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Neugierige Saitenblicke auf Sizilien

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Das Gitarrenquartett „Bewoelktes Trio“ auf Konzertreise
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Vom 26. bis 30. Mai 2005 reiste das Gitarrenquartett „Bewoelktes Trio“ nach Sizilien, um dort im Rahmen des „Festival Internazionale del Teatro Classico dei Giovani“ zwei Konzerte zu geben. Vermittelt wurde die Reise von der Bundesgeschäftsstelle „Jugend musiziert“ in Kooperation mit dem EMCY-Exchange Office in Barcelona. Vier Gitarren, Eigentum von Johannes Mentzel, Johannes Fuss, Christian Zielinski und Benjamin Skolny, berichten.

Vier Gitarren liegen in ihren Koffern auf dem Boden des Stuttgarter Flughafens und warten ungeduldig. Sie wollen raus, bewegt, gezupft, von mit 12.000er Schleifpapier polierten Fingernägeln sanft gestreichelt werden. Sie wissen, dass es irgendwo im südlichsten Süden Südeuropas sein wird. Vor dem Fliegen haben sie keine Angst mehr. Dieses Mal werden sie sogar einen komfortablen Platz in der Kabine bekommen.

Bald werden die Gitarren ausgepackt. Jetzt sehen sie, wo sie sich befinden. Im Hintergrund der gewaltige Vulkan Ätna, Zitronenbäume und Palmen und sie hören schon das Meeresrauschen, ganz nah. Der Ort heißt „Giarre“, das können sich die Gitarren gut merken, denn das schreibt man fast wie „Gitarre“. Die Gitarren fühlen sich sehr gut. Sie lieben dieses „Bewoelkte Trio“, das eigentlich ein Quartett ist, mit dem sie schon so viel erlebt haben.

Den ganzen Nachmittag bleiben die Gitarren im Ungewissen. Die Jungs hatten ihnen doch zwei tolle Konzerte versprochen und die Jungs belügen ihre Gitarren eigentlich nie. Nach anderthalbstündiger Fahrt werden die Gitarren ausgeladen und in ein Zimmer gebracht. In solch einem schönen, großen und luxuriösen Appartement waren selbst diese weitgereisten Gitarren noch nie zuvor. Die Jungs freuen sich schon sehr und begutachten draußen den großen Pool und die sanften Hügel der traumhaften Landschaft ringsherum. Für einen Moment zweifeln sogar die Gitarren, ob sie träumen oder nicht, dabei träumen sie normalerweise nur, wenn man auf ihnen spielt.

Kurze Zeit später kommt ein älterer Mann herein und begrüßt alle herzlich in seiner „borgo degli ulivi“, er redet französisch, weil er nicht so gut Englisch kann und weil die Jungs Französisch auch verstehen. Die Gitarren verstehen nicht alles, aber doch das meiste, denn sie haben bei ihrer Mittelamerika-Reise Spanisch gelernt und das ist ja ähnlich dem Französischen. Als die Gitarren vernehmen, dass die Jungs nachher mit dem Mitorganisator des „Festival Internazionale del Teatro Classico dei Giovani“, der sich als Signore Giuseppe Garro vorstellt, zum Abendessen gehen werden, geben sie jegliche Hoffnung auf, heute noch gespielt zu werden. Die Jungs kommen spät abends wieder und schwärmen noch lange von dem guten Essen. Da läuft selbst den Gitarren das Wasser im Schallloch zusammen.
Am nächsten Morgen wachen die Gitarren erst sehr spät auf. Doch sie trauen ihren Saiten kaum, Schnarchgeräusche. Schlafen die Jungs denn immer noch?! Die Gitarren werden ungeduldig, wenn sie selbst zu ihrer Musik einen Text singen könnten, würden sie singen: „Don’t let us be so lonesome“. Als ob ihr Wunsch erhört würde, beginnen die Jungs bald zu proben, um den Konzertstücken den letzten Schliff zu geben. Danach holt Herr Garro sie ab, um mit ihnen zum Essen zu fahren. Die Gitarren überlegen lange, wie sich das wohl anfühlt, wenn etwas auf der Zunge sehr gut schmeckt. Sie einigen sich schließlich, es müsse sich anfühlen wie Vivaldi auf den Saiten.

Konzerttag. Der Tag, auf den sich die vier Gitarren schon lange gefreut haben. Nicht nur, weil sie fast anderthalb Stunden am Stück vor Publikum gespielt werden, sondern auch, weil es ihr erstes Konzert in Sizilien ist – und dann noch Open Air!! Die Jungs relaxen, während die Gitarren schon ganz aufgeregt sind und hoffen, dass keiner die Noten vergisst, oder den Notenständer oder die Fußbank, und außerdem, wie wird es wohl werden mit dem Wind?

Der lustige Herr Garro fährt alle nach Siracusa, circa 30 Kilometer östlich. Die Gitarren fühlen sich plötzlich sehr schick – wenn sie erst einmal in den Händen der vier elegant in Schwarz gekleideten Jungs liegen werden, dann werden sie die Attraktion sein. Im mittelalterlichen Stadtteil von Siracusa, auf einer kleinen Halbinsel im Mittelmeer, werden die vier durch mehrere verwinkelte Gässchen im alten jüdischen Viertel getragen, bis sie plötzlich in einer uralten Synagoge stehen, der das Dach fehlt. Der Bau ist relativ groß und die Akkustik überraschend gut. Vier Stühle, Fußbänke und Notenständer werden vorne aufgestellt, dann werden die Gitarren in ihre allerbeste Stimmung versetzt und schon geht es los. Das Publikum ist mit rund zwanzig Leuten leider nicht gerade zahlreich, aber das stört die Jungs und die Gitarren nicht.
Mit „Pacific Coast Highway“ von Andrew York (1962) wechselt die Stimmung zwischen fröhlich und melancholisch. Es folgen die kraftvollen Melodien von „Ama Gochoa“, einem baskischen Volkslied, notiert von Francis Goudard, und leiten über zum minimalistischen Song „Rush Hour“ von Ralf Paulsen-Bahnsen, der das Tempo noch einmal steigert und das Publikum nicht mehr still sitzen lässt. Jetzt sind die Gitarren so richtig heiß und wollen nur noch eins: Vivaldi, und zwar das Konzert in G-Dur für zwei Sologitarren und Orchester in der Bearbeitung für Gitarrenquartett. Im ersten Satz hüpfen sie glücklich von einem Lauf in den anderen und wollen gar nicht mehr aufhören, so schön, so italienisch sind diese Melodien, doch im zweiten Satz gönnen sie sich dann eine kleine Abkühlung. Genug ausgeruht? Dann kommt jetzt der Höhepunkt: „Circle of Life“ von niemand geringerem als Johannes Fuss, einem der vier, die hinter den Gitarren sitzen. Es ist ein Stück, das die Gitarren lieben, weil es alles zum Ausdruck bringt, was man auf einer Gitarre machen kann. Und die Gitarren wollen gleich weiterrocken, und zwar „Oyun“, was Türkisch ist und auf Deutsch „Spiel“ heißt. Ein Stück in drei Sätzen von Carlo Domeniconi (1947). Es beginnt fröhlich, wird dann ruhig, um sich schließlich mit einem Knall in ein Feuerwerk der Töne zu verwandeln.

Nach der Pause dauert es noch einen Moment, den Anwohner ausfindig zu machen, der bei offenem Fenster direkt über den Köpfen der Jungs laute Musik hört. Als diese abgestellt ist und das Publikum gespannt in die Stille hinein wartet, werden die Gitarren richtig melancholisch, denn sie wissen, gleich ertönt so etwas wie ein Tango, „Comme un Tango“ von Patrick Roux (1962), eine wunderbare Hommage an den großen Astor Piazzola. Und dann, sehr viel ruhiger, der allseits bekannte Kanon in D-Dur von Pachelbel.

Nach so viel Melancholie wollen die Gitarren so richtig gekitzelt werden, mit etwas Kurzem, Erheiterndem und so spielen die Jungs drei kurze Renaissance-Stücke in ihrer ganz besonderen, einmaligen Interpretation: die ruhigere „Captain Digorie Piper his Galliard“ von John Dowland, dann, etwas flotter, „It was a lover and his lasse“ von Thomas Morley und schließlich vom selben Komponisten „Joine Hands“, was das Tempo wieder enorm steigert und zum Höhepunkt des Abends überleitet: „Elassomorph“ von Stephen Funk Pearson (1950), das Paradestück, das Beste unter den Besten.

Mit seinen Rock-, Pop- und Jazz-Elementen und seinen Effekten, seinen klaren wunderschönen Melodien und wilden, fast chaotischen Teilen bleibt es für die Gitarren einstimmig die Nummer 1 und so geben sie noch einmal alles und als der letzte Ton geheimnisvoll verklingt, kehrt für ein paar Sekunden große Stille ein, bevor das Publikum aufsteht und mit Standing Ovations euphorisch eine Zugabe fordert. Die bekommen sie auch: das „James Bond Theme“ begeistert die Zuschauer noch einmal.

Das zweite Konzert findet am Sonntagabend in einem kleinen Saal des Bürgermeisteramts von Palazzolo statt. Freudig bemerken die Gitarren, dass die Akkustik sehr gut ist, sie können also ihr volles Klangspektrum ausbreiten. Außerdem sind sicherlich 40 bis 50 Menschen im Publikum – und sogar ein Mann mit Kamera, der das ganze Konzert filmt. Sie sehen, wie der Bürgermeister eine kleine Ansprache auf Italienisch hält, den Jungs eine kleine Kultur-Trophäe der Stadt Palazzolo überreicht und dann geht’s auch schon los. Augenblicklich ziehen sie das Publikum in Bann und reißen es mit. Am Schluss will der Applaus gar nicht enden.

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