Dass der Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ ein großes Treffen musikbegeisterter Menschen ist, gilt gleichermaßen vor wie hinter den Kulissen. Während auf den Bühnen der Gastgeberstadt die Jugendlichen um Punkte und Preise musizieren, nutzen Musikpädagogen von nah und fern die Wettbewerbstage zu Austausch und Fortbildung. Turnusmäßig treffen sich auch die Musik-Lehrkräfte der Deutschen Auslandsschulen zum sogenannten „Round Table“. Die DSA sind eine kulturelle Bereicherung: So beteiligten sich am Bundeswettbewerb 2014 37 Schulen in 22 europäischen Staaten an „Jugend musiziert“. In diesem Jahr ließ der Bericht zweier Lehrkräfte die Runde aufhorchen. Robert Bär, Landesausschussvorsitzender von „Jugend musiziert“ Nord-Osteuropa und Musiklehrer an der Deutschen Schule in Helsinki, und Angelika Kokholm, Musikschulleiterin an der deutschen Sankt Petri Skole Kopenhagen, berichteten nämlich über die erfolgreiche Arbeit ihrer vor einigen Jahren an der Schule gegründeten integrierten Musikschule. Susanne Fließ befragte die beiden Pädagogen.
neue musikzeitung: Wie wird man denn Musiklehrer an einer Deutschen Schule im Ausland?
Robert Bär: Grob gesprochen gibt es zwei Wege, um als Lehrer an einer Auslandsschule zu unterrichten. Einerseits besteht die Möglichkeit, von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, einer Abteilung des Bundesverwaltungsamtes, für zunächst drei Jahre entsendet zu werden. Zum anderen kann man sich auch als sogenannte „Ortslehrkraft“ direkt bei der Schule bewerben.
nmz: Wie wurde „Jugend musiziert“ an den Deutschen Schulen im Ausland eingeführt?
Bär: Als sich „Jugend musiziert“ vor etwa 30 Jahren auch an den Auslandsschulen zu etablieren begann, empfahl der damalige „Jugend musiziert“-Hauptausschuss den aus Deutschland entsandten Musiklehrern, an ihren Schulen den Wettbewerb zu etablieren und die Schüler darauf vorzubereiten. Aus dieser Initiative von einzelnen Engagierten ist inzwischen ein Gemeinschaftsprojekt geworden, das von der Schulleitung, dem Gastland und den Musikpädagogen gemeinsam getragen und weiterentwickelt wird. Bei der Einführung von „Jugend musiziert“ an unserer Schule und der Gründung des Landesausschusses „Jugend musiziert Nord-/Osteuropa“ dachten wir ursprünglich an die deutschen Jugendlichen, die aufgrund der Arbeit ihrer Eltern ins jeweilige Gastland umgezogen waren. Viele Eltern sind hier im kulturellen Bereich tätig und interessiert daran, ihre Kinder mit Hilfe von „Jugend musiziert“ zu fördern. Da es sich aber bei unserer wie auch den anderen Deutschen Schulen im Ausland um Begegnungsschulen handelt, also Schulen, an denen die Schülerinnen und Schüler verschiedenster Nationalitäten einander begegnen, war der Anteil von Schülern mit der Nationalität des Gastlandes deutlich größer. Es zeigte sich bald, dass insbesondere das Interesse dieser Schüler an „Jugend musiziert“ besonders hoch war. Das ist insofern erstaunlich, als Skandinavien dem Leistungs- und Wettbewerbsgedanken bei Minderjährigen eher kritisch gegenübersteht. Da aber „Jugend musiziert“ für qualifizierte Breiten- und Spitzenförderung mit hohem pädagogischen Anspruch steht, ergänzte der Wettbewerb das ausgezeichnete Musikschulsystem in Finnland.
nmz: Wie und wo erhalten Schüler in Skandinavien Musikunterricht?
Bär: Skandinavien hat im Allgemeinen ein großes staatliches Freizeitangebot für Schüler. Dazu zählen auch die zahlreichen Musikschulen. Besonders in den Hauptstädten ist nicht nur die Anzahl der Musikschulen, sondern auch die Qualität der Einrichtungen hoch. Da es nur das System Gesamtschule in Skandinavien gibt, ist die Ausbildung am Instrument oder der Stimme eben dann auch keine elitäre Sache für Gymnasialschüler.
nmz: Weshalb dann noch die Gründung einer Musikschule innerhalb der allgemein bildenden Schule?
Angelika Kokholm: In Kopenhagen ist es allerdings so, dass die Wartelisten an den öffentlichen Musikschulen lang sind und deshalb vor allem eine musikinteressierte Elterngruppe wie an unserer Schule das Angebot einer schuleigenen Musikschule mit Begeisterung angenommen hat.
Bär: Neben der Spezialförderung der deutschen Sprache auf muttersprachlichem Niveau sind die integrierten Musikschulen zusätzlich eine Erweiterung des Freizeitangebotes, in denen Sprache und Kultur eng miteinander verknüpft sind. Zudem erspart es den Schülern und Eltern die teilweise langwierigen Fahrwege der Hauptstadtregion, da Schule und Freizeit unter einem Dach sind. Natürlich hilft jede zusätzliche Serviceleistung einer Privatschule auch bei dem Ziel, möglichst viele Schüler zu gewinnen und zu halten, was in einem Land wie Finnland mit exzellenten Bildungsangeboten nicht einfach ist.
Kokholm: Ich möchte die Bedeutung unserer Musikschule sogar noch weiter unterstreichen. Sie hat einen ausgesprochen positiven Effekt auf den Unterricht, weil sie die Konzentrationsfähigkeit der Schüler nochmals über kulturelle und musikalische Aufgaben fördert. Als wir an unserer Schule eine Musikschule gründeten, war es auch unsere Absicht, die Ausbildung und Vorbereitung der Jugendlichen auf die Teilnahme an „Jugend musiziert“ selbst in die Hand zu nehmen und sie professionell auf den Wettbewerb vorzubereiten. Die steigenden Teilnehmerzahlen und die Begeisterung unserer Musikschüler für diese neue Herausforderung sprechen Bände. Und, wie Robert ganz richtig sagt, schaffen wir mit der Musikschule und ihren hervorragenden Lehrern auch eine stärkere und langfristige Bindung an die Schule.
nmz: Welche strukturellen oder inhaltlichen Ähnlichkeiten hat die Musikschule an Ihrer Schule mit bundesdeutschen Musikschulen?
Bär: Im Wesentlichen verfolgen unsere Musikschulen die gleichen Ziele, wie sie auch der Verband deutscher Musikschulen formuliert, jedoch ist die Verknüpfung von Schule, Musikschule und „Jugend musiziert“ viel enger. Beispielweise wird bei uns das Fach Musik bereits in der Grundschule und teilweise auch in der Mittelstufe auf verschiedenen Niveaustufen oder nach speziellen Instrumentalkenntnissen klassenübergreifend unterrichtet. In den zahlreichen selbst gewählten Arbeitsgemeinschaften können die Schüler ihre erlernten Fähigkeiten dann in Kammermusikgruppen, Bands, im Chor und in der Musical-AG direkt einbringen.
nmz: Worin liegt für Lehrer und Schüler der Vorteil einer in den Schulalltag integrierten Musikschule?
Kokholm: In Kopenhagen an der Sankt Petri Musikschule sind die Vorteile zahlreich. Unsere Lehrer treffen auf hochmotivierte Schüler, die auch von ihren Eltern tatkräftig unterstützt werden, was in Dänemark durchaus selten ist. Gesellschaftsstruktur und Arbeitswelt unterscheiden sich sehr von der deutschen: Hier sind meistens beide Elternteile berufstätig, und die To-do-Liste, wenn man nach 17 Uhr nach Hause kommt, ist lang. Mit den Kindern üben steht da nicht ganz oben. Dass das hier inzwischen sehr selbstverständlich geschieht, werte ich als großen Erfolg unserer pädagogischen Arbeit. Was gibt es für einen Musiklehrer Schöneres, als sich mit dem Schüler erfolgreich weiterzu entwickeln, anstatt die Unterrichtsstunde an das gemeinsame Üben zu verschwenden?
Bär: Aus der Sicht der Schüler spielt die Zeit für den Transfer zur und von der Schule eine große Rolle. Wäre die Musikschule nicht unter demselben Dach, wäre der Zuspruch sicherlich deutlich geringer. So kann der Unterricht direkt im Anschluss an die Schulstunden in der Schule starten. Das ist praktisch und sinnvoll, vor allem hier in Finnland, mit einem großen Einzugsgebiet. Hier nutzen Schüler die Möglichkeit, einander im Unterricht zu besuchen, zuzuhören und werden so viel mehr mit Musik konfrontiert, als es an externen Musikschulen der Fall sein kann.
nmz: Wie viel Freiraum gewährt die Schulleitung den Lehrern für diese neue Aufgabe?
Kokholm: Als Abteilungsleiterin des Bereichs Musikschule gehöre ich zur Schulleitung und kann mit meinen Kollegen Stundenpläne erstellen, Projekte planen oder AGs zusammenstellen, die der gesamten Schule zu Gute kommen. Wichtig ist – und das Prinzip, die Musikschule als schuleigene Abteilung zu etablieren, garantiert das ohnedies –, immer im Gesamtkonzept zu denken. Schule, Nachmittagsbetreuung und Musikschule können nur dann optimal funktionieren, wenn sie aufeinander abgestimmt sind, wenn alle Verantwortlichen in die Planungen einbezogen sind und gehört werden und sich bewusst ist, dass der Erfolg das Resultat einer gemeinschaftlichen Bemühung ist.
nmz: Welchen Stellenwert für die Schüler hat denn die Teilnahme an „Jugend musiziert“?
Bär: Sie ist für die Schüler unserer Schule insofern bedeutsamer, als es sich um ein Fest der Schule handelt, an dem alle Schüler entweder als Teilnehmer, Organisator oder als Zuschauer mitwirken. Keiner der Schüler der Schule kann „Jugend musiziert“ ignorieren. In der Oberstufe können Schüler im Rahmen der Besonderen Lernleistung ihre „Jugend musiziert“-Ergebnisse in das Abitur einbringen und damit ihren Notendurchschnitt verbessern.
nmz: Und für den betreuenden Lehrer?
Kokholm: Einige unserer Musikschullehrer sind selbst ehemalige Teilnehmer von „Jugend musiziert“, für sie ist es natürlich besonders schön, jetzt die eigenen Schüler auf den Wettbewerb vorbereiten zu können.
nmz: Dürfen auch Jugendliche und Kinder die Musikschule besuchen, die nicht Schüler an der Deutschen Schule sind?
Kokholm: In der Tat richtet sich dieses Angebot nur an unsere eigenen Schüler, sonst würden wir ja der Konkurrenz unserer Nachbarschulen noch weitere Attraktivität frei Haus liefern.
nmz: Wie finanzieren sich diese integrierten Musikschulen?
Kokholm: Als Abteilung einer Privatschule stehen uns keine öffentlichen Mittel zur Verfügung, was durchaus problematisch ist. Mit der Gründung der Musikschule hat unsere Schule jedoch zusätzlich an Attraktivität gewonnen, denn immer mehr Kinder aus Musikerkreisen besuchen unsere Grundschule und wählen sie auch als weiterführende Schule, um ihre musische Ausbildung hier fortsetzen zu können.
- Robert Bär unterrichtet an der Deutschen Schule Helsinki und organisiert seit 2007 die Regional- und Landeswettbewerbe „Jugend musiziert“. Die integrierte Musikschule existiert seit 2007, aktuell sind von 650 Schülern der Schule 180 Musikschüler, jährlich beteiligen sich durchschnittlich rund 150 Jugendliche an „Jugend musiziert“.
- Angelika Kokholm ist Mitgründerin der Sankt Petri Musikschule Kopenhagen im Jahr 2011. Seit 2012/13 ist sie Musikschulleiterin und seit 2013/14 Projektleiterin von „Jugend musiziert“ in Dänemark. An der integrierten Musikschule erhalten 210 von insgesamt 520 Schülern Musikunterricht. 2014 nahmen 20 Musikschüler an „Jugend musiziert“ teil.