren, die zu „objektiver“ Bewertung im Rahmen des Regelwerkes von „Jugend musiziert“ angehalten sind, zum anderen sind sie natürlich auch die mit Herzblut engagierten Vertreter ihrer Schule mit den ihnen anvertrauten Teilnehmern.
Hier wird im Vergleich zur Jurorentätigkeit in einem deutschen Landeswettbewerb eine andere, über das Fachliche hinausgehende, soziale Kompetenz gefordert.
Die Juroren befinden sich in einer komplexen Gemengelage: einerseits verfolgen sie für ihre Schüler pädagogische Ziele, die sie nicht aus den Augen verlieren wollen. Folglich spielen persönliche Eindrücke bei den Wertungen eine Rolle. Andererseits sind die deutschen Leistungsstandards die Richtschnur für alle vor Ort erbrachten Leistungen, sodass sie ihre Erwartungen anpassen und alle Schüler neutral bewerten müssen.
Mal sind sie Juroren, mal sind sie Akteure auf der Bühne, beispielsweise, wenn sie ihre Schützlinge am Klavier begleiten, mal übernehmen sie die Betreuung ihrer Schüler. Diese Doppel- oder Dreifachrolle als Juror ist schon ziemlich beindruckend.
„Jugend musiziert“ in Bilbao wird durch ein gelungenes Sponsorenkonzept ergänzt und präsentiert sich in der Öffentlichkeit sehr wirkungsvoll. Dies ist ausschließlich dem Engagement der Schulleitung, seinem Team und dem Vorstand des Fördervereins, der „Junta“ zu verdanken.
Beeindruckend reibungslos verliefen auch die Wettbewerbstage:
Der Zeitplan des Wettbewerbs (Wertungen und Beratungen der Jury) wurde durchweg präzise eingehalten. Das führte letztlich zu stressfreien Tagesabläufen. Die Aula, in der nacheinander die Wertungen stattfanden, war an allen Tagen sehr gut gefüllt mit Zuhörern, insbesondere von „hörverpflichteten“ und sehr disziplinierten Schülern und Teilnehmern.
Die Leistungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren insgesamt sehr überzeugend. Die Weiterleitungsquote zum Bundeswettbewerb beziffere ich mit circa 10 Prozent der Gesamtteilnehmerzahl. Diese Landespreisträger sollten sich auch im Vergleich mit deutschen Teilnehmern bewähren können. Dank einer seriösen Diskussionskultur konnte eine Inflation von Preisträgern mit Weiterleitung vermieden werden, andererseits sorgte die Vergabe von zahlreichen Preisen (Sonderwertungen) für eine stark nach innen wirkende Motivation.
Das Preisträgerkonzert war eine wunderbare „Jugend musiziert“-Werbung, mit viel Applaus und guter Stimmung im Saal. Die 120 hochmotivierten jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, alle einzeln oder in Gruppen aufgerufen, wurden bei der Urkundenverleihung vom Publikum begeistert gefeiert. Im Rahmenprogramm wurde den jungen Musikern ein moderner Chorworkshop unter der professionellen Leitung von Bertrand Gröger angeboten. Das Ergebnis dieser Arbeit wurde anschließend in Form eines Teilnehmer-Chores beim Preisträgerkonzert präsentiert und sorgte für ausgelassene Stimmung.
Ebenfalls zum Rahmenprogramm gehörte abschließend eine Exkursion für Teilnehmer, Juroren und Lehrer. Außer einer Stadtführung durch Bilbao standen der Besuch des Guggenheim-Museums sowie eine Bootsfahrt auf dem Nervión auf dem Programm. Ein wunderschöner Tag mit vielen Eindrücken, losgelöst von der wettbewerblichen Anspannung der letzten Tage. Mein Resümee:
Mich hat die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen vor Ort sehr beeindruckt und ich kann nur dafür plädieren, Wege zu finden, diese herausragende Arbeit in Zukunft noch mehr zu unterstützen.
Für „Jugend musiziert“ als Projekt an den „Deutschen Schulen im Ausland“ ist eine kostbare pädagogische und musikpolitische Ressource.
Dieter Kreidler
Postscriptum: 72 Jugendliche aus 13 Nationen hatten sich für den 49. Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ qualifiziert.