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Aseel Osama aus Alexandria erhielt 2003 als erste Teilnehmerin der Deutschen Schulen im Ausland einen 1. Bundespreis der Kategorie „Gesang“. Foto: E. Malter
Aseel Osama aus Alexandria erhielt 2003 als erste Teilnehmerin der Deutschen Schulen im Ausland einen 1. Bundespreis der Kategorie „Gesang“. Foto: E. Malter
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Notorisch im Dialog mit allen Musikschaffenden

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”Jugend musiziert“ hat eine beachtliche Integrationskraft – auf hohem musikalischen Niveau
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In wenigen Wochen beginnt der 43. Bundeswettbewerb ”Jugend musiziert“. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Aber auch wenn sich das Augenmerk im Moment auf organisatorische Details richtet, so steht der gesellschaftliche Auftrag des Förderprojektes zu keiner Zeit infrage und kann gar nicht groß genug gefasst werden. Denn von ”Jugend musiziert“ soll sich jeder und jede angesprochen fühlen, in jedem Lebensalter, welcher Nationalität und Herkunft auch immer. Dem Prinzip „kleine Ursache, große Wirkung“ wird vertraut und das heißt, dass es unter diesem Gesichtspunkt keine Rolle spielt, ob man aktiv musiziert oder dem Musizierenden lauscht. Ob man auf oder hinter der ”Jugend musiziert“-Bühne beschäftigt ist. Es handelt es sich bei diesem Förderprojekt also keineswegs um eine elitäre Veranstaltung gut situierter deutscher Staatsbürger.

Wer bei ”Jugend musiziert“ mitmacht, den Mut hat, allein auf einer Bühne zu stehen und vor einer Jury 20 Minuten zu musizieren, der hat zumindest schon Omas ersten Merksatz begriffen: „Von nichts kommt nichts.“ Denn das zeichnet die ”Jugend musiziert“-Teilnehmer vor allem aus: ein vergleichsweise strukturierter Tagesablauf. Selbst die Ferien werden nicht mit Rumhängen verbracht. Hier mögen Eltern tatsächlich Vorbild gewesen sein, erzwingen können sie solch ein Verhalten auf Dauer nicht, sie können nur überzeugen.

Insofern also zugegeben: ”Jugend musiziert“ kann nicht alle Kinder aus allen Bevölkerungsschichten zu Teilnehmern machen, weil der Wettbewerb selbst voraussetzungsreich ist, auf die Beherrschung bestimmter Fähigkeiten setzt, darauf aufbaut und sie weiter zu entwickeln hilft.

Auch sind die Bedingungen des Förderprojektes nicht dazu geschaffen, auf direktem Wege allen Kindern aus der Perspektivlosigkeit zu helfen. Über indirekte Wege aber eben doch. Und nicht zuletzt verändert auch ein engagierter Musikpädagoge den Horizont seiner Schüler – und umgekehrt.

Bei ”Jugend musiziert“ wurden die Parameter so formuliert, dass statt Ellenbogen- und Konkurrenzdenken zunächst einmal Raum für Vergleich, für Begegnung und Austausch ist. Ein Raum, der freundlich dazu auffordert, ihn zu betreten, von Kindern aller Gesellschaftsschichten, aller Nationen. Es mag für den einen oder anderen überraschend klingen, aber: bei ”Jugend musiziert“ sind auch Migrantenkinder längst angekommen. Beweise finden sich am Anfang des Wettbewerbsjahres ebenso wie an dessen Ende. Anfang der 90er-Jahre hatte der Beirat des Projektes ”Jugend musiziert“ beschlossen, die Berechtigung zur Teilnahme zu lockern. Bis zu diesem Zeitpunkt musste ein Jugendlicher ein Jahr in Deutschland gewohnt haben. Künftig konnte mitmachen, wer am Stichtag 1. Dezember einen ersten Wohnsitz in der Bundesrepublik hatte, gleichgültig ob eine Familie erst Tage zuvor aus dem Ausland zugezogen war.

Der Beweis heute ist der Blick auf die Ergebnislisten im Bundeswettbewerb. Dort teilen sich Kinder, deren Eltern aus Korea, der Ukraine, China oder Bottrop stammen, die ersten, zweiten und dritten Bundespreise.

Das Musizieren im Ensemble, dessen Attraktivität die Wettbewerbs-Strategen auszubauen sich vorgenommen hatten, hat sich mittlerweile zum Selbstläufer entwickelt und befördert die Integration noch weiter: Beim Bundeswettbewerb ”Jugend musiziert“ 2006 werden von den 2.060 Teilnehmern beinahe 50 Prozent in Ensemblewertungen antreten und alle eint eine einzige Verabredung: Ich bin bereit, die technisch-musikalischen Bedingungen des Wettbewerbs, so wie sie in der Ausschreibung formuliert sind, zu akzeptieren. Basis für alle sind Musikwerke verschiedener Epochen und Schwierigkeitsgrade, die ein bestimmtes technisches Können erfordern. Wer es beherrscht, der musiziert als Solist oder mit anderen im Ensemble, sei er nun aus Istanbul oder Garmisch-Partenkirchen.

Indem der Wettbewerb zu Beginn der 80er-Jahre bis an die Deutschen Schulen im europäischen Ausland ausgedehnt wurde (siehe dazu nmz 02/06), öffnete er sich noch einmal. Wie weit dieser formale Rahmen tatsächlich reicht, wie viel kreativen Spielraum er für das eigene Musikmachen lässt, kann man im Programmbuch von ”Jugend musiziert“ nachlesen oder im Preisträgerkonzert beim Bundeswettbewerb hören. Wie innig und selbstverständlich sang im Jahr 2003 eine 16-Jährige aus Alexandria im Rahmen ihres 20-minütigen Wettbewerbsprogramms Mozarts „Abendempfindung“, darauf ein arabisches Volkslied und schließlich Kurt Weills Ballade von Surabaya-Johnny! Diese Performance, die die Werke des sogenannten Abendlandes zusammen mit der Musik ihres Heimatlandes so meisterhaft präsentierte, lässt nicht nur die E- und U-Musiktheoretiker ins Grübeln geraten. Das Beispiel zeigt auch, wie leichtfüßig Grenzen überschritten werden können, weil die künstlerische Qualität das Maß der Dinge ist und nicht die Herkunft eines Musikstückes. Ähnliche Klang-Beispiele gibt es von den „Jugend musiziert“-Teilnehmern der Deutschen Schulen in Finnland, Rumänien oder Portugal.

Dies alles ist übrigens kein Grund, sich auf den gesammelten Lorbeeren auszuruhen. „Jugend musiziert“ ist notorisch im Dialog mit Musikschaffenden, -lehrenden – und auch auf der Hut. Mag sich der Wettbewerb nach allen Regeln der Kunst ausdehnen, die Ansprüche an die musikalischen und technischen Fertigkeiten der Teilnehmer sind gesetzt. Das gilt für neue Instrumente ebenso wie für die Kernkompetenz im Bereich der „Klassischen Musik. ”Jugend musiziert“ ist weder ein Allheilmittel noch eine Allzweckwaffe.

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