Bevor der 48. Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ in wenigen Wochen in Neubrandenburg und Neustrelitz beginnt, haben drei Menschen schon einmal das große Los gezogen: TO Helbig, Iris Vitzthum und Lucia Schoop. Was die drei miteinander verbindet ist, dass sie Bildende Künstler sind, sie malen, collagieren, zeichnen. Sie sind kreativ, erfindungsreich und sie leben alle drei in Mecklenburg-Vorpommern. Was sie mit „Jugend musiziert“ verbindet? Sie haben gewonnen, und zwar einen Kunstwettbewerb! Den nämlich hätte es ohne „Jugend musiziert“ gar nicht gegeben. Richtet man den Blick auf dem „Jugend musiziert“-Wettbewerbszeitstrahl zurück, so nahmen, bis weit in die 80er-Jahre hinein, maximal 600 Jugendliche am Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“, der obersten Stufe also, teil. Damals unterschied sich das Wettbewerbs-Reglement von dem heutigen unter anderem dadurch, dass es in jeder Altersgruppe nur jeweils einen 1., einen 2. und einen 3. Gewinner gab. Für all diejenigen war das schön, die sich schlichte und klare Verhältnisse wünschten, aber es war nicht sehr befriedigend für diejenigen, die knapp an der nötigen Punktzahl vorbeigeschrammt waren. Gehörten sie deshalb zu den Verlierern?
Der Beirat von „Jugend musiziert“ änderte dieses System vor diesem Hintergrund, motivieren sollte der Wettbewerb ja, nicht deprimieren. Aber wie oft bei komplexen Systemen, verursachte die Änderung des Reglements an anderer Stelle neue Schwierigkeiten: Denn bis dahin erhielten die „Gewinner“ nicht nur die bis heute bekannten Urkunden des Bundesjugendministeriums, sondern auch Geldpreise, aus eben diesem Ministerium. Plötzlich stand am Ende eines Bundeswettbewerbs nicht mehr eine überschaubare Gruppe von wenigen Gewinnern, sondern viele: Hundert, zweihundert, ja, über tausend hervorragende Nachwuchsmusikerinnen und -musiker verzeichneten die Ergebnisbekanntgaben bei den Bundeswettbewerben zuletzt. Natürlich wissen alle Ausgezeichneten, dass die Urkunden, die das Bundesjugendministerium überreicht, wertvoll sind. Weil sie das Zeugnis dafür darstellen, dass man „dabei“ war. Ein- bis zweimal im Monat erreicht die Bundesgeschäftsstelle ein ratloser Anruf, weil irgendjemand seine Teilnahme an irgendeinem Bundeswettbewerb nicht mehr beweisen kann und darauf hofft, dass seine Teilnahme von der Zentrale recherchiert werden kann. Mit Hilfe von Datenbanken, langen Papierlisten und einem deckenhohen Schrank voller Urkundenvordrucke kann jedem geholfen werden. Und wenn auch nicht jedem Anrufer eine Urkunde ausgestellt wird, weil die Bundesgeschäftsstelle „beweisen“ kann, dass es wohl doch eher ein Regionalwettbewerb gewesen sein muss, an dessen Teilnahme sich der Anrufer erinnert, so hat er zumindest anschließend Klarheit.
Sonderpreise statt Geldpreise
Was aber geschah mit den erwähnten Geldbeträgen, die die Gewinner erhielten? Nun, in gewisser Weise gibt es sie immer noch: Rund dreißig Organisationen und Institutionen stiften Geldpreise für herausragende Leistungen, in bestimmten Instrumental- und Vokalkategorien, für spezielle Kompositionen oder die Pflege einzelner Epochen oder Komponisten. Das Gießkannenprinzip ist allerdings weitestgehend aufgehoben. Indem der Gründungpartner von „Jugend musiziert“, die Deutsche Stiftung Musikleben (DSM), jede Musikerin und jeden Musiker mit Höchstpunktzahl in beinahe allen Wettbewerbskategorien mit einem Geldpreis bedenkt, ist das alte Preissystem noch in Ansätzen erkennbar, und „Jugend musiziert“ ist nicht nur der DSM dankbar für die jahrzehntelange treue und partnerschaftliche Unterstützung. Dennoch muss man konstatieren, dass die Übergabe von Geldbeträgen bei „Jugend musiziert“ inzwischen den Partnern überlassen ist, und von Jahr zu Jahr entscheiden die wirtschaftliche Gesundheit der Partnerorganisationen und auch die Setzung inhaltlicher Schwerpunkte erneut über die Fortsetzung dieser Sonderpreisvergabe.
Aus der Erkenntnis heraus, dass mit einem Geldpreis bei ständig steigenden Teilnehmerzahlen irgendwann lächerliche Geldbeträge verteilt worden wären, die auch nicht ansatzweise die erbrachte musikalisch-künstlerische Leistung im Bundeswettbewerb wertschätzen würden, entwickelte der Beirat von „Jugend musiziert“ im Jahr 1994 eine findige Idee:
Junge Instrumentalisten und Sänger beschäftigen sich ja bereits mit der reichen und vielfältigen Kunstsparte Musik. Weshalb nicht zwei Kunstbereiche miteinander verbinden?
Bildende Kunst für ausführende Künstler
Start für die Verbindung zwischen den beiden Bereichen Musik und Bildende Kunst war der 31. Bundeswettbewerb. Die Mittel für die Realisierung dieser neuen Idee kamen weiterhin aus dem Bundesjugendministerium. Der Projektbeirat knüpfte Kontakt zur Chefredaktion der renommierten bundesweit erscheinenden Kunstzeitschrift „art“ und zum Inhaber einer Kunstgalerie in Landsberg/Lech. Die beiden Fachleute berieten „Jugend musiziert“ fortan in Sachen Zeitgenössischer Kunst. Hinter allen individuellen Geschmacksfragen stand dabei stets die Überzeugung, dass Bildende Kunst und Musik im Wechselverhältnis zueinander stehen, der Schöpfung eines Bildes ebenso wie der Komposition eines Musikstückes harmonische oder rhythmische Überlegungen zugrunde liegen und die Notation von Musik auch ein visueller Akt ist.
Als die Zusammenarbeit mit „art“ endete, übernahm die Niedersächsische Sparkassenstiftung in den Jahren 2003 bis 2008 die Beratertätigkeit. Darüber hinaus wurden aber auch immer wieder Künstlerinnen und Künstler aufgrund persönlicher Kontakte zu „Jugend musiziert“ engagiert. Die Liste der Künstler ist im Internet zu besichtigen (www.jugend-musiziert.org). Sie ist nicht nur in ihrer Länge eindrucksvoll, „Jugend musiziert“ ist stolz, weltweit bekannte Künstler geworben zu haben, die den jungen Leuten auf Augenhöhe begegnen, indem sie Kunstwerke schaffen, die exklusiv für „Jugend musiziert“-Preisträger entstehen. Denn auch das ist Teil der Zusammenarbeit: Der Künstler hat die Aufgabe, ein neues Motiv zu erschaffen und dieses Unikat dann in einer streng limitierten Auflage zu vervielfältigen. Gelegentlich stammten alle drei Preise von ein und demselben Künstler, mitunter entstanden in einem Jahr Arbeiten auch von mehreren Künstlern. Die „Jugend musiziert“-Edition, wie sie inzwischen heißt, kann mehrfarbig gehalten werden, bei der Wahl der Technik ist der Künstler frei.
Kunst im Wettbewerb
Als sich abzeichnete, dass der Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ 2011 in Mecklenburg-Vorpommern stattfinden würde, trat auch die Findung von Künstlern für die „Jugend musiziert“-Edition in eine neue Phase. Erstmals wurde, in Kooperation mit dem Künstlerbund Mecklenburg-Vorpommern und der Kunstsammlung Neubrandenburg, ein landesweiter Wettbewerb ausgeschrieben: „Der Projektbeirat, verantwortlich für den Wettbewerb ,Jugend musiziert‘ des Deutschen Musikrates, hat entschieden, dass die Ausschreibung in Mecklenburg-Vorpommern 2010 erfolgen soll und sich an die professionellen Bildenden Künstlerinnen und Künstler in diesem Bundesland richtet. Teilnahmeberechtigt sind Künstlerinnen und Künstler, die ihren Lebens- und Schaffensmittelpunkt in Mecklenburg-Vorpommern haben (ohne Altersbegrenzung).“ Jeder Bewerber konnte bis zu drei Grundideen für die Serie einreichen, die er durch drei Originale oder drei Varianten der gedachten Serie belegen musste.
Die Ausschreibung forderte ferner, dass die Edition 2011 eine serielle Arbeit sein sollte, wobei sich jede einzelne von der anderen unterscheidet: ein Unikat in Serie. Die Technik war dabei nicht vorgegeben. Unter dem Vorsitz des Kunstwissenschaftlers Ulrich Rudolph beurteilte die sechsköpfige Jury, bestehend aus Thomas Wageringel (Künstlerbund Mecklenburg und Vorpommern), Brigitte Marbs (Abteilung Kultur im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur), Dr. Merete Cobarg (Leiterin der Kunstsammlung Neubrandenburg), Konstanze Sander (Mitglied im Projektbeirat „Jugend musiziert“) und dem Projektleiter Edgar Auer, im August des vergangenen Jahres die Arbeiten von 15 Mecklenburgischen Künstlern und überprüfte, dass auch die formalen Vorgaben wie Format, Papierdicke, Auflagen eingehalten wurden.
„Jugend musiziert“- Edition für alle
Aus dem Wettbewerb gingen schließlich drei Künstler als Gewinner hervor: TO Helbig, Iris Vitzthum und Lucia Schoop. Zum Ausruhen auf diesem Erfolg blieb ihnen jedoch kaum Zeit, war die Auszahlung des Preisgeldes doch auch damit verbunden, dass sie bis zu einem fest definierten Termin, dem 23. November 2010, die fertiggestellten Serien signiert und nummeriert in der Kunstsammlung Neubrandenburg einreichen mussten.
Die Bundespreisträgerinnen und -preisträger werden im Rahmen einer der vielen Ergebnisbekanntgaben am Wettbewerbsort „ihre“ Edition in Händen halten. Es wird ein spannender Moment, denn von der Originalität abgesehen, ist auch das haptische Erlebnis eindrucksvoll.
Die Gastgeberstadt Neubrandenburg jedoch hat ein Herz auch für diejenigen, die nicht bis zur Ergebnisbekanntgabe warten wollen, bis sie die Edition 2011 zu Gesicht bekommen: Unter dem Titel „Von Assig über Falke und Uecker zu Zeniuk – Preisträgergrafiken für ,Jugend musiziert‘ seit 1994“ stellt die Kunstsammlung in der Zeit vom 27. Mai bis 26. Juni die drei Editionen dieses Bundeswettbewerbs und die 48 Kunstwerke aus, die jeden Besitzer zu einem exklusiven Kunstsammler machen. Die Eröffnung der Ausstellung ist am 27. Mai um 11 Uhr.