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Aktionstag der Lehrbeauftragten

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Situation der Lehrbeauftragten an Universitäten im Bereich Musik ist unethisch und ausbeuterisch
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Dem Aktionstag der Lehrbeauftragten am 6. November schließt sich der Deutsche Tonkünstlerverband mit eigenen Veranstaltungsbeiträgen unter anderem in München und mit seinem Engagement für die Lehrbeauftragten im Bereich Musik an Universitäten an. Vor einigen Jahren setzte er auf Initiative von Dr. Dirk Hewig die Diskussion über die Lehrbeauftragten an Musikhochschulen in Gang. Wesentlich schwieriger ist die Situation der Lehrbeauftragten im Bereich Musik an Universitäten. Ingrid Krieger und Wayne Lempke engagieren sich seit Jahren an der Universität Nürnberg für die Lehrbeauftragten im Bereich Musik. Sie planen, ein Netzwerk an anderen Universitäten in Bayern und in ganz Deutschland aufzubauen. Der Tonkünstlerverband Bayern unterstützt sie bei diesem Vorhaben und wird sich in den kommenden Jahren für die Verbesserung der Situation einsetzen, die Wayne Lempke im folgenden Text beschreibt.

Die erste Smalltalk-Frage überhaupt ist: „Was machst du beruflich?“ Nun, als freiberuflicher Musiker und freischaffender Künstler löst die Antwort auf diese Frage oft Bewunderung, Staunen, aber auch Mitleid aus. „Ja, kann man davon leben?“. Naja, ich singe Konzerte, begleite Liederabende und Kurse am Klavier, und ich unterrichte Gesang. „Ah, Gesangsunterricht. Wo denn?“. Ich habe Privatschüler, unterrichte an einer Musikschule, und an der Uni in Nürnberg. „Ah, so ist das.“

Oft sehe ich dann die Erleichterung in den Augen des Gesprächspartners. Er hat es nicht mit einem bettelarmen Künstler zu tun, sondern mit einem, der einen soliden Beruf an einer renommierten deutschen Universität ausübt. Er geht davon aus, dass ich meine Einkommensquellen als Gesangslehrer in aufsteigender, und nicht wie in der Wirklichkeit in absteigender Reihenfolge genannt habe.

80 Prozent der musikpraktischen Ausbildung leisten Lehrbeauftragte

Genauer gesagt, ich und bayernweit hunderte andere Lehrbeauftragte bilden die zukünftigen Schulmusiklehrer aus. Sie erhalten qualifizierten Vokalund Instrumental-Einzelunterricht auf Hochschulniveau. Wir bringen den Studierenden Singen und schulpraktisches Klavier bei, wir sorgen dafür, dass sie sich an ihrem Hauptinstrument vom guten Schülerniveau zum Musiklehrerniveau weiter entwickeln. Wir helfen ihnen, rhythmisch solide, bewegliche, überzeugende, souveräne Musiker zu werden, damit sie später wirklich etwas können, was sie als Lehrer weitergeben. Lehrbeauftragte ergänzen nicht nur das Kursangebot für Musikpädagogik, sie sind notwendig, um die Lehre im Kernbereich aufrecht zu erhalten. Die musikpraktische Ausbildung wird zu 80 Prozent von Lehrbeauftragten durchgeführt. Ohne Lehrbeauftragte könnte der Kernbereich nicht abgedeckt werden. Lehrbeauftragte ersetzen Dozenten und Professoren.

Kostengünstiger Ersatz für Dozenten und Professoren

Wir ersetzen sie auch sehr kostengünstig. Wie günstig? Die Friedrich-Alexander- Universität in Erlangen-Nürnberg bezahlt 22 Euro für eine Unterrichtsstunde (45 Minuten). Unterrichtet wird 15 Mal im Wintersemester, 14 Mal im Sommersemester. Wer das maximale Pensum von zwölf Wochenstunden unterrichtet, kommt auf ein Honorar von jährlich 7.656 Euro. Andere bayerische Universitäten zahlen unter Umständen ein paar Euro mehr pro Stunde, haben aber den Einzelunterricht reduziert auf zum Beispiel zehn Wochen im Semester, eine weitere und eindeutige Abwertung des Studienangebots. Lehrbeauftragte dürfen nicht krank oder schwanger werden, wenn sie bezahlt werden möchten. So etwas wie Mutterschutz gibt es auch nicht. Wenn eine Mutter nach einer Babypause wieder einsteigen möchte, hat sie keine Garantie, dass sie wieder einen Arbeitsplatz hat. In den 23 unterrichtsfreien Wochen können Lehrbeauftragte selbstverständlich anderswo arbeiten und Geld verdienen, ist jedoch in der Praxis leichter gesagt als getan. Lehrbeauftragte sind Hochschulabsolventen. Sie haben sich über besonderes künstlerisches und pädagogisches Engagement qualifiziert. Lehrbeauftragte sitzen Konferenzen, Eignungsprüfungen und Studentenveranstaltungen ohne Vergütung bei. Sie müssen teilweise in unterbeleuchteten, sauerstoffarmen Kellerräumen arbeiten, die völlig ungeeignet sind für qualitativen Unterricht. Sie genießen keine der in Deutschland üblichen Arbeitnehmerrechte. Sie warten Monate nach Semesterende auf ihr Honorar. Sie erhalten keine Fahrtkosten oder Zuschüsse für Fortbildungen. Sie haben keine Möglichkeit, durch besondere Leistungen höher gestuft zu werden. Sie verdienen einen Bruchteil von dem, was ihre Studierenden später als bayerische Schulmusiklehrer verdienen werden. Sie erleben Jahr für Jahr wie Gewerkschaften wie ver.di Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst durchsetzen, während sie selber nur Nullrunden kennen.

Sonderfall: Lehrbeauftragte für Musik an Universitäten

Bei dem klassischen Lehrauftrag an einer bayerischen Universität dachte man anfänglich nicht an Musikpädagogen, sondern zum Beispiel an eine Juristin, die ein gutes, regelmäßiges Gehalt an einer Anwaltskanzlei erhält. Sie gibt ihr praktisches Wissen an Jurastudierende in zwei Wochenstunden weiter. Die 44 Euro, die sie dafür erhält, sind so etwas wie eine Aufwandsentschädigung, ein kleines Dankeschön für das ehrenamtliche Engagement. Dass dieses Modell ungeeignet ist für Musikpädagogen, die Jahr für Jahr bis zu zwölf Semester-Wochenstunden geben, müsste jedem Universitätskanzler, jeder Politikerin, jedem Menschen einleuchten. Im Gegensatz zur Juristin sind sie von ihrem Lehrbeauftragtenhonorar wirtschaftlich abhängig. Die Musiklehrbeauftragten in Nürnberg haben sich auf Initiative von Ingrid Krieger zusammengeschlossen, um Aufmerksamkeit für ihre Situation zu gewinnen. Es finden unzählige Gespräche auf allen hochschulpolitischen Ebenen statt. Doch ist es nahezu unmöglich, eine Person zu finden, die dazu befugt ist, unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern. Unser Fazit: Um die gute Qualität des Schulmusikunterrichts in Bayern weiterhin aufrecht erhalten zu können, müssen wir Lehrbeauftragten angemessen vergütet werden. Nach dreißigjähriger Unterbezahlung brauchen wir Lehrbeauftragten endlich einen Arbeitnehmer-Status. Der Staat spart durch Niedriglöhne und die Weigerung einer ordentlichen Anstellung. Nichtreagieren ist im Fall der Lehrbeauftragten unethisch und ausbeuterisch.

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