Spohr, Sängerin und Leiterin des auf Neue Musik spezialisierten
Terra incognita freilich war die Veranstaltung nicht: Die Kelkheimer Tage Alter Musik hatten seit vielen Jahren ihren geachteten Platz in der nicht nur regionalen Musiklandschaft. Dies weiterzuführen und zugleich mit frischen Impulsen anzureichern, war ihr Ziel und nicht geringer Ehrgeiz.
Weithin ist ihr dies auch gelungen, zumal sie sich um musikhistorisch orthodoxe Abschottungen wenig scherte, den Begriff „alt“ kräftig relativierte. Natürlich präsentierte sie in unterschiedlichsten Besetzungen das Standard-Repertoire zwischen Renaissance und Frühklassik. Aber „alt“ hieß für sie nicht nur eine bestimmte Phase der Musikgeschichte, sondern auch epochenübergreifende Archaik, etwa im Rückgriff auf Folklore und Ethno-Musik. So brachte sie einen türkischen Sufi-Tänzer mit einem türkischen Jazz-Schlagzeuger zusammen und sogar ein Dudelsack-Ensemble auf die Bühne der alten Kapelle in Kelkheim-Hornau, die sich als akustisch hervorragend geeignet erwies. Außerdem sorgte sie für visuelle Kontrapunkte: Malerei, Plastik, Lichtinstallationen. Ja, eine singuläre Kombination von Musik und Schauwerten ganz besonderer Art gelang ihr: Auftritt einer Peking-Oper.
Natürlich hat sich Dietburg Spohr nicht damit begnügt, nur „historische“ Musik zu Wort kommen zu lassen. Denn jedes Mal gab es auch ein Konzert des <belcanto> -Ensembles mit hochattraktiven Werken so international renommierter Komponisten wie Stockhausen, Dieter Schnebel, Wolfgang Rihm, Claudio Ambrosini und Konrad Böhmer. Bei einigen Uraufführungen waren sogar die Komponistinnen und Komponisten anwesend, um mit dem Publikum zu diskutieren.
Aber auch an die „Basis“ wurde gedacht. Als Vorsitzende des Frankfurter Tonkünstlerbundes e.V. organisierte sie überdies regelmäßig Konzerte, und dies in gleich doppelter Ausführung: Sowohl lehrende Künstler präsentierten sich erfolgreich auf ihrer professionellen Ebene, als auch die Lernenden, angehenden Künstler, die sich hier öffentlich vorstellen konnten. Damit schuf sie ein heilsames Gegenmodell zum manchmal sterilen Konzertbetrieb und seiner, und sei es noch so perfekten, Star-Routine.
Doch, ach, Kelkheim ist weder eine große noch eine reiche Stadt. Und verglichen mit anderen Kommunen in der Main-Taunus-Region tritt auch das traditionell immer noch kulturtragende späte Bildungsbürgertum wenig in Erscheinung. Und dass im Rhein-Main-Gebiet das musikalische Konkurrenzangebot immens ist, versteht sich. Die Kelkheimer Kulturgemeinde, unterstützt von der Stadt, offeriert zwar ein vielseitiges Kunstangebot, doch weder Engagement noch Ressourcen reichten aus, die Tage Alter Musik weiterzuführen. Dass der Besuch manchmal hätte noch opulenter sein können: Die Hochkultur zieht nicht immer die „Massen“ an. Und dass die sinkenden Zuschüsse für die Kulturgemeinde sich auf das Programm auswirken würden, war unvermeidlich.
Doch die finanzielle, logistische, vor allem aber mentale Unterstützung für Dietburg Spohr ging von Jahr zu Jahr zurück. Die Reihe weiterzuführen wurde unmöglich, allmählich – auch im Interesse der Kunst – nahezu unwürdig. Für Dietburg Spohr wie das Publikum waren es trotzdem elf bereichernde Jahre. Dass sie zum Abschluss nicht nur Altes und Neues miteinander verband, den „ordo virtutum“ der Hildegard von Bingen in einer ganz eigenen „modernen“ Version aufführte, sondern sogar eigene Gemälde ausstellte, hat ihr den Abschied um einiges leichter gemacht.