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„Alle Musikschaffenden sind betroffen“

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Zur politischen Arbeit des DTKV in Zeiten der Corona-Krise
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Der Deutsche Tonkünstlerverband e.V. (DTKV) befindet sich infolge der Sicherheitsverordnungen aufgrund der Corona-Epidemie in einer bislang ungekannten Situation: Quer durch alle Sparten und Berufe sehen sich Musikerinnen und Musiker von heute auf morgen mit einem teilweisen oder auch vollständigen Wegfall ihrer Verdienstmöglichkeiten konfrontiert. Ihnen stehen zwar staatliche Soforthilfen und -angebote zur Verfügung, doch die größten Herausforderungen erwarten sie nach der akuten Krisenphase, ist Wilhelm Mixa überzeugt, Mitglied im Präsidium des Deutschen Tonkünstlerverbandes (Bundesschatzmeister) sowie des Deutschen Musik­rats. Im Interview berichtet er über die Zusammenarbeit maßgeblicher Musikverbände unter dem Dach des Deutschen Musikrats.

neue musikzeitung: In welcher Situation befindet sich momentan der DTKV?

Wilhelm Mixa: Wir haben in der Geschäftsstelle des Bundesverbandes zurzeit ein so hohes Aufkommen an E-Mails und Telefonaten wie noch nie zuvor. Aufgrund unserer derzeitigen personellen Ausstattung haben wir große Schwierigkeiten, auf alle Fragen und Anliegen einzugehen, aber es bekommen alle eine Antwort, und alle werden angerufen. Es dauert eben alles etwas länger.
Gleichzeitig stellen wir im Moment alle verfügbaren Informationen, die uns erreichen und die wir recherchieren können, auf unsere Homepage, um unsere Mitglieder in dieser schwierigen Situation nicht alleine zu lassen.
Wichtig ist außerdem, dass das gesamte Präsidium einschließlich der Vorsitzenden der Länderkonferenz in einem regelmäßigen Austausch per Telefon und Videokonferenz steht. So erfahren wir, wie die Situation vor Ort aussieht.

nmz: Worum geht es bei diesen Anfragen?

Mixa: Es geht fast immer um die Auswirkungen der Corona-Epidemie: So erreichen uns beispielsweise viele Fragen zu den Verträgen der privaten Musikpädagoginnen und -pädagogen oder zur Honorarregelung bei abgesagten Konzerten.

Modellantworten

Wir haben einen Katalog mit Modell­antworten unseres Justiziars Hans-Jürgen Werner auf häufig gestellte Fragen erarbeitet und den Landesverbänden zur Verfügung gestellt. Vielleicht können wir damit die eine oder andere Frage schon im Vorfeld klären, sodass manche Anrufe und E-Mails sich erübrigen.

nmz: Worunter leiden nach Erfahrung des DTKV Künstlerinnen und Künstler momentan am meisten?

Mixa: Viele haben Angst, ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen zu können, und viele empfinden es auch als diskriminierend, einen Antrag auf Arbeitslosengeld II, also Grundsicherung zu stellen. Vielleicht ist die Grundsicherung aktuell ein notwendiges Instrument, aber hier müsste nachgebessert werden, sonst entsteht der Eindruck des sozialen Abseits. Die Kriterien bei der Antragstellung und Gewährung müssten so gestaltet werden, dass klar wird: Es geht um Existenzsicherung und nicht um soziale Abhängigkeit. Und natürlich werden viele Fragestellerinnen und Fragesteller von Zukunftsangst getrieben und von der Befürchtung, nach der Krise möglicherweise nicht wieder ins Berufsleben zurückkehren zu können.

Probleme und Lösungsansätze

nmz: Was heißt das für die Sozialversicherung?

Mixa: Ein Großteil unserer Mitglieder ist über die Künstlersozialkasse (KSK) versichert. Natürlich könnten wir ihnen empfehlen, die Beiträge mangels Tätigkeit auf ein Minimum zu reduzieren, aber das würde die ohnehin geringen Rentenanwartschaften noch weiter reduzieren.
Unser Vorschlag ist daher, dass die Beitragszahlungen an die Künstlersozialkasse vorübergehend ausgesetzt werden. Die anteiligen Sozialversicherungsbeiträge der Künstlerinnen und Künstler müsste in dieser Zeit der Bund tragen. Die Beitragshöhe könnte auf der Grundlage des letzten Jahres oder des Durchschnitts der letzten drei Jahre ermittelt werden. Auf diese Weise würden die Leistungen in der Kranken- und Pflegeversicherung erhalten bleiben, und die Versicherten könnten weiter Rentenpunkte sammeln. Wobei beim Bezug von Grundsicherung die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge im Basistarif vom Bund übernommen werden.

nmz: Welche Probleme gibt es noch?

Mixa: Was uns im Moment Schwierigkeiten bereitet, ist der Föderalismus. Denn für die soziale Absicherung ist zwar der Bund zuständig, aber für den Bereich Kultur sind es die Länder. Was die soziale Absicherung angeht, arbeiten wir als DTKV natürlich auf Bundesebene mit dem Deutschen Musikrat zusammen. Aber eine Förderung in den Ländern anzuregen, ist eigentlich die Aufgabe des jeweiligen Landesverbandes, da wir nicht mit 16 verschiedenen Kultus- und Kulturministerien verhandeln können. Das sprengt den Rahmen dessen, was wir als Bundesverband leisten können.

Baden-Württemberg und Bayern Vorreiter

Dabei stellen wir fest, dass gut aufgestellte Verbände wie Bayern und Baden-Württemberg positive Ergebnisse hinsichtlich einer Förderung erzielt haben. Wir hoffen, dass auch die anderen Verbände zu vergleichbaren Ergebnissen kommen.

nmz: Worin liegt derzeit die größte Herausforderung für den Bundesverband?

Mixa: Das ist – wie bei unseren Mitgliedern – die Frage, wie es nach der aktuellen Krise wohl weitergeht. Auch wir befürchten, dass bei den privaten Musikpädagoginnen und -pädagogen die Nachfrage nach Unterricht nicht mehr so groß sein wird, weil sich die wirtschaftliche Lage bundesweit verschlechtert. Eltern könnten in der Folge zuerst am außerschulischen Musikunterricht sparen. Das macht uns große Sorgen.
Wir setzen uns daher für eine rechtssichere und technisch belastbare Internetplattform zur Verbesserung des digitalen Unterrichtsangebots ein und haben in dieser Sache den Austausch mit unseren politischen Kontaktpersonen gesucht. Unser Ziel ist, dass die derzeit lahmgelegten Strukturen in der Musikpädagogik mit einem digitalen Zusatzangebot wiederaufgebaut werden können und die Betroffenen in der Lage sind, ihre Arbeit fortzuführen beziehungsweise wiederaufzunehmen.

Digitales Zusatzangebot

nmz: Welche Funktion hat diese Plattform?

Mixa: Es sollen unter anderem Best- Practice-Beispiele in eine Datenbank eingestellt werden, also etwa kostenpflichtige Leistungsangebote für einen Musikunterricht zuhause. Dieses Angebot kann dann ergänzend zum klassischen Einzelunterricht hinzukommen, also als eine Art Hybridform die pädagogische Arbeit intensivieren. Dieses Angebot könnten einzelne Pädagoginnen oder Pädagogen nicht selbst aufbauen, das muss auf bundesweiter Ebene stattfinden.

nmz: Was tun Sie für die konzertier­enden und darstellenden Musiker*innen und Kirchenmusiker*innen?

Mixa: Wir haben vor Ostern zusammen mit dem Deutschen Musikrat eine Initiative gestartet, in der wir uns an den Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) und die Deutsche Bischofskonferenz wenden.
Dabei appellieren wir an die Kirchen, dass sie bei einem Ausfall von geplanten Konzerten die Honorare bezahlen. Mittlerweile haben EKD und Deutsche Bischofskonferenz ein entsprechendes Empfehlungsschreiben an die Landeskirchen und Bistümer verschickt.

Nur gemeinsam stark

nmz: Welche Ansprechpartner und Verbündete hat der DTKV in dieser Situation?

Mixa: Wir arbeiten vor allen Dingen eng mit dem Generalsekretariat des Deutschen Musikrats zusammen, also der Dachorganisation. Außerdem sind wir in ständigem Austausch mit den beiden Verbänden, die in Sachen Musikpädagogik als Arbeitgeber eine wichtige Funktion haben: Das sind der Verband deutscher Musikschulen (VdM) und der Bundesverband der Freien Musikschulen (bdfm).
Wir legen aber Wert darauf, dass unsere Verhandlungen mit der Politik möglichst unter dem Dach des Deutschen Musikrats stattfinden oder auch dem der Allianz der freien Künste, deren Mitglied wir ebenfalls sind. Denn die gegenwärtigen Probleme betreffen den gesamten Bereich der Musikschaffenden.

nmz: Welche Möglichkeiten hat der DTKV, um andere, lange bekannte Probleme anzugehen: die oftmals prekären Honorare, die immer wieder drohende Mehrwertsteuer oder die Nicht-Anerkennung Elementarer Musikpädagogik als Lehre der Kunst?

Mixa: Es gibt immer wieder Honorar­umfragen der einzelnen Landesverbände, und wir appellieren unentwegt an unsere Mitglieder, sich nicht unter Wert zu verkaufen. Ein Vorteil dabei ist, dass die Mitgliedschaft im Deutschen Tonkünstlerverband aufgrund unserer Eintrittsbedingungen ein Gütesiegel darstellt. Uns liegt am Herzen, unsere Stellung als Vertreter eines hohen Qualitätsanspruchs zu halten und auszubauen.
In diesem Zusammenhang ist es in den nächsten Jahren, auch im Hinblick auf die Mehrwertsteuerproblematik, sicher sinnvoll, im Bereich Weiterbildung neue Akzente zu setzen. Derzeit verweisen wir zum Beispiel auf Partnerorganisationen wie die Hanns-Seidel-Stiftung, die zu aktuellen Themen – momentan kostenlose – Webinare anbietet. Im Bereich der Fort- und Weiterbildung müssen wir uns künftig noch stärker engagieren.
Hinsichtlich der Mehrwertsteuer als solcher haben wir gemeinsam mit dem VdM und dem bdfm erreicht, dass es beim Ist-Zustand bleibt, also der Mehrwertsteuerbefreiung musikpädagogischer Dienstleistungen. Hier müssen wir aber im Hinblick auf die Europäischen Regelungen aufpassen, dass diese Leistungen nicht doch noch besteuert werden: Ein Zuschlag von 19 Prozent auf das Honorar würde Endkunden – etwa Schülereltern, aber auch erwachsene Schülerinnen und Schüler – unverhältnismäßig belasten. Das läuft dem Prinzip des lebenslangen Lernens zuwider.

EMP und der VdM

Beim Thema Elementare Musikpädagogik gibt es einen engen Schulterschluss mit dem VdM. Außerdem haben wir dazu auch im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bereits Gespräche geführt. Das Problem ist hier, dass die Künstlersozialkasse über diese Fälle – gestützt von der aktuellen Rechtsprechung – letztlich eigenständig entscheidet. Hier setzen wir auf eine Modifizierung des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG). Es kann nicht sein, dass freiberuflich tätige Elementare Musikpädagoginnen und -pädagogen mit Hochschulabschluss nicht als künstlerisch Lehrende im Sinn des KSVG anerkannt werden.

nmz: Was hat der DTKV zusammen mit seinen Bündnispartnern bereits erreicht?

Mixa: Wie gesagt, konnten wir letztes Jahr erreichen, dass die Mehrwertsteuer erst einmal ausgesetzt wurde. Es gibt eine Arbeitsgruppe im Finanzministerium, die daran arbeitet, die geltende Regelung mit dem EU-Recht in Einklang zu bringen.
Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass es bei der derzeitigen Befreiung bleibt. Allerdings werden wir voraussichtlich immer wieder nachweisen müssen, dass die Unterrichtenden auch die erforderliche künstlerische und pädagogische Qualifikation besitzen. Keinesfalls kann es aber sein, dass die Finanzämter selbst die fachliche Eignung bewerten, auch das müssen qualifizierte Kräfte übernehmen. Auch für eine solche Regelung machen wir uns stark.

nmz: Was ist noch zu tun? Worin sehen Sie hinsichtlich der Zusammenarbeit mit anderen Verbänden und politischen Partnern noch Verbesserungsmöglichkeiten?

Mixa: Die Rolle des DTKV muss, meiner Meinung nach, besonders bei den Dienstleistungen ausgebaut werden: Wir rechnen für die Zeit nach der Corona-Krise mit einem hohen Bedarf an Rechtsberatung. Da müssen wir anders aufgestellt sein, um nicht von der schieren Menge an Anfragen überrollt zu werden. Abgesehen davon müssen wir auf Bundesebene unsere Dienstleistungen in allen sozialen Themenbereichen aufstocken.
Für das fachliche Angebot sind aufgrund der Kulturhoheit der Länder die Landesverbände zuständig. Ich hoffe, dass es uns hier gelingt, eine Hilfestellung der größeren Verbände für die kleineren zu organisieren, etwa mit BestPractice-Beispielen, die länderübergreifend zum Einsatz kommen können.
nmz: Welche Rolle streben Sie für den DTKV an?

Mixa: Der Vergleich mit dem ADAC, der ja eine Krise hinter sich hat, ist zwar nicht mehr ganz passend. Aber ich stelle mir den DTKV tatsächlich als den großen Dienstleister vor, der dort ist, wo Musikerinnen und Musiker Hilfe brauchen. Davon sind wir noch weit entfernt, aber das ist eine Vision, an deren Verwirklichung wir arbeiten sollten.
Schwierigkeiten bei der Erreichung des Ziels sehe ich allerdings in der Struktur des DTKV, der sich aus einzelnen Landesverbänden zusammensetzt. Es ist unter diesen Voraussetzungen schwierig, eine gemeinsame Vorgehensweise zu finden und geschlossen nach außen aufzutreten. Vielleicht kann eine Strukturreform eine Abstimmung der Landesverbände untereinander verbessern.

Auf der Website des Deutschen Tonkünstlerverbandes finden Sie aktuelle Informationen zu Verordnungen und Erlassen auf Bundes- und Landesebene, zur Berichterstattung sowie zu Initiativen von Musikverbänden:
www.dtkv.org

Informationen zu den – derzeit kos­tenlosen – Webinaren der Hanns-Seidel-Stiftung gibt es unter
www.hss.de/veranstaltungen

 

 

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