Er war schon immer etwas ganz besonderes, der „Klassikpreis“, den die Stadt Münster und der Westdeutsche Rundfunk mit seinem Programm WDR 3 zu gleichen Teilen ausloben. Im Jahr 1989 wurde der Preis eingerichtet, damals im Zusammenhang mit dem in Münster gastierenden Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“. Damit ist auch die Zielgruppe für den „Klassikpreis“ benannt: Er richtet sich an die Preisträger des Bundeswettbewerbs, in deren Wertungsprogramm ein mehrsätziges Werk der Wiener Klassik, also von Haydn, Mozart, Beethoven oder Schubert, enthalten ist.
Naturgemäß spielen die Jugendlichen im Bundeswettbewerb nur einen Satz daraus, denn das Wertungsprogramm soll ja einerseits nicht länger als 20 Minuten dauern, die geforderte Epochenvielfalt bietet dem jugendlichen Musiker andererseits die Möglichkeit, seine Vielseitigkeit zu zeigen. Die Bundesjury jedoch richtet bereits im Wertungsspiel ihr Augenmerk ganz besonders auf das klassische Werk und vorausgesetzt, es wird mit einer hohen Punktzahl bewertet, ist der erste Schritt hin zur Teilnahme am „Klassikpreis“ bereits getan.
Zeit gewinnen für die beste Performance
Nun findet der Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ bekanntermaßen und traditionell zu Pfingsten statt, in einigen Bundesländern vergehen bis zum Beginn der Sommerferien nur noch drei Wochen. Viel zu kurz also, um zwischen letzten Klausuren und Abschlussfahrten auch noch ein Wettbewerbsprogramm für den „Klassikpreis“ einzuüben. Denn die Bedingung für die Teilnahme lautet, das Werk mit allen Sätzen vorzubereiten und im Rahmen des Wertungsspiels vollständig zu präsentieren. Nicht erst die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre trug dazu bei, dass sich die Organisatoren des Bundeswettbewerbs entschlossen, den „Klassikpreis“ auf die Zeit nach den Sommerferien zu verlegen. Auch der Deutsche Musikrat und die Landesmusikräte bieten mit den Arbeitsphasen des Bundesjugendorchesters, der Landesjugendorchester, dem Deutschen Kammermusikkurs und den Kammermusikkursen auf Landesebene ein breites Portfolio von Fort- und Weiterbildungsangeboten für Nachwuchsmusiker. Die Wahl fällt also schwer, welches Angebot man annimmt, umso mehr, als einige Einladungen durchaus nicht nach dem Gießkannenprinzip ausgesprochen werden. Clevere Instrumentalisten mit einer Einladung zum „Klassikpreis“ sind daher dazu übergegangen, ihre Vorbereitung auf den Wettbewerb mit ihren weiteren musikalischen Aktivitäten zu harmonisieren: Sie setzen das Werk für den „Klassikpreis“ als Teil des Programms im Deutschen Kammermusikkurs ein und nutzen so den 14-tägigen Kurs und das versammelte Knowhow der Dozenten, um dem ausgewählten klassischen Werk den letzten Schliff zu verpassen. So ist der „Klassikpreis“ von seinem angestammten Platz, kurz vor Beginn der Sommerferien in NRW, seit drei Jahren in den September verlegt worden, zeitgleich wurde ein weiterer Sonderpreis in den Herbst verlegt, der für zeitgenössische Musik, den die Stadt Erlangen seit den späten 70er-Jahren an „Jugend musiziert“-Preisträger vergibt. Diese Verlegung hing allerdings mit der neuen Aufmerksamkeit für Neue Musik zusammen, die ja nicht mehr verpflichtend im Wettbewerb gespielt werden musste. Stattdessen wurden, um den Erlanger Preis herum, weitere Preisstifter geworben, die nun im Rahmen der „Wochenenden der Sonderpreise“, kurz WESPE, herausragende Interpretationen neuer, selten gespielter oder überhaupt erst komponierte Musik mit Geldpreisen auszeichnen. Ein Wochenende ist seither in Münster der Wiener Klassik gewidmet, das andere, in Freiburg, der Neuen Musik in ihren verschiedenen Facetten.
Vom älteren Bruder „Klassikpreis“ lernen
Auf Anhieb scheinen diese Stilistiken also nicht unter das gemeinsame Dach WESPE zu passen, aber etwas ist ihnen doch gemeinsam: das künstlerische Ringen um nur ein Werk, seine Durchdringung, die Auseinandersetzung mit seiner Entstehungsgeschichte, die den Zugang zur Musik wenn nicht ebnet, so doch klarer macht. Mit dieser Anforderung ist der „Klassikpreis“ gewissermaßen zum großen Bruder der noch jungen WESPE-Kategorien geworden. Das gilt auch für die Bewertung der Jugendlichen durch die Jury beim „Klassikpreis“. In vielen Aspekten ist sie das Vorbild für WESPE in Freiburg. Hier wie dort spielt die Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe keine Rolle. Alle Musikerinnen und Musiker werden ausschließlich daran gemessen, ob sie das von ihnen gewählte Werk „verstanden“ haben, es künstlerisch zu durchdringen in der Lage sind, im Falle der Klassik insbesondere den Spannungsbogen über vier Sätze einer klassischen Sonate durchzuhalten vermögen. All dies erfordert eine besondere Qualifikation von den jungen Musikern, egal, ob sie 13 oder 21 Jahre alt sind. Dem „Klassikpreis“ hat dies den Titel „Preis der Preisträger“ eingetragen. Es klingt wie eine Herausforderung, der sich Jahr für Jahr nur ein Dutzend Instrumentalisten zu stellen wagt. Der Anspruch ist hoch, das hat sich in den mehr als 20 Jahren herum gesprochen.
Den Gästen in Münster – Zuhörern, Schlachtenbummlern, Musikern, Eltern und Geschwistern – bietet sich, den hohen Anforderungen des Wettbewerbs zum Trotz, eine besonders herzliche, familiäre Atmosphäre. Die Westfälische Schule für Musik, seit Anbeginn Gastgeberin für die Durchführung des „Klassikpreises“, und ihr Direktor Ulrich Rademacher und sein Team, stehen dafür in erster Linie. Eine exquisite Jury, der man, besonders beim gemeinsamen Abschlussabend, auf Armlänge und im lockeren Gespräch begegnen kann, sorgt überdies für Geborgensein im gemeinsamen Ringen um die angemessene Interpretation.
Der Musik sein Leben widmen
Nicht nur ein hoher Geldpreis winkt den besten Interpreten, mit dem „Klassikpreis“ ist ein Konzertauftritt in einer der renommiertesten Konzertreihen Münsters verbunden. Das Konzertbüro Schoneberg bietet dem musikalischen Nachwuchs im festlichen Ambiente des Erbdrostenhofes das Podium für ihr Debüt als Klassikpreisträger. In diesem Jahr findet es am 14. November um 18 Uhr statt. Und als besonderes Bonbon tritt hier auch Preisstifter Nummer zwei nochmals in Erscheinung: Der WDR zeichnet das Konzert auf und sendet es zeitversetzt in seinem Programm WDR 3.
Am 18. September werden sich sieben Solisten und Klavier-Duos um den „Klassikpreis“ 2010 bewerben. Auf dem Programm stehen die Sonaten Nr. 1 und Nr. 5 von Ludwig van Beethoven, die Sonate Nr. 6 in A-Dur, die Sonate in C-Dur von Luigi Boccherini und die Variationen über das Lied „Trockne Blumen“ von Franz Schubert. Die Bekanntheit der Stücke ist es, die die Schwierigkeit ausmacht, sich mutwillig in die Konkurrenz mit weltberühmten Interpreten zu begeben und den vielhundertfachen Interpretationen noch eine eigene Nuance hinzufügen zu wollen. Da haben es die Interpreten der Neuen Musik in Freiburg vergleichsweise leichter. Aber es gibt sie in Münster immer wieder, die Mutigen, die jungen, frisch Aufspielenden, die sich nicht einschüchtern lassen vom drohenden Satz „Die Klassiker schlagen zurück“.
Die Jury in ihrer jährlich neuen Zusammensetzung beweist eine gute Nase, und die Liste der ehemaligen „Klassikpreisträger“ liest sich inzwischen wie ein „Who‘s Who“ der Musikbranche: Christopher Tainton, Herbert Schuch, Nikolas Altstaedt, Martin Helmchen, Igor Levit sind nur einige der Namen, die auf dem Weg sind, international auf sich aufmerksam zu machen, von anderen, jüngeren, wird sicherlich noch zu hören sein. Interessant aber ist, dass buchstäblich jeder, der den Klassikpreis erhalten hat, der Musik treu geblieben ist. Es scheint also, als liefere der „Klassikpreis“ noch einen weiteren Motivationsschub, sein Leben ganz in den Dienst der Musik zu stellen – ob er auch in dieser Hinsicht dem „kleinen“ Bruder in Freiburg zum Vorbild wird?
WESPE in Münster
18. September, 11–16 Uhr, Westfälische Schule für Musik der Stadt Münster, Konzert der Klassikpreisträger: 14. November, 18 Uhr, Erbdrostenhof Münster
WESPE in Freiburg
1. und 2. Oktober, 9–20 Uhr, Hochschule für Musik in Freiburg,
Abschlusskonzert mit feierlicher Preisverleihung: 3. Oktober, 11 Uhr, Hochschule für Musik
Infos unter: www.jugend-musiziert.org