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Präzise, musikantisch und ohne Dirigent: Das preisgekrönte Hindemith-Ensemble aus Weimar. Foto: Sebastian Kaesler
Präzise, musikantisch und ohne Dirigent: Das preisgekrönte Hindemith-Ensemble aus Weimar. Foto: Sebastian Kaesler
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Werbung für den mündigen Interpreten

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WESPE schwirrt durch die bundesdeutsche Kulturlandschaft
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Seit vor einigen Jahren die Verpflichtung, ein zeitgenössisches Werk zu spielen, beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ durch einen eigens für eben diese Epoche eingerichteten Wettbewerb ersetzt wurde, schwirrt WESPE durch die bundesdeutsche Kulturlandschaft. Als zusätzlicher Anreiz, sich intensiv mit Neuer Musik zu beschäftigen, wurden gut ein Dutzend Stiftungen und Institutionen gewonnen, die zusammen seither eine beträchtliche Geldsumme für die Musikerinnen und Musiker ausloben.

WESPE, die zwar zu den schönsten Assoziationen aus dem Tierreich reizt, in Wirklichkeit jedoch für „Wochenenden der Sonderpreise“ steht, fasst nicht nur die vertiefte Beschäftigung mit mehrsätzigen Musikwerken und die Förderung zeitgenössischer Musik bei „Jugend musiziert“ zusammen, sondern vereinigt unter ihrem Dach eben auch die besagten Sonderpreise und ihre Stifter, weshalb die Stadt Münster und der Westdeutsche Rundfunk, die Stifter des traditionsreichen „Klassikpreises“, für den Plural „Wochenenden“ verantwortlich sind.

Standorttreue beweist der Klassikpreis seit 1989. Erstmals wurde er im Rahmen des 26. Bundeswettbewerbs „Jugend musiziert“ in Münster ausgelobt und hier ist er seitdem auch beheimatet.

Das andere der beiden WESPE-Wochenenden dagegen hat keinen festen Standort, wenn auch nach acht Jahren festzustellen ist, dass sich WESPE bisher in Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg aufhält.

Wer bei WESPE mitmachen will, muss zunächst den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ erfolgreich bestehen. Ein Bundespreis rückt die jungen Musikerinnen und Musiker in die Liga derer, die daraufhin für eine Bewerbung zu WESPE eingeladen werden. Und zwar in sieben Kategorien. Für vier dieser Kategorien nominiert die Jury des Bundeswettbewerbs die Werke. Wessen „klassisches Werk“ beim Vortrag im Bundeswettbewerb als herausragend beurteilt wird, den erreicht etwa drei Wochen später eine Einladung zum „Klassikpreis“. Ähnliches gilt für die Kategorien „Für Jugend musiziert komponiertes Werk“, „Werk der Klassischen Moderne“ und „Zeitgenössisches Werk“.

Zu viel Reproduktion? Zu wenig Kreativität? Von wegen! Es lohnt der Blick auf die drei „offenen“ Kategorien bei WESPE, denn hier gilt: Nicht mehr und nicht weniger als ein Bundespreis ist hier die Voraussetzung für eine Teilnahme. Das Musikprogramm des Bundeswettbewerbs spielt nun keine Rolle mehr. Sofern man eine Einladung für die „offenen“ Kategorien erhalten hat, kann man sich augenblicklich auf die Suche nach interessanten Werken begeben. Angesprochen und eingeladen werden Musikerinnen und Musiker, die ihr „eigenes Werk“ vorstellen möchten – so auch die Bezeichnung der Kategorie – Interpreten, die die Werke der „Verfemten Musik“, dem Vergessen entreißen und zu neuem Leben erwecken wollen und diejenigen, die Werke von Komponistinnen vorstellen wollen. Denn Frauen hatten und haben es von jeher im männlich dominierten Konzertbetrieb schwerer sich zu profilieren.

Von der Freiheit bei der Wahl der Stücke abgesehen, formuliert die Ausschreibung in den drei „offenen“ Kategorien auch die Ermutigung, sich zu neuen Besetzungen zusammenzufinden und, auch dies ein wichtiger Unterschied zum Bundeswettbewerb, bewertet wird die beste Interpretation eines Stückes, ganz unabhängig von Altersgruppen-Zugehörigkeit. Das klingt nicht nur spannend, das ist es auch, von jedem Jahr aufs Neue.

Großes Renommee

Münster und Karlsruhe also, an diesen beiden Schauplätzen fand am 12./13. beziehungsweise 18./19. September WESPE 2015 statt. Beim „Klassikpreis“ war das Repertoire erstmals um Brahms und Mendelssohn Bartholdy erweitert worden. Die Herausforderung, den Spannungsbogen von mehrsätzigen, über 20 Minuten dauernden Werken zu halten, gelang drei Ensembles in besonderer Weise: Sophie und Vincent Neeb, aus Oberhaching (Klavier vierhändig), dem Klarinettisten Lewin Kneisel aus Berlin, und dem Violoncello/Klavier-Duo Antong Zou und Sebastian Mirow aus Berlin. Sie erhielten den „WDR 3 Klassikpreis der Stadt Münster“ 2015 und dürfen sich damit zur illustren Gruppe derjenigen zählen, die als junge aufstrebende Musiker hier ebenfalls zum ersten Mal auf sich aufmerksam machten und heute renommierte Musiker im internationalen Kulturbetrieb sind.

Betrüblich ist daher die Tatsache, dass sich nur ein kleines Publikum am Tag nach dem Wettbewerb von der Brillanz der Musikerinnen und Musiker überzeugen wollte, als die Preisträger in der Musikhochschule Münster ein Matineekonzert gaben. Da der Westdeutsche Rundfunk das Konzert der „Klassikpreisträger“ traditionell mitschneidet und zeitversetzt ausstrahlt – die CD-Aufnahme ist Teil des Preises – kann man den Konzertbeiträgen der jungen Leute am 2. November ab 20.05 Uhr im Programm WDR 3 jedoch zum Glück nochmals intensiv lauschen. Der „Klassikpreis“ hat mindestens so viel öffentliche Aufmerksamkeit verdient wie er Renommee genießt!

Die ließe sich auch am zweiten WESPE-Wochenende sicherlich noch steigern, auch wenn das Preisträgerkonzert in Karlsruhe erfreulich gut besucht war.

Rund 100 Musikerinnen und Musiker zwischen 14 und 20 Jahren hatten sich zur Teilnahme angesagt, 50 Musikbeiträge angemeldet, davon gut die Hälfte in den „offenen“ Kategorien. In der besonders spannenden Kategorie „Eigenes Werk“ waren Werke für Fagott, Gitarre, Duo Cello/Klavier, Singstimme/Klavier, Querflöte, und Klavier vierhändig komponiert worden und mit klugen und originellen Programmnotizen durch die Komponisten selbst angekündigt worden: „Ich habe die Primzahlen genommen und aus drei von denen, die in der Musik unterrepräsentiert waren, ein Stück gemacht“, schreibt der Pianist Antonius Nies aus Wiesbaden über „Nummerische Bagatellen“. „Die Klänge finden in einem vertrauten musikalischen Gerüst Platz und debattieren miteinander“, so die Fagottistin Thomia Erhardt aus Berlin zu ihrem Stück „Fremdes, Vertrautes“. Nun galt es für die Teilnehmer jedoch, die Werke bestmöglich zu intepretieren. Denn bei WESPE wird ja nicht die Komposition bewertet, sondern ihre Präsentation. Dass dies gelungen war, zeigen die vier ausgezeichnten Beiträge, für die die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) und der Verband deutscher Musikschulen die Preise stifteten.

Für die Musikkultur Zeugnis ablegen

Auf welch hohem Niveau und mit welcher Souveränität der so genannte musikalische Nachwuchs Werke der „Klassischen Moderne“ zelebrierte, zeigten die Beiträge in der gleichlautenden Kategorie. Ausgezeichnet wurden unter anderem zwei Cello-Oktette, beide mit den „Bachianas brasilerias Nr. 1 c-moll“ von Heitor Villa-Lobos und ein zwölfköpfiges Ensemble mit der „Kammermusik Nr. 1“ von Paul Hindemith. Alle drei Ensembles konnten im Konzert zeigen, was sie drauf hatten. Die Präsizion, Musikalität und überbordende Lust am gemeinsamen Musizieren des Hindemith-Ensembles, das das alles ohne Dirigent bewerkstelligte, war auch für die Jury beeindruckend genug: So erhielten die zwölf den Sonderpreis der Hindemith- Stiftung. Die Bertold Hummel Stiftung vergab ihren Sonderpreis an die beiden Oktette, eines besetzt mit Schülerinnen und Schülern des Musikgymnasiums Belvedere in Weimar, das andere aus Baden-Württemberg. Vier weitere Duos dieser Kategorie wurden von der Genzmer-Stiftung und dem Deutschen Musikverlegerverband mit Sonderpreisen ausgezeichnet.

In seiner Begrüßung im Preisträgerkonzert gab Reinhart von Gutzeit, der Vorsitzende von „Jugend musiziert“ und Vorsitzende aller WESPE-Jurygremien den Zuhörern eine Überlegung zum Umgang mit der Musik unserer Zeit auf den Weg: „Alles, was wir über unsere Vergangenheit wissen, das wissen wir aus den Zeugnissen der Kultur: Der Literatur, der Baukunst, der Malerei und der Musik. Wir sollten uns daher immer wieder kritisch fragen, ob wir genug für unsere eigenen kulturellen Zeugnisse tun.“

Der Dank muss also allen gelten, die finanziell und personell solche Initiativen stützen und damit die jungen Kreativen in die Lage versetzen, weniger ausgetretene Pfade zu betreten, zu forschen, auszuprobieren, ihre Werke überhaupt erst zu erschaffen und in der Öffentlichkeit zu präsentieren. WESPE kann für junge Intepretinnen und Interpreten einen kleinen, aber kraftvollen Beitrag dazu leisten. Herzlicher Dank daher auch an all die noch nicht genannten Stifter von WESPE 2015: Die Irino-Foundation, das Netzwerk Neue Musik Baden-Württemberg, und die Förderer: Das Bundesjugendministerium, die Sparkassen-Finanzgruppe und die Gastgeberstadt Karlsruhe.

WESPE 2016 wird sich verändern – von einer neuen spannenden WESPE-Kategorie wird in Kürze die Rede sein. Aber auch dann werden es erneut die Preisstifter sein, die bei den jungen Menschen für zusätzliche Anreize zur Beschäftigung mit Neuer Musik sorgen, ein zukunftsweisendes Investment!

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