Bevor der Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ beginnt, sind große organisatorische Herausforderungen zu bewältigen. Die Planungen für den Wettbewerbszeitplan, die Raumdisposition, die Jurygremien und die Teilnehmerunterkünfte sind eng miteinander verzahnt. Die Sache läuft ein wenig so wie in der „Krinoline“ auf dem Münchner Oktoberfest. Das ist jenes Karussell, das aus der Zeit gefallen zu sein scheint, weil es vergleichsweise wenig technische Raffinesse hat, auf elektronischen Schnickschnack verzichtet und den Jahrmarktgeist des vorigen Jahrtausends atmet. Wenn sich jedoch die Krinoline zu den Klängen einer echten (!) Blasmusikkapelle in Bewegung setzt, staunen alle, die eben noch grinsend den Blick auf das altertümliche Fahrgeschäft gerichtet haben, nun, wie rasant das Karussell Fahrt aufnimmt!
Szenenwechsel: die Bundesgeschäftsstelle „Jugend musiziert“. In deren Räumen wird der Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ organisiert, ein Wettbewerb, der sich dem Formatfernsehen entzieht und viel dagegen tut, ein nach Effekten haschendes, schnelllebiges Event zu werden. Manch einer beurteilt „Jugend musiziert“ deshalb vorschnell wenn nicht als altertümlich, dann doch zumindest als unzeitgemäß, weil nicht modisch. Überspringen wir aber die Anlaufphase und steigen an einer Stelle ein, wo die Krinoline respektive „Jugend musiziert“ bereits Fahrt aufgenommen hat, am Ende der Landeswettbewerbe „Jugend musiziert“, die traditionell etwa eine Woche vor Beginn der Osterferien abgeschlossen sind.
Zu diesem Zeitpunkt haben alle Jugendlichen, die aufgrund ihrer hohen Punktzahl im Landeswettbewerb den Sprung in das Bundesfinale geschafft haben, einen Brief mit der Bitte erhalten, der Bundesgeschäftsstelle ihre Wettbewerbsprogramme zuzusenden. Im Lauf der Jahre hat sich nämlich herausgestellt, dass rund 40 Prozent aller Nachwuchsmusiker zwischen der ersten Teilnahme auf regionaler Ebene und der Teilnahme am Bundeswettbewerb ihr Wettbewerbsprogramm ändern, so dass es am einfachsten ist, alle Musikprogramme erneut abzufragen. Außerdem werden alle gemeldeten Programme nochmals einer kritischen Prüfung unterzogen, bevor sie in die große Werkdatenbank für den Bundeswettbewerb eingespeist werden: Entsprechen sie den Ausschreibungsbedingungen? Decken sie die geforderten Musikepochen ab? Stimmen die Längenangaben?
Währenddessen freut sich der Teilnehmer über seine Weiterleitung und tritt zunächst die wohlverdienten Osterferien an. Nur vereinzelt erreichen Kuverts mit Wettbewerbsunterlagen die Bundesgeschäftsstelle, aber die Zeit drängt, denn bekanntlich liegen zwischen Ostern und Pfingsten, also dem Wettbewerbsbeginn, nur 50 Tage … Es wird also viel telefoniert in den Wochen vor dem Bundeswettbewerb. Zwar treffen die Listen mit den Namen der Bundeswettbewerbs-Teilnehmer deutlich vor den Programm-Meldungen ein, doch auch hier vergehen etwa zehn Tage, vom letzten Landeswettbewerb an gerechnet, bis die Zahl aller Teilnehmer am Bundeswettbewerb verbindlich feststeht. Erst dann ist es möglich, den Zeitplan für den Bundeswettbewerb zu erstellen. An einem Wettbewerbstag kann man 16 Wertungsspiele unterbringen, Zwischenberatungen, Mittagspausen und Abschlussberatung eingeschlossen. Also muss erst die genaue Teilnehmerzahl in einer Kategorie feststehen, bevor man an die Einteilung gehen kann. Dennoch ernten die Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle immer wieder verärgertes Brummen von Eltern, die am „Tag eins“ nach dem Landeswettbewerb anrufen, den genauen Zeitpunkt des Wertungsspiels ihres Sprösslings wissen möchten und dann vertröstet werden müssen.
Als besonderen Service betrachtet „Jugend musiziert“ das Angebot, bei der Erstellung des Wettbewerbs-Zeitplans auf dringende schulische oder kirchliche Ereignisse Rücksicht zu nehmen. Bis zum Stichtag kann jeder Teilnehmer schriftlich seinen Zeitplanwunsch einreichen. Für den Bundeswettbewerb 2010 erreichten die Bundesgeschäftsstelle rund 400 solcher Wünsche, die nach Möglichkeiten berücksichtigt wurden. Klassenfahrten, Konfirmation, Aufnahmeprüfungen sind der Typ von Terminen, die als A-Priorität behandelt werden.
Stehen erst einmal die Umfänge der einzelnen Kategorien fest und sind die-se Kategorien nach Altersgruppen unterteilt, beginnt die Verteilung auf die Wertungshäuser vor Ort. Seit 2006 bereits ist die Bundesgeschäftsstelle in Verhandlungen mit der Gastgeberstadt Lübeck über Wertungs- und Überäume. Natürlich spielte die Musikhochschule bei diesen Planungen eine zentrale Rolle, ebenso die beiden Musikschulen, das Theater und die Musik- und Kongresshalle. Wertungsräume müssen möglichst schalldicht sein, Nebenräume zum Einspielen und für die Juryberatung müssen sich in unmittelbarer Nähe befinden und für den gesamten Zeitraum des Bundeswettbewerbs zur Verfügung stehen.
Auf Verdacht und aufgrund der Erfahrungen aus den Vorjahren werden solche Institutionen weit im Voraus geblockt. Wie viele Räumlichkeiten für wie viele Tage man aber tatsächlich benötigt, steht erst fest, wenn auch die Teilnehmerzahl in den einzelnen Kategorien feststeht. An dieser Stelle knarzt die Krinoline auf ihrer Fahrt dann recht kräftig. Räume, die man fest im Portfolio hatte, müssen dann doch kurzfristig abgesagt werden, weil die Kategorie umfangreicher ist als der Raum, der zur Verfügung steht.
Insbesondere die Aulen von Schulen sind davon betroffen, denn fast in allen Bundesländern sind nur die Pfingstfeiertage frei, dann werden die Schulen wieder für den regulären Unterricht benötigt. Mit der Erkenntnis über Teilnehmerzahlen und Kategoriengröße geht Hand in Hand die konkrete Zusammensetzung der Jurygremien. Auch hier spielt die Verfügbarkeit eine große Rolle: Wer seine Mitarbeit im Vorfeld für beispielsweise drei Tage zusagen konnte und nun plötzlich mit einer fünftägigen Juryarbeit konfrontiert wird, muss sein Angebot oftmals zurückziehen, ebenso diejenigen, deren Schüler sich für den Bundeswettbewerb qualifiziert haben. Ein Lehrer darf seinen Schüler nicht bewerten, also wird der Juror entweder für ein anderes Gremium vorgeschlagen oder muss seine Mitwirkung absagen.
Und während die Krinoline schon auf Hochtouren läuft, beginnt die letzte große Herausforderung, die Zuordnung der Teilnehmer zu den Jugendherbergen. Auch hier sind Jahre im Voraus bereits alle in Frage kommenden Quartiere für den gesamten Zeitraum des Bundeswettbewerbs reserviert worden. Die Feinarbeit kann jedoch erst beginnen, wenn die Tatsache klar ist, wie viele Mädchen und wie viele Jungen sich für „Jugend musiziert“ qualifiziert haben. Auf einem Formular können die Jugendlichen ihre Übernachtungswünsche äußern, Ensembles werden nach Möglichkeit gemeinsam untergebracht, wenn auch nach Geschlechtern getrennt.
Und ein letztes Mal ächzt die Krinoline, denn weil die meisten Wertungen über die Pfingsttage stattfinden, sind zu diesem Zeitpunkt auch die meisten Teilnehmer vor Ort, und die Betten sind ein knappes Gut. Wie schön, wenn die Bundesgeschäftsstelle Anrufe erhält, dass man jetzt doch lieber bei den Eltern im Hotel schlafen möchte, denn für jedes frei werdende Bett gibt es gleich mehrere Aspiranten. Sind alle Räume festgezurrt, alle Juroren gefunden und die Teilnehmer in ihren Quartieren untergebracht, steht einer fröhlichen Karussellfahrt nichts mehr im Wege, in der kommenden Ausgabe der neuen musikzeitung wird darüber zu lesen sein!