neue musikzeitung: Ihre Kammeroper „RevoLuther“ nach einem Text von Martin Verges ist für drei Sänger und das Saitenensemble Steglitz (SES) geschrieben und im November 2014 in Berlin uraufgeführt worden.
Walter Thomas Heyn: Das ist meine fünfte Oper, die dritte und wichtigste davon (die „Bachantinnen“ nach Euridipes-Soyinka) ist immer noch ungespielt. Zusammen mit den zwei Balletten und sechs Kindermusicals ist das eine interessante Werkgruppe. Leider ist es mühsam, an Aufführungen zu kommen und es bei den Stadttheatern zu versuchen, ist praktisch aussichtslos. Deshalb habe ich mit dem SES zwei Kammeropern selbst produziert, was natürlich nur einen kleinen Kreis an Interessenten erreicht, aber immerhin ist das mehr, als dass die Partituren in der Schublade liegen.
nmz: Luther beschäftigt Sie nicht zum ersten Mal?
Heyn: Schon 1984 gab es in der ehemaligen DDR eine große Luther-Ehrung, die in Form von Auftragswerken vorwiegend musikalisch stattfand. Der damaligen Regierung ging es um protestantische Tugenden, Aussöhnung von Kirche und Staat, in erster Linie aber natürlich um den Bauernkrieg als Vorläufer späterer Erhebungen und Revolutionen. Luther war die zentrale Lichtgestalt, der Künder der Revolution. Unsere Oper zeigt den späten Luther, der, fürstlich belohnt von den damals Herrschenden, etwas völlig anderes predigte und verbreiten ließ. Dieser Mann war sehr ambivalent in seinem Reden und Tun, widersprüchlich und zum Teil abstoßend in seinen Formulierungen. Das hat Martin Verges interessiert.
nmz: Ihre Partitur schreibt einen Tenor, einen Sopran und eine singende Schauspielerin vor.
Heyn: Ja, das liebe ich, wenn Ensembles nicht rein im Sinne einer klassischen Opernpartitur zusammen klingen, sondern verschiedene Arten Gesang sich mischen. Der Tenor Stefan Vinzberg, der Luthers einzigen Studenten Balthasar spielt, hat auch eine große Tiefe, die Sopranistin Mirjam Miesterfeldt als Magd kann ebenso rockig, punkig wie überirdisch schön klassisch singen und die Schauspielerin Ruth Spichtig als Katharina von Bora hat die Musik logischerweise vom Text her interpretiert, was zu schönen Reibungen und Überlagerungen führt. Luther selbst tritt nicht auf.
nmz: Das Saitenensemble Steglitz ist ein ambitioniertes Laienensemble.
Heyn: Ja. Wobei mir das Wort „Laienensemble“ schon etwas missfällt. Es heißt ja nur, dass diejenigen, die in diesem Orchester sitzen, die Musik nicht zum Beruf gemacht haben, weil sie nicht hätten davon leben können. Aber all diese Laienensembles in Deutschland haben eine unglaublich hohe Qualität und für mich kulturpolitischen Schwarzseher sind sie sowieso ein wichtiger Teil der Zukunft der Musik in Deutschland, wenn der Staat sich mehr oder weniger komplett aus der Kulturförderung verabschiedet hat. Und diese Ensembles sind eine ideale Spielwiese für junge Dirigenten, Solisten und Komponisten.
nmz: Was bedeutet Ihnen die Musik, das Musizieren und was für ein Gefühl ist es, Menschen mit klassischer Musik zu erfreuen?
Heyn: Das Musizieren auf allen Ebenen von der elitären Kammermusik bis zur privaten Party ist mein Lebensinhalt und ich kann gut davon leben. Mehr sollte man heutzutage nicht verlangen. Insofern ist „klassische Musik“ eine Einengung des Berufsfeldes, die ich mir nicht mehr auferlege. Die Welt der Musik ist groß, vielgestaltig und bunt geworden. Und das ist gut so.