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24 Präludien für den erweiterten Bekanntenkreis

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Ein Interview mit dem Komponisten und Gitarristen Leon Albert
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Schon immer interessierten mich große zyklische Formen, die mehr als drei, vier oder fünf Sätze haben, in einem inneren Zusammenhang stehen und meistens ein übergreifendes Thema haben, das die Komponisten dann von allen möglichen Seiten beleuchten können. Die bekanntesten Beispiele knüpfen an den Jahreslauf an: Die „Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi, Joseph Haydn und Peter Tschaikowski, das „Jahr“ von Fanny Hensel oder die „13 Monate“ von Manfred Schmitz. Auch der Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ von Mussorgski ist in den verschiedenen Fassungen von Ravel und anderen im Ohr oder im Gedächtnis abgespeichert.

Aufgrund seiner Kühnheit und nachhaltigen Bekanntheit durch die Jahrhunderte fand auch das „Wohltemperiere Klavier“ von Bach nicht nur Bewunderer, sondern auch Jünger, die das Ihre versuchten, auf den Spuren des Meisters Neues zu erfinden: die Idee, den kompletten Quintenzirkel mit immer wieder neuem musikalischen Leben zu erfüllen, ist offenbar immer noch stark und attraktiv und von nicht nachlassendem Reiz für die Autoren bis in die Gegenwart hinein. Ganz unverhofft stieß ich in den uninspiriert-langweiligen Corona-Jahren auf Präludien des Berliner Komponisten und Gitarristen Leon Albert. Erst waren es wenige, dann wurden es immer mehr, und schlussendlich waren dann 24 kleine Präludien aufgeschrieben und zwar verfertigt für eine Gitarre, deren mangelnde Eignung für die hohen Bb-Tonarten den Komponisten nicht abgeschreckt hat.

neue musikzeitung: Da Leon Albert zwar sehr produktiv, aber noch nicht so bekannt ist, würde ich zunächst gern von ihm einige biografische Details erfragen.
Leon Albert: Ich bin 1991 in Erlangen geboren und aufgewachsen. Zum fünften oder sechsten Geburtstag (das weiß leider niemand mehr ganz sicher) habe ich meine erste Gitarre geschenkt bekommen und hatte seitdem Unterricht. Meine erste eigene Band hatte ich mit 12 Jahren und wenig später fasste ich den Entschluss, Gitarre zu studieren. Dafür war ich dann 2011 bis 2017 an der HfM Dresden. Mein Hauptfach war E-Gitarre Jazz/Rock/Pop, aber ich konnte nach zwei Jahren eine weitere Aufnahmeprüfung spielen und somit das vorherige nebenfach Akustische Gitarre als zusätzliches zweites Hauptfach studieren. Nach dem Studium bin ich nach Berlin gezogen und lebe seitdem hauptsächlich von Konzerten. Ab und zu springe ich mal irgendwo als Vertretung ein, aber in erster Linie spiele ich mit meinen eigenen Projekten meine eigene Musik. Ein klein wenig Gitarrenunterricht gebe ich auch, bisher aber nie mehr als einen Nachmittag in der Woche.
nmz: Die Liste Ihrer Veröffentlichungen ist noch überschaubar und dann kommt gleich so ein umfangreiches Werk auf die Welt…?
Albert: Meine 24 Präludien für den erweiterten Bekanntenkreis sind meine bisher umfangreichste Veröffentlichung: sie erscheinen als Album digital und auf CD, als Notenbuchausgabe und in Form einer 24-teiligen Videoreihe auf YouTube. Es ist ein ca. 42-minütiger Miniaturen-Zyklus für klassische Gitarre solo, der sich anhand des Quintenzirkels durch alle Dur- und Molltonarten bewegt. Die Präludien können dabei auch für sich alleine stehen und sind ein bis zweieinhalb Minuten lang.
nmz: Bach ordnet die Präludien und Fugen bekanntlich chromatisch an. Ihre Anordnung folgt dem Quintenzirkel rechts rum und ist damit mit dem Zyklus „24 Präludien und Fugen“ von Dmitri Schostakowitsch (op.87; entstanden im zerstörten Dresden) vergleichbar. Dresden ist die Stadt Ihres Musikstudiums. Kennen Sie den Zyklus von Schostakowitsch und waren diese Zusammenhänge für Ihre Arbeit wichtig?
Albert: Vielen Dank für den Tipp! Natürlich kenne ich Schostakowitsch, jedoch habe ich die Präludien und Fugen bisher kaum gehört und wusste, wie ich gestehen muss, auch nicht über diesen spannenden Hintergrund Bescheid. Bach war tatsächlich insoweit ein Einfluss für mich, dass ich ebenfalls Dur und Moll direkt nacheinander vom gleichen Grundton aus behandeln wollte. Vorher hatte ich kurz überlegt, mit Paralleltonarten zu arbeiten, also C-Dur und A-Moll, dann G-Dur und E-Moll und so weiter. Vom chromatischen Ansatz habe ich dann jedoch abgesehen und mich für den Quintenzirkel entschieden, da so trotz meiner Dur-Moll-Strategie noch halbwegs gemächlich immer mehr Vorzeichen ins Spiel kommen. Und auf der Gitarre erschien es mir außerdem sinnvoll, durch den Quintfall immer wieder in neue Sphären gebracht zu werden, da die Chromatik andernfalls vielleicht zu sehr zum naheliegenden Verschieben auf dem Griffbrett verleitet hätte. Da wäre es eventuell schwieriger, in der neuen Tonart auch auf neue Ideen zu kommen.
nmz: Sie lassen die Fugen weg und kümmern sich ausschließlich um die Präludien. Die Gitarrenspieler werden sich das denken, denn eine Fuge in Es-Moll oder Des-Dur  auf einer Gitarre, wo es dann keine einzige Leersaite mehr gibt, stelle ich mir schwierig zu komponieren und noch schwieriger zu spielen vor. Dafür ist mein Eindruck, dass Sie jeweils immer 2 Präludien so behandeln, als ginge es um den überlieferten Gegensatz Präludium-Fuge.    
Albert: Angeordnet sind die Stücke paarweise. Dur- und Moll gehören dabei immer zusammen: sie beziehen sich aufeinander, zitieren sich gegenseitig, haben eine ähnliche Stimmung inne oder sind bewusst gegensätzlich konzipiert. Das spiegelt sich auch in den Titeln wider.
nmz: Die ausgewählten Titel, so scheint mir, sind noch eine zusätzliche dritte Ebene, die die Musikstücke ergänzen, weiterspinnen, manchmal aber auch noch zusätzliche Aspekte in das Ganze hereinbringen...?
Albert: Über die Titel habe ich mir ohnehin viele Gedanken gemacht. Bei Instrumentalmusik spielen Titel, denke ich, eine große Rolle. Nun ist Musik für Gitarre solo eine ziemliche Nische und da ist es noch wichtiger, einen Zugang über den Titel zu schaffen für Menschen, die so etwas vielleicht gar nicht so oft hören.
nmz: Die Berliner Rundfunkjournalistin Fanny Tanck hatte einige Ihre Stücke gesendet und bei den Präludien mit den Namen „U-Musik“ und „E-Musik“ das Radio-Publikum zum Raten aufgefordert, welcher Titel zu welchem Musikstück passen könnte. Ich habe extra das Auto angehalten und wollte anrufen, kam aber nicht durch. Auch ich hätte falsch gelegen, obwohl ich eine Falle vermutet habe…
Albert: Bei dem Präludien-Paar E-Musik und U-Musik (H-Dur und H-Moll), habe ich mit einer bewussten Verdrehung gearbeitet. Naheliegender wäre es vielleicht gewesen, das Stück in H-Dur U-Musik zu nennen (und andersherum), aber ich wollte da gerne etwas Verwirrung stiften. Diese Unterscheidung ist meiner Meinung nach meist sehr unfair und veraltet und muss dringend abgeschafft werden.
Die Gesamtform des Zyklus war mir auch sehr wichtig. Daher greife ich manche Ideen oder Motive über das Album verteilt immer wieder mal auf. In seltenen Fällen sogar ganze Melodien. Das Anfangsthema aus U-Musik zum Beispiel taucht später bei Quälereien wieder auf. Hier jedoch natürlich in Es-Moll, außerdem als dreistimmiger Choral und extrem entschleunigt. Es hat total Spaß gemacht, sich selbst solche Aufgaben zu stellen und dann zu bemerken, wie anders dieselbe Idee dann doch nochmal klingen kann.
nmz: Ich habe das Konzert zur CD-Vorstellung gehört und fand beim ers­ten Hören die Stücke schwer, aber nicht unlösbar schwer. Als ich dann die Noten vor mir hatte, fand ich alles außerordentlich schwer. Da es ja kaum herkömmliche Akkorde gibt, müssen die vier Finger schon in alle Richtungen sehr beweglich sein und die Spieler können kaum auf ihre Akkordgriff-Routine zurückgreifen. Immer liegen ein Ton oder mehrere Töne an anderen Stellen, als man das kennt.
Albert: Ich bin gerade bei Akkorden auf meinem Instrument schon immer sehr experimentierfreudig gewesen. Dabei hatte und habe ich die Hoffnung, auf interessante Klänge zu stoßen, durch die sich meine Musik von der Anderer unterscheidet. Leider sind dafür manchmal tatsächlich etwas größere Distanzen auf dem Griffbrett nötig. Es gibt aber trotzdem auch ein paar weniger schwere Stücke, die ich im Vorwort der Notenausgabe auflis­te, um einen einfacheren Einstieg zu ermöglichen.
nmz: Zum Schluss geben sie den Lesern doch bitte einige Informationen, auf welchen Wegen man an die Stücke herankommt.
Albert: CD und Buch sind bestellbar über das Label (T3 Records) und den  Verlag (Acoustic Music Books), aber auch im ganz normalen Handel erhältlich. Digital ist das Album natürlich auch auf allen gängigen Strea­ming-Diensten zu finden. Die Videoreihe läuft schon seit dem 4.11.2022. Jeden Freitag erscheint eine neue Episode auf meinem YouTube Kanal, also ein Performance-Video von mir, wie ich das jeweilige Stück spiele. Da es wirklich für alle 24 Präludien jeweils ein Video gibt, läuft diese wöchentliche Serie noch bis 14.4.2023.
nmz: Wann kann man die 24 Präludien wieder im Konzert hören?
Albert: Da ich auch viel mit anderen Projekten arbeite und live spiele, komme ich gar nicht so viel dazu, Solokonzerte zu spielen. Jetzt, wo mein zweites Soloalbum da ist, soll sich das aber natürlich ändern. Einige Termine stehen auch schon fest und sind auf meiner Website www.leonalbert.de zu finden.
Interview: Walter Thomas Heyn

 

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