Von vielen Menschen und an vielen Orten wird zur Zeit über die Bezahlung freischaffender Musiker*innen nachgedacht. Anknüpfend an den Artikel „Initiativen, Gesprächstermine, Vorschläge“ (nmz 9/22, Seite 44) soll hier ein Überblick zum Diskussionsstand in den derzeit aktiven Gremien und Initiativen zu Mindeststandards und Honoraruntergrenzen in der freien Musikszene gegeben werden – ohne den Anspruch, im Detail über die Erörterungen zu berichten oder den offiziellen Verlautbarungen der Arbeitsgruppen vorgreifen zu wollen. Gleichwohl erscheint es wünschenswert, zumindest einen Zwischenstand wiederzugeben, damit das zentrale Thema der fairen Vergütung auf noch breiterer Basis diskutiert werden kann. Rückmeldungen und Ergänzungen, auch mit abweichenden Positionen, sind herzlich willkommen.
Im Fokus stehen derzeit verschiedene Bemühungen, faire Honorarsätze bei der Vergabe öffentlicher Kulturfördergelder zu etablieren. An der Zielsetzung, die Förderrichtlinien für Musikprojekte neu zu gestalten, wie etwa bei der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa und in einer Arbeitsgruppe des Deutschen Musikrats angestrebt wird, wirken mehrere Verbände der freien Musikszene mit. Nachdem deutlich wurde, dass die bisher etablierte Förderpraxis dringend optimierungsbedürftig ist, weil die Tagessätze für ein- und mehrtägige Projekte zu einem personenbezogenen monatlichen Einkommen führen, das unterhalb der Armutsgrenze angesiedelt ist, werden nun Kriterien diskutiert, auf welcher Basis eine sozialverträgliche und existenzsichernde Vergütung für professionell ausgebildete Musiker*innen generiert werden kann. In die Überlegungen einbezogen werden bestehende Publikationen zu Honorarempfehlungen und Mindeststandards aus verschiedenen Berufsverbänden und Gewerkschaften.
Ausgangspunkt der Diskussion ist die grundsätzliche Annahme der Unternehmereigenschaft freischaffender Musiker*innen und ein realistisches Verhältnis zwischen produktiver (direkt vergüteter) und unsichtbarer (investiver, also nicht direkt vergüteter) selbständiger Arbeit. Zudem sind in höherem Maße als in allen bisherigen Berechnungen betriebliche Kosten anzusetzen, die – abhängig von der jeweiligen Musiksparte – durchaus die Höhe des Bruttoumsatzes erreichen können, bedingt durch die im Vergleich zu Angestellten deutlich höheren Kosten für Anschaffungen von Instrumenten und Geräten, Raummieten, Fahrtkosten und weiteren, zum Teil branchen- und genreabhängigen Ausgaben. Für die betrieblichen Kosten erscheint ein Mittelwert von 40 Prozent des Ziel-Bruttoeinkommens realistisch; dieser Wert ist, wie in einer Modellrechnung des Sächsischen Musikrats ermittelt wurde, offenbar weitgehend unabhängig von der Karrierephase, in der Musiker*innen sich befinden, und wird in technikaffinen Musikgenres sogar regelmäßig überschritten. Außerdem ist auch, wie bei der Buchhaltung anderer Selbständiger, ein Risiko- beziehungsweise Investitionszuschlag von 10 bis 20 Prozent einzubeziehen. Die aus diesen Voraussetzungen folgenden Honorarsätze müssen als Ziel-Untergrenze verstanden werden, stellen also ein Minimum dar, mit dem freischaffende Musiker*innen unter Annahme einer Vollbeschäftigung zu gleichen Bedingungen kostendeckend wirtschaften könnten. Mit der Implementierung eines solchen Modells in die öffentlichen Förderstrukturen wäre ein maßgeblicher Schritt zur Gewährleistung fairer Vergütungen für freischaffende Musiker*innen getan.
In einigen Bundesländern gibt es vergleichbare Erwägungen, die zum Teil an schon bestehende Förderrichtlinien, etwa aus den Bereichen der bildenden und darstellenden Künste, anknüpfen können. Einigkeit besteht im Wesentlichen bei der Frage, dass von der Gesamtzahl der jährlichen Arbeitstage, die in Anlehnung an den Beschäftigungsumfang im öffentlichen Dienst angesetzt werden kann, nur etwa 50 Prozent als „sichtbare Arbeit“ oder „disponible Zeiten“ veranschlagt werden können. Die übrigen Zeiträume, im Mittel also die andere Hälfte der Arbeitstage, sind für investive Arbeit (Proben, individuelles Üben, konzeptionelle Tätigkeiten) zu berücksichtigen, wobei projektspezifische und projektübergreifende „unsichtbare Arbeit“ vielfach nicht klar voneinander abgegrenzt werden können.
Tariforientierung?
Keine einheitliche Meinung besteht bisher bei der Wahl der Bezugsgrößen für die Berechnung einer Honoraruntergrenze: Sollte man sich an den nach Berufserfahrung und Qualifikation differenzierten Entgeltstufen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD bzw. TV-L) oder am Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) orientieren? Soll ein Durchschnittseinkommen zu Rate gezogen werden, wie es etwa der Berechnung eines Rentenpunkts zu Grunde liegt? Oder ist eine Staffelung nach unterschiedlichen Merkmalen eines Existenzminimums sinnvoll, wie sie etwa das Ampel-Modell des Sächsischen Musikrats vorsieht, das Werte für die Armutsgefährdung, den Mindestlohn und das Einkommen im Niedriglohnsektor als Kriterien heranzieht?
Ein klares Plädoyer für die Orientierung an den etablierten Tarifsystemen beinhaltet das Berechnungsmodell für Basishonorare für selbständige Kreative, das kürzlich von der Abteilung Kunst und Kultur der Gewerkschaft ver.di erarbeitet wurde. Hier wird der TVöD als scheinbar alternativlose Berechnungsgrundlage verwendet, obwohl der Tarif nicht in allen Belangen geeignet erscheint, die Arbeitsrealität Freischaffender zu modellieren. Problematisch ist beispielsweise, dass bei der Orientierung des freiberuflichen Einkommens einzelner Musiker*innen an Angestellten-Gehältern zwei Konzepte miteinander vereint werden, die im Grunde nicht vergleichbar sind: Soloselbständigen-Unternehmergewinn auf der einen Seite, Arbeitnehmerbrutto auf der anderen Seite. Eine Einstufung nach „Berufserfahrung“ ist zudem in manchen Fällen fragwürdig oder gar nicht einheitlich zu regeln – dies hat sich bereits in der Vergangenheit gezeigt, etwa bei der Frage, ob bei der Anstellung von Lehrkräften vorherige freiberufliche Tätigkeiten wie Lehraufträge oder Zeiten als Musikschul-Honorarkraft berücksichtigt werden sollten. Eine Bezugsgröße wie das zu einem Rentenpunkt äquivalente Einkommen hätte den Vorteil, dass es qualifikations- und dienstzeitunabhängig angewendet werden kann, womit eine potentielle Altersdiskriminierung vermieden würde. Andere Schwierigkeiten könnten durch uneinheitliche Abrechnungszeiträume verursacht werden: Eine stundenweise Kalkulation, wie sie im ver.di-Modell nur für den Musikbereich vorgeschlagen wird, erscheint im Hinblick auf die in der freien Szene etablierten Routinen und Organisationsweisen realitätsfern. Bei freien Musikprojekten wird in der Regel nicht mit Stundensätzen operiert, bei denen die Gefahr bestünde, dass Aufbauzeiten, Anspielproben oder notwendige Ruhepausen aus der Berechnung herausfallen. Deutlich verbreiteter sind hingegen Tagessätze, mit denen auch Reisezeiten und individuelles Üben besser kalkulierbar werden.
Einige Interessenvertretungen haben bereits vor Jahren Honorarempfehlungen für musikpädagogische Tätigkeiten vorgelegt, beispielsweise mehrere Landesverbände des Deutschen Tonkünstlerverbands (mit zum Teil nach regionalen Mietspiegeln differenzierten Stundensätzen) oder die Koalition der Freien Szene Frankfurt. Dennoch spielen Unterrichtshonorare in den Diskussionen um öffentliche Förderung bisher keine oder eine sehr untergeordnete Rolle. Da aber fast alle professionellen Musiker*innen auch pädagogisch tätig sind, und zwar häufig sowohl an öffentlichen Musikschulen oder Musikhochschulen als auch an privaten Institutionen und als soloselbständige Lehrer*innen, erscheint es kaum sinnvoll, die Bereiche aus kulturpolitischer Sicht separat zu betrachten, selbst wenn die derzeitigen Bemühungen primär künstlerische Aktivitäten in den Blick nehmen.
Honorarordnung?
Aus Sicht der Verbände bleiben tragfähige Mindesthonorare für künstlerische Arbeit in der freien, ungeförderten Musikszene weiterhin ein Desiderat, da die bisher existierenden Honorarempfehlungen sämtlich unverbindlichen Charakter haben und weder für die Auftraggeber- noch für die Auftragnehmerseite verpflichtend sind. Verbesserungen im öffentlichen Fördersystem können umgekehrt zwar auch eine Signalwirkung für den freien Markt erzeugen; ein nachhaltiger Wandel erfordert aber eine eigenständige Diskussion, in die auch die Interessenverbände der Musikbranche einbezogen werden müssten. Eine tatsächliche Honorarordnung, die durch die Verbände mit kulturpolitischer Unterstützung bei den Auftraggebern durchsetzbar wäre, ist bisher nicht in Reichweite. Nach einem Beschluss der EU-Kommission vom September 2022 sind allerdings Kollektivvereinbarungen und damit Honorarrichtlinien für Soloselbständige – also für die meisten freischaffenden Musiker*innen und Musikpädagog*innen – explizit möglich, fallen also nicht länger unter eine wettbewerbsrechtliche Schranke. Diese Neuregelung könnte zukünftig die Diskussionen beleben.